Die Direktanwendung von Isos sei eine planungstechnische Katastrophe, sagt die Stadt. Der Heimatschutz kontert, die Probleme seien hausgemacht.

Zugegeben, das Thema des Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (Isos) und die Auswirkungen der Direktanwendung auf die Baupolitik treiben den Puls nur bei Interessierten in die Höhe.

Doch als die Stadt Zürich vergangene Woche zu einer Medienkonferenz dazu einlud, zeigte sich schnell: Beim Hochbaudepartement stehen die Zeichen auf Sturm. Von einer planungstechnischen Katastrophe, gar von einer drohenden Baublockade sprachen die Stadträte André Odermatt (SP) und Filippo Leutenegger (FDP).

Nun hat der Zürcher Heimatschutz sich ebenfalls an die Medien gewandt und harsche Kritik an den Behörden geübt. Diese hätten es versäumt, einen effizienten Umgang mit dem Isos zu finden.

Nicht das Inventar, sondern die fehlerhaften Prozesse seien für die von der Stadt bekundeten Schwierigkeiten verantwortlich, sagte Evelyne Noth, Präsidentin des Stadtzürcher Heimatschutzes. Die Stadt habe von Anfang an wenig Begeisterung über die Isos-Erfassung gezeigt und versuche das Inventar mutmasslich systematisch zu ignorieren. Martin Killias, Präsident des kantonalen und nationalen Heimatschutzes, resümierte: «Das Problem ist hausgemacht.»

Was ist geschehen?

Zur Isos-Direktanwendung kommt es dann, wenn ein Bauvorhaben in einem inventarisierten Gebiet mindestens eine Bundesaufgabe tangiert, beispielsweise den Gewässerschutz, oder wenn Luftschutzkeller oder Photovoltaikanlagen erstellt werden.

In weiten Teilen von Zürich liegt das Grundwasser nicht besonders tief unter der Erde. Das heisst, bei kaum einem Bauvorhaben kann ausgeschlossen werden, dass dabei auf Wasser gestossen wird. Weil gleichzeitig gut 75 Prozent des Stadtzürcher Siedlungsgebiets im Isos verzeichnet sind, ist entsprechend oft mit einer Direktanwendung zu rechnen.

Nationale contra lokale Interessen

Für Bauwillige bedeutet das, dass ihr Baugesuch nicht nur von der Stadt, sondern auch von Bund und Kanton beurteilt werden muss. Allerdings erfolgt diese Betrachtung dann nicht mehr mit den lokalen Interessen und Vorgaben im Fokus – etwa der Verdichtung. Vielmehr stehen nationale, denkmalpflegerische Überlegungen im Vordergrund.

Gemäss dem Amt für Baubewilligungen bedeutet das, dass ein grosser Teil der jährlich 4000 Baugesuche deshalb den Umweg über Kanton und Bund nehmen müsste. Im besten Fall sorge dies für Verzögerungen. Es sei aber ebenso möglich, dass ein Bauprojekt komplett neu ausgearbeitet werden müsse.

Angesichts der hohen Zahl der zu beurteilenden Baugesuche habe der Kanton bereits angekündigt, nur noch eine bestimmte Anzahl entgegenzunehmen. Es fehle an Ressourcen, sowohl beim Kanton als auch bei den zuständigen Stellen der Stadt.

Der Zürcher Stadtrat fordert deshalb Anpassungen bei der Isos-Direktanwendung und eine Übergangslösung. Der Bund habe das Fuder überladen.

«Von einer Blockade kann keine Rede sein»

Geht es nach Martin Killias, täten die Stadt – aber auch der Kanton – besser daran, vor der eigenen Tür zu wischen, statt sich beim Bund über den jetzigen Mehraufwand zu beklagen. So könnte die Stadt beispielsweise die Zuständigkeiten bei der Beurteilung von Bauvorhaben in Ortsbildperimetern so anpassen, dass nicht mehr das kantonale Amt für Raumplanung zuständig sei, sondern die kommunale Fachstelle.

Nur etwa 11 Prozent der Stadt Zürich seien in der strengsten Isos-Kategorie A verzeichnet – beispielsweise die Zürcher Altstadt oder die einstigen Dorfkerne von Schwamendingen und Witikon. Hier wird der Erhalt der Bausubstanz besonders hoch gewichtet. «Das bedeutet aber nicht, dass überhaupt nichts Neues gebaut werden kann», betonte Killias am Donnerstag.

Liege ein Bauprojekt in den Isos-B- oder -C-Gebieten, werde eine Direktanwendung kaum dazu führen, dass das Vorhaben nicht umgesetzt werden könne, sagte Killias. Es sei allerhöchstens mit kleinen Verzögerungen zu rechnen. Zwischen 2016 – dem Jahr, als Isos in der Stadt eingeführt wurde – und 2022 sei die Zahl der Baubewilligungen in der Stadt um 34 Prozent gestiegen. «Von einer Blockade kann keine Rede sein.»

Es stimme zudem nicht, wenn die Stadt behaupte, es sei nicht klar, was eine Bundesaufgabe sei, hielt Killias fest. Auch, dass die Liste der Bundesaufgaben durch Rekurse und darauffolgende Rechtsprechungen stetig erweitert werde, stimme nicht. Die Praxis sei seit Jahren unverändert.

Stadt und Kanton brauchen «genügend qualifizierte Ressourcen»

Evelyne Noth sieht einen grossen Teil der Problematik darin, dass der Ortsbildschutz erst bei der Baubewilligung Thema werde. Dabei müsste das schon zu Beginn der Planung erfolgen. «Man kann doch nicht zehn Jahre lang ein Projekt planen und dann plötzlich feststellen, dass man im Isos-Gebiet bauen will und dort möglicherweise das Grundwasser tangiert.» Die Stadt versäume es aber, die Bauherrschaften umfassend zu informieren.

Um der Herausforderung, Verdichtung und Ortsbildschutz auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, gerecht zu werden, müssten «Stadt und Kanton genügend qualifizierte Ressourcen» einsetzen, betonte Noth.

Weil das aber nicht der Fall sei, sei der Heimatschutz immer wieder gezwungen, gegen Baubewilligungen zu rekurrieren, um eine angemessene Berücksichtigung zu erwirken. Dass die Stadt nationale Schutzregelungen relativiere, weil sie ihre Prozesse nicht angepasst habe, sei nicht angemessen.

Stadt wehrt sich gegen Vorwürfe

Martin Schneider, stellvertretender Direktor des Amts für Städtebau, widerspricht dem Vorwurf, die Stadt wolle den Ortsbildschutz relativieren oder gar aushebeln.

Der Heimatschutz vermische in seinen Ausführungen die herkömmliche Isos-Anwendung mit der direkten. «Wir informieren und beraten frühzeitig zum Thema Isos. Aber ob ein Bauvorhaben eine Bundesaufgabe tangiert oder nicht, lässt sich in den seltensten Fällen zu Beginn der Planung abschliessend beurteilen.» Dazu brauche es einen sehr hohen Detaillierungsgrad. Bei den einzelnen Bundesaufgaben seien ausserdem viele Fragen nicht geklärt. Die abschliessende Beurteilung erfolge zudem nicht durch die Stadt, sondern durch den Kanton oder den Bund. Eine verbindliche Beratung sei so nicht möglich.

«Unser Problem ist einzig die Direktanwendung von Isos, im Zusammenhang mit Themen, die mit dem Ortsbild nichts zu tun haben, oder Bundesaufgaben, die überhaupt nicht beeinträchtigt werden», sagt Schneider. Man könne doch nicht wegen eines Schutzraums oder einer Ausnahmebewilligung im Grundwasser ein Bauvorhaben bezüglich Ortsbildschutz plötzlich anders bewerten und damit ganze Projekte verzögern oder sogar verhindern.

Wie gross die Auswirkungen der Isos-Direktanwendung auf betroffene Bauvorhaben sind und wie viele dadurch verhindert werden, lässt sich noch nicht sagen. Dass die Direktanwendung aber für Verzögerungen sorgt, lässt sich kaum bestreiten. Gemäss dem Amt für Baubewilligungen dauert allein die Abklärung durch den Kanton mehrere Monate.

Immerhin in einem Punkt sind sich Stadt und Heimatschutz einig: Der Ortsbildschutz ist wichtig.

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