Sonntag, April 20

In der Aussprache mit Abgeordneten sieht Claudia Roth bei sich keine Fehler. Die Geschäftsführerin des Festivals verweist auf ihre Grosseltern, die Juden gerettet haben. Und die neue Intendantin macht das nächste Fass auf.

Niemand ist schuld. Oder wenn, dann die andern. Das ist die Erkenntnis aus der Sitzung des Kultur-Ausschusses des Bundestags, der sich mit dem Israel-Hass an der Berlinale befasst hat.

Geeinigt hat man sich darauf, dass die Moderatorin der Abschlussveranstaltung versagt hat: Sie hielt sich offenbar nicht an die Abmachung, bei allzu krassen Anti-Israel-Statements einzugreifen.

Verantwortlich für die Leitung der Show sei ausserdem das ZDF gewesen, nicht die Berlinale. Dies betonten bei der Aussprache mit den Abgeordneten unisono die Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die damalige Geschäftsführerin der Festspiele, Mariette Rissenbeek.

Empathie hat gefehlt

Ende Februar artete die Preisverleihung des Filmfestivals zu einer Art Pro-Palästina-Kundgebung aus: Preisträger, aber auch Jurymitglieder überboten sich mit israelkritischen Statements. Besonders telegen: der amerikanische Filmemacher Ben Russell, der in ein Palästinensertuch gehüllt Israel des Genozids bezichtigte. Auch der bekannte israelische Israel-Kritiker, Yuval Abraham, holte sich den Applaus des Publikums ab, indem er den Kampfbegriff «Apartheid» bemühte.

Wie konnte die Veranstaltung so entgleisen? Roth gab sich bei dem Auftritt einerseits selbstbewusst, andererseits zerknirscht: Die Kritik an Israel bei der Gala sei einseitig gewesen, es habe die Empathie für die Geiseln der Hamas gefehlt. «Am schwersten zu ertragen» fand sie Ben Russell, «der sich eigentlich ganz offen an seine ‹Comrades› gewandt hat, an seine Genossen von der Hamas».

Auf die Frage einer CDU-Abgeordneten, wie viel es denn brauche, damit sie bei so einem Anlass aufstehe, reagierte Roth pikiert: «Ich steh die ganze Zeit auf.» Ein eigenes Fehlverhalten mochte die Ministerin nicht benennen: Wie es denn ausgesehen hätte, wenn sie auf offener Bühne interveniert hätte? Staatszensur sei nicht die Lösung.

Dass die Berlinale der Zensur allerdings nicht abgeneigt ist, hatte man zuvor mit der Ausladung von AfD-Politikern bewiesen. Diese erklärte Rissenbeek mit den vorgeblichen «Remigrations»-Bestrebungen der Partei: Der «Gedanke an Remigration» sei für Mitarbeiter der Berlinale als Bedrohung empfunden worden. Auch Gäste aus dem Ausland hätten sich davon betroffen fühlen können.

Kein Wort für die Hamas-Geisel

Für den Nahostkonflikt sei man gerüstet gewesen, sagte Rissenbeek. Nicht ohne Stolz verwies sie auf das Projekt «Tiny House», bei dem Festivalbesucher mit sowohl einem Juden als auch einer Palästinenserin diskutieren konnten. Allerdings passten nur sechs Personen gleichzeitig in das Häuschen, das an drei Tagen in einer abgelegenen Ecke deutlich abseits des Festivalzentrums stand.

Weshalb die Berlinale kein Wort für den Schauspieler und früheren Berlinale-Gast David Cunio übrig hatte, der von der Hamas als Geisel gehalten wird, konnte Rissenbeek nicht erklären. Man habe nach dem richtigen Moment gesucht, zu zögerlich sei man vorgegangen. «Im Nachhinein bedauern wir das sehr.» Gewissermassen zu ihrer Verteidigung verwies sie dann noch auf ihre Grosseltern, die in den Niederlanden Juden vor den Nazis versteckt hätten.

Für Tricia Tuttle, die neue Berlinale-Intendantin, ist alles noch sehr neu: Viele Menschen ausserhalb von Deutschland fänden es «schwierig, die Komplexität der Debatte hier zu verstehen und wie sensibel mache Themen» seien. Antisemitismus will die Amerikanerin in Zukunft klar benennen. Angesprochen auf die Antisemitismus-Definition der «International Holocaust Remembrance Alliance» (IHRA), der auch der Deutsche Bundestag folgt, meinte sie allerdings, dass diese auch «schwierig» sei. Was sie daran stört, führte Tuttle nicht aus. Prognose: Die Berlinale wird weiter für Schlagzeilen sorgen.

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