Ein neu gewählter Europaabgeordneter aus Griechenland sitzt seit mehr als einem Jahr in Albanien in Haft. Der Fall belastet das Verhältnis zwischen den beiden Nachbarstaaten. Dabei bringt Athen sogar Albaniens EU-Kandidatur ins Spiel.

Als der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis am Dienstag die neu gewählten Europaparlamentarier seiner konservativen Nea Dimokratia empfing, war ein Abgeordneter nur per Videoschaltung anwesend. Denn Fredi Beleri sitzt seit mehr als einem Jahr in einem albanischen Gefängnis.

Die Affäre wirft einen Schatten auf das ohnehin nicht unbelastete Verhältnis zwischen den beiden Nachbarstaaten. Durch Beleris Wahl wird dieser Schatten noch etwas länger. Dabei geht es um Korruptionsvorwürfe, Minderheitenrechte, Wahlkalkül und Albaniens Beitrittsprozess zur Europäischen Union.

Verhaftung kurz vor Wahl

Beleri gehört der griechischen Minderheit in Albanien an, die vor allem im äussersten Süden des Landes lebt. Minderheitenfragen sorgen immer wieder für Spannungen zwischen Tirana und Athen. Auch in Griechenland gibt es eine albanischstämmige Bevölkerung.

Beleri war Kandidat für das Bürgermeisteramt in Himara, einer Stadt an der albanischen Riviera. Im Mai 2023, nur zwei Tage vor den Lokalwahlen, wurde er unter dem Vorwurf des Stimmenkaufs festgenommen. Beleri soll mehreren Wählern Geld angeboten haben. Trotz der Verhaftung gewann er die Wahl knapp. Sein Amt konnte er aus dem Gefängnis aber nicht antreten.

Grenzregion Albanien-Griechenland

Beleri, aber auch die Opposition in Tirana, werfen der sozialdemokratischen Regierung von Ministerpräsident Edi Rama vor, hinter der Verhaftung zu stehen. Die Region um Himara ist ein Zentrum des Tourismusbooms, der Albanien in den letzten Jahren erfasst hat. Beleris Eintreten für die Landrechte der griechischen Minderheit sei der Regierung und ihr nahestehenden Geschäftsleuten ein Dorn im Auge, lautet der Vorwurf. Diese wollten in der Region attraktive Grundstücke enteignen und darauf profitable Hotelprojekte errichten.

Die Regierung in Tirana entgegnet, sie gehe lediglich gegen Korruption vor, wie es die europäischen Partner von ihr verlangten. Stimmenkauf ist ein weitverbreitetes Phänomen in Albanien. Allerdings wurden gegen Vertreter der Regierungspartei bisher keine vergleichbaren Verfahren eröffnet. Richtig ist, dass Beleri keine weisse Weste hat und auch schon früher mit der Justiz in Konflikt kam.

Griechische Drohungen

Eine internationale Dimension erhielt der Streit durch die Intervention Griechenlands, wo die Verhaftung als Vorgehen gegen die griechische Minderheit gedeutet wurde. Im August sagte Aussenminister Giorgos Gerapetritis, Beleris Festnahme stelle ein Hindernis für Albaniens europäische Integration dar. Einige Wochen davor hatte sich der griechische EU-Kommissar in einem Schreiben an seinen für Erweiterungsfragen zuständigen Kollegen ähnlich geäussert.

An der Bereitschaft Athens, sein Vetorecht in Brüssel zur Durchsetzung nationaler Interessen einzusetzen, besteht kein Zweifel. Wegen eines Streits um den Staatsnamen blockierte Griechenland die euroatlantische Integration des heutigen Nordmazedonien während Jahrzehnten. Die albanische Justiz liess sich davon aber nicht beeindrucken und verurteilte Beleri im März zu zwei Jahren Gefängnis.

Wenige Wochen später ernannte die griechische Regierungspartei Nea Dimokratia den inhaftierten Doppelbürger zum Kandidaten fürs Europaparlament. Damit wurde der Druck auf Tirana erhöht. Vor allem aber handelte es sich um ein wahltaktisches Manöver.

Der Regierungschef Mitsotakis, der dem gemässigten Flügel seiner Partei angehört, steht von rechts unter Druck, etwa wegen der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Das Eintreten für die griechische Minderheit in Albanien kommt in rechtsnationalen Kreisen gut an.

Auch wenn der inhaftierte Beleri keinen eigenen Wahlkampf führen konnte, erzielte er auf der Liste von Nea Dimokratia das viertbeste Ergebnis. Und dies, obwohl die Regierungspartei stark an Rückhalt einbüsste und nur 28 Prozent der Stimmen erhielt, 12 Prozent weniger als bei den nationalen Wahlen vor einem Jahr.

Unklare Konsequenzen

Die Wahl einer inhaftierten Person wirft viele Fragen auf. Europaparlamentarier verfügen grundsätzlich über Immunität gegenüber Strafverfolgung. Diese gilt aber eigentlich nur in Mitgliedsländern, also nicht in Albanien.

Gleichzeitig käme die fortdauernde Inhaftierung eines gewählten Abgeordneten für den EU-Beitritts-Kandidaten zu einem hohen politischen Preis, auch wenn Erweiterungsbefürworter in der EU das griechische Manöver hinter vorgehaltener Hand durchaus kritisierten.

Ein Ausweg wäre Beleris Berufungsverfahren, in dem am Freitag eine Anhörung stattfindet. Griechenlands Aussenminister Gerapetritis gab sich in einem Radiointerview überzeugt, dass Beleri Mitte Juli in Strassburg vereidigt werde. Albaniens Regierungschef Edi Rama erklärte gegenüber Radio Free Europe / Radio Liberty, die Europawahlen beträfen sein Land erst, wenn es EU-Mitglied sei. Bis dahin habe er zur Sache nichts zu sagen.

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