Donnerstag, Oktober 3

Eigentlich hätte die neue EU-Führungsriege diese Woche vorgestellt werden sollen. Doch im Hintergrund wird weiterhin hart gefeilscht.

Alles wäre bereit gewesen: Am Dienstag hätte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die neue EU-Führungsriege zuerst den Fraktionsspitzen im Parlament und wenig später der Öffentlichkeit vorstellen sollen. Doch so weit kam es nicht – das Tauziehen um die wichtigsten Jobs in Brüssel geht weiter.

Die Verzögerung muss sich von der Leyen selbst in die Schuhe schieben. Doch sie wird sich darüber nicht grämen – ihre Hartnäckigkeit scheint sich zumindest teilweise auszuzahlen. Im Juli kündigte sie an, ein «geschlechtergerechtes Kommissarskollegium» zu präsentieren, und rief die nationalen Regierungen auf, eine weibliche und eine männliche Kandidatur nach Brüssel zu vermelden. Insgesamt sind 27 Posten zu vergeben, wobei die Deutsche als Einzige schon vom EU-Parlament bestätigt ist.

Die meisten nationalen Regierungen foutierten sich aber um ihre Bitte – mit der Folge, dass nach Ablauf der Deadline 17 Männer lediglich 9 Frauen gegenüberstanden (ohne von der Leyen). Zwischen ihrem Team und den europäischen Hauptstädten begann also ein veritabler Kuhhandel. Die Stossrichtung lautete: Tauscht euren männlichen Kandidaten doch bitte gegen eine Frau aus, dafür bekommt ihr voraussichtlich ein bedeutsameres Portfolio.

Die Macht der Opposition

In einigen Fällen erzielte der Druck tatsächlich die gewünschte Wirkung: Rumänien und Slowenien zogen die ursprünglichen Vorschläge zurück, sie präsentieren mit Roxana Minzatu und Marta Kos nunmehr je eine Frau. Das Geschlechterverhältnis läge damit bei 11 zu 15.

Allerdings muss die Kandidatin für den EU-Posten gemäss slowenischem Recht zuerst von einem Parlamentsausschuss angehört werden – und dieser tagt erst wieder am Freitag. Doch auch dieses Datum ist noch nicht bestätigt, wie eine Regierungssprecherin ausführt. Formell hat das Gremium zwei Wochen Zeit, und über die Agenda entscheidet der Vorsitzende, der nicht aus der gleichen Partei wie der Regierungschef stammt. Führt also ein Oppositionspolitiker aus dem Kleinstaat Slowenien die mächtige EU-Kommission an der Leine?

Empörte Sozialdemokraten

Im Brüsseler Politkosmos gibt es derweil einige, denen die Hinhaltetaktik durchaus zupasskommt. Denn das, was bis anhin gerüchtehalber über die Verteilung der Kommissionssitze im Umlauf ist, gefällt nicht allen Gruppierungen. Am lautesten äussern sich die Sozialdemokraten, dank deren Unterstützung von der Leyen Ende Juli überhaupt gewählt worden ist: «Was über die Zusammensetzung der nächsten Europäischen Kommission berichtet wird, birgt die Gefahr, dass wir uns ausserhalb der Vereinbarung bewegen, die wir mit der Präsidentin hatten», schrieben sie am Dienstag in einem Communiqué.

Konkret stören sie sich daran, dass von der Leyen offenbar ohne den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Nicolas Schmit plant. Auch dass der italienische Nominierte Raffaele Fitto – ein Vertrauter der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – einen Vizepräsidiumsposten ergattern könnte, passt ihnen nicht. Die Sozialdemokraten drohen damit, die Kommission unter diesen Umständen im Parlament nicht zu bestätigen. In den verbleibenden Tagen wird im Hintergrund wohl weiterhin hart um die EU-Spitzenposten gefeilscht.

«Henri ist mein Fels in der Brandung»

Auch die Schweiz könnte aus der Verzögerung durchaus Profit schlagen – im Sinne eines besseren Gehörs für ihre Anliegen, was angesichts des derzeit neu ausgehandelten Verhältnisses ja nicht schaden kann. Denn kaum jemand der 27 Magistraten dürfte den Nicht-EU-Staat so gut kennen wie die nun aus dem Hut gezauberte Slowenin Marta Kos. Nicht nur fungierte die ehemalige TV-Journalistin und Spitzenschwimmerin vier Jahre lang als Botschafterin in Bern, sie ist auch mit dem langjährigen Efta-Generalsekretär Henri Gétaz verheiratet. «Henri ist mein Fels in der Brandung», vertraute sie 2022 einem slowenischen Boulevardmagazin an.

Abgesehen von den amourösen Bindungen scheint die 59-jährige Kos – die gemäss Linkedin-Profil weiterhin in Genf wohnt – auch sonst überaus angetan von der Schweiz. Neben der Natur und den Bergen schätze sie die Infrastruktur, den öffentlichen Verkehr und die behördliche Reaktivität. Nur etwas fehle, sagte sie dem Magazin «Diplomacy & Commerce»: «Die Schweizer kennen das Konzept des Kaffeetrinkens nicht, die Spontaneität und Offenheit zwischen den Menschen. Deshalb komme ich sehr gerne nach Slowenien.»

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