Was Stephen Colbert mit seiner Late-Night-Show passiert ist, kam in der Vergangenheit auch beim Schweizer Fernsehen vor: Man setzt erfolgreiche, aber oft besonders kritische Journalisten ab.

Das Ende von Stephen Colberts «Late Show» wurde mit ebenso unglaubwürdigen Begründungen verkündet, wie es fast immer geschieht, wenn Fernsehbosse ihre Stars entsorgen wollen. Und dies nicht nur in Amerika. Auch bei uns läuft es seit langer Zeit so ab.

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Der neuste Vorfall erlangte weltweit besondere Aufmerksamkeit. Colbert steht mit seiner Sendung auf CBS seit Jahren auf Platz 1 der Late-Night-Shows in den USA. Dies wurde ihm im heutigen politischen Umfeld zum Verhängnis. Denn seine bissigen Witze über Donald Trump zeigen beim Präsidenten, der den Comedian deshalb mehrfach als talent- und humorlose Person beleidigt hat, zunehmend Wirkung.

Vor kurzem hatte Colbert Paramount, die Mutterfirma von CBS, attackiert, weil sie eine «grosse, dicke Bestechung» bezahlt habe, um sich die Gunst von Trump zu sichern. Damit habe Paramount die Glaubwürdigkeit des renommierten Reportagemagazins «60 Minutes» kompromittiert. Trump hatte «60 Minutes» vorgeworfen, im Wahlkampf ein Interview mit Kamala Harris zu deren Gunsten manipuliert zu haben. Zwei Tage nach Colberts Einwurf wurde seine Show gecancelt.

Paramount steht kurz vor dem Verkauf, was den Besitzern um Shari Redstone nicht weniger als acht Milliarden Dollar einbringen soll. Zur Freigabe dieses Deals war die Zustimmung der Regierung Trump unerlässlich, die am letzten Donnerstag prompt erfolgte. Deshalb werden diese Vorfälle bei CBS als ein gefährlicher Eingriff in die durch die Verfassung garantierte Äusserungsfreiheit («free speech») in den USA gesehen.

Der aufmüpfige Stil des Roman Brodmann

Auch bei uns spielte sich Ähnliches ab. Roman Brodmann war bereits in jungen Jahren ein vielseitig begabter Schweizer Journalist. Nach mehreren Stationen wurde er 1961 Chefredaktor der «Zürcher Woche», wo er die besten und hungrigsten jungen Journalisten um sich scharte, die unter der Affiche «Nonkonformisten» die grösste Stadt der Schweiz aufmischten.

Gleichzeitig moderierte Brodmann beim Schweizer Fernsehen das beliebte «Freitagsmagazin», das in einer ähnlichen Tonalität daherkam. Doch dies führte zu Problemen mit der Fernsehdirektion, die sich mit Brodmanns aufmüpfigem Stil und seinen süffigen Storys immer weniger anfreunden konnte. Die Sendung wurde deshalb eingestellt, und Brodmann verliess die Schweiz desillusioniert.

In den folgenden Jahren produzierte er eine Vielzahl von preisgekrönten Dokumentarfilmen für die ARD, wo man ihn über alle Massen schätzte. Für seinen Film über die Schweizer Armeeabschaffungs-Initiative mit dem Titel «Der Traum vom Schlachten der heiligsten Kuh» erhielt Brodmann 1988 einen weiteren prestigereichen Adolf-Grimme-Preis.

Rücktritt vor laufender Kamera

Rudolf Frei war der erste Chef einer vierköpfigen Wirtschaftsredaktion im Schweizer Fernsehen, der ich 1969 als Jüngster angehörte. Er war ein fundierter Nationalökonom und arbeitete lange bei den damals hoch respektierten «Basler Nachrichten» und der Nationalbank.

Als Mensch und als Journalist war Frei das Gegenteil von einem Showman. Mit seinem verknautschten Gesicht wollte er nicht richtig ins Glamour-Ambiente der Fernsehwelt passen.

Dieser Ruedi Frei setzte sich am Mittwoch, den 10. März 1971, ohne jemandem einzuweihen, in die live ausgestrahlte Sendung «Rundschau» und sorgte für einen einmaligen Eklat im Schweizer Fernsehen. Plötzlich wich er vom vorgesehenen Text ab und erklärte den Zuschauern, dass er aus Protest von seiner Funktion zurücktrete: Die Direktion habe ihm faktisch die Kompetenz für den Bereich Wirtschaftspolitik entzogen. Für kritische Stellungnahmen zu diesen Themen sei gemäss neuer Weisung der Direktion neu die Bundeshausredaktion zuständig. Er selber hätte nur noch die verschiedenen Positionen darzustellen. So aber werde er als Fernsehjournalist zum Funktionär degradiert.

Am folgenden Abend nahm der Fernsehdirektor Guido Frei im Anschluss an die «Tagesschau» Stellung und dementierte Ruedi Freis Aussagen. Es gehe nicht darum, dass unbequeme Journalisten im Fernsehen keinen Platz hätten. «Sie können mir glauben, der Raum der Freiheit ist grösser, als da und dort behauptet wird. Was hier vorliegt, ist keine Krise der Programmfreiheit, sondern es ist weit mehr eine Krise der Toleranz.»

Damit war für ihn das Thema beendet. Für uns hingegen war Ruedi Frei ein Held und ein Vorbild, der zur Wahrung seiner journalistischen Ethik seine Karriere geopfert hatte.

Am nächsten Tag kam er nochmals im Büro vorbei, um seine Sachen abzuholen. Sofort war jemand zur Stelle und bat ihn, drei Dinge abzugeben, die Eigentum der SRG seien: seine Schere, seinen Bostitch und seinen Schlüssel. Eine eigentliche Verabschiedung gab es nicht.

Dietmar Schönherr teilt gegen Reagan aus

Überall in der grossen Fernsehwelt verdienen die Stars am meisten, weil sie es sind, die die Zuschauer sehen wollen. Das ist nicht allein bei den Privatsendern so, sondern auch bei den öffentlich-rechtlichen. Nur beim Schweizer Fernsehen ist es anders. Dort sind die Saläre in der Direktion weitaus höher als diejenigen der «Fernsehgesichter», die für die Quote sorgen.

Diese Rangordnung hat nicht nur materielle, sondern auch psychologische Folgen. Denn wer mehr verdient, der hält sich auch für bedeutender. Dies wirkt sich vor allem in Krisensituationen aus. Dann vertritt man zuerst die eigenen Interessen und meist nicht diejenigen der Mitarbeiter, die in der Hierarchie weit unter ihnen stehen.

Der deutsche Moderator und Schauspieler Dietmar Schönherr griff 1981 in seiner Sendung nach Mitternacht, also vor wenigen Zuschauern, verbal zum Zweihänder, als er sagte: «Ich kann mich genauso aufregen über Herrn Reagan oder so ein anderes Arschloch.»

Die Aussage wurde von mehreren Schweizer Medien zur Staatsaffäre hochgespielt. Anders reagierten die Zuschauer. Von den über hundert Briefen, die sich zur Sendung äusserten, waren nur drei negativ, viele reagierten begeistert («Ein grosses Bravo», «Endlich mal etwas Spontanes»). Doch dies war irrelevant. Wie üblich knickte die Direktion ein und stellte sich nicht hinter ihren international bekannten Mitarbeiter. Der TV-Pressesprecher Alfred Fetscherin erklärte Schönherr umgehend zum «Sicherheitsrisiko». Und der Programmdirektor Ulrich Kündig feuerte ihn fristlos – per Telegramm.

Heiner Gautschys Verhängnis

Heiner Gautschy war während vieler Jahre der Star von «Radio Beromünster». Mit seiner sonoren Stimme und der Einleitung «Hallo Beromünster, hier spricht Heiner Gautschy in New York» öffnete er den Schweizern ab 1949 den Blick auf die USA. 1967 wechselte er ins Schweizer Fernsehen und wurde Teil des prominent besetzten Moderationsteams der eben gegründeten «Rundschau». Einige Jahre später lancierte er lange Gesprächssendungen, zuerst unter dem Namen «Link», dann unter dem Titel «Unter uns gesagt».

In jenen Jahren waren wir uns nähergekommen. Ich verehrte den erfahrenen Journalisten, und er hatte offenbar Gefallen an mir als Jungspund gefunden. So sassen wir oft zusammen, analysierten Sendungen und sprachen über potenzielle Gäste. Als er 1984 vorschlug, den damals mächtigen und eloquenten «Blick»-Chefredaktor Peter Übersax einzuladen, riet ich ihm, sich auf dieses Gespräch besonders gut vorzubereiten. Wir würden dies auf professionelle Weise tun und den Ablauf vor laufenden Kameras proben. Er würde seine Fragen stellen und ich als Übersax-Double die zu erwartenden Antworten liefern.

Bei dieser Probesendung war Gautschy in Hochform, witzig und reaktionsschnell. Am Schluss wollte ich ihm ein Feedback geben und schlug vor, uns zu diesem Zweck die Aufnahme gemeinsam anzuschauen. Doch Gautschy winkte ab. Dies sei nicht nötig.

Doch die Live-Sendung wurde von der ersten Minute an zum Desaster. Gautschy wollte nur alle seine kritischen Fragen loswerden und fiel Übersax pausenlos ins Wort. Da er aufgrund unserer Vorbereitung glaubte, alle Antworten bereits zu kennen, wollte er keine Sendezeit auf sie verwenden und redete sich so um Kopf und Kragen.

Übersax, der knallharte Boulevardjournalist, startete im «Blick» umgehend eine Kampagne gegen Gautschy und das ganze Schweizer Fernsehen. Nach zwei Tagen entschuldigte sich Gautschy öffentlich und trat auf Druck der Fernsehdirektion zurück, die ihm keine Rückendeckung gab.

Der grosse, verdienstvolle Heiner Gautschy wurde also wegen eines einmaligen Fauxpas auf schmähliche Weise entsorgt. Wir sahen uns später noch oft, und er machte mir keine Vorwürfe. Ich aber grüble bis zum heutigen Tag darüber, ob ich eine gewisse Mitschuld an seinem unwürdigen beruflichen Ende habe, weil er aufgrund der Probesendung, die ich vorgeschlagen hatte, sich und seine Rolle völlig falsch einschätzte. Ich bin der festen Meinung, dass ihn die Direktion nicht wie eine heisse Kartoffel hätte fallenlassen dürfen, um sich selbst auf unelegante Weise der Kritik entziehen zu können.

Das Ende von «Schawinski»

Dass beim Absetzen von Stars oder Sendungen oft kräftig geschummelt wird, habe schliesslich auch ich erlebt. Ab 2011 hatte ich während neun Jahren weit über 400 Talk-Sendungen «Schawinski» moderiert, die trotz später Stunde gute Quoten machten und viel öffentliches Echo erfuhren.

Dann erfolgte ein Wechsel in der Direktion. Ruedi Matter wurde in Pension geschickt und durch Nathalie Wappler ersetzt. Schon bald teilte man mir mit, dass sie meine Sendung einstellen wolle. Als dann das Ende von «Schawinski» offiziell verkündet wurde, hiess es im Communiqué, dies erfolge aus Kostengründen, eine jeweils wohlfeile Argumentation, die ich zuvor noch nie gehört hatte (und die auch bei Colbert nachgeschoben wurde). In meinem Fall klang sie besonders seltsam, weil es sich um die billigste Sendung überhaupt handelte. Dabei wollte man eine Talkshow mit kritischem Ansatz aus dem Programm kippen.

Auch ich habe Sendungen und Stars abgesetzt, in der Schweiz und als Geschäftsführer von Sat 1 in Deutschland. Dafür gibt es meist handfeste Gründe. Aber ich habe mich immer bemüht, wahrhaftig zu informieren. In einer Medienwelt, in der der finanzielle und der politische Druck laufend zunehmen – sowohl bei uns, zurzeit aber in noch stärkerem Ausmass in den USA –, ist diese faire, offene Kommunikation laufend mehr gefährdet. Und auch der Mut, kritische Sendungen im Programm zu behalten. Dies ist ein gefährliches Symptom für die Gefährdung der Meinungsfreiheit. Es verdient unsere volle Aufmerksamkeit.

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