Die Mutter ist in der Biografie beinahe jedes Menschen verwurzelt. Und spielt meist eine Schlüsselrolle. Auf populärkulturelle Weise lotet der Kunstpalast Düsseldorf die schillernden Facetten des Mutter-Daseins aus.

Das Ausstellungsprogramm des Düsseldorfer Kunstpalasts lässt sich auf eine griffige Formel bringen. Sie lautet: Berührungsängste sind tabu. Dieser Umarmungsstrategie folgend, wird die Schausammlung des städtischen Kunstmuseums mit dem Motto «Von Aldi bis Rubens» beworben. Konsum und Kunst also. Sonderausstellungen der jüngeren Zeit ermunterten zum Anfassen zeitgenössischer Skulpturen, so in «Tony Cragg. Please Touch!», verstrickten sich in der weiblichen Körperbehaarung – «Hairytales» – oder erkundeten die «Faszination des Horrors».

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Viele schätzen das als Hinwendung zum Populären, manche aber tadeln es auch als Populismus. Jedenfalls funktioniert das Konzept: Im vergangenen Jahr konnte das Haus einen Rekord von 500 000 Besuchern verzeichnen. Die gegenwärtige Präsentation am Ehrenhof setzt nun diesen Kurs fort mit «Von Maria bis Merkel». Damit greift sie ein Thema auf, dessen Zielgruppe kaum grösser gedacht werden kann – schliesslich ist die Mutter in der Biografie beinahe jedes Menschen verwurzelt und spielt meist eine Schlüsselrolle. Mit rund 120 Werken aus einer Zeitspanne vom 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart umkreisen die Kuratorinnen der Ausstellung den familiären Zellkern.

Zieh-, Stief-, Adoptivkinder

Die Facetten des Mutter-Daseins werden eher kulturgeschichtlich als kunsthistorisch ausgelotet. Da geht es beispielsweise um die Ratgeberliteratur, die Ende des 18. Jahrhunderts populär wurde. Bereits damals fanden Frauen Handlungsempfehlungen zu Schwangerschaft, Geburt, Stillen oder Rückkehr in den Beruf. Den pragmatischen Ansatz der Schau führt das Begleitprogramm fort: Führungen für Eltern mit Babys im ersten Lebensjahr gehören dazu, ausserdem Yoga-Sessions oder Theater und Talk rund um das Muttersein. Sogar eine Hebammensprechstunde kann gebucht werden.

Heute, im Zeitalter unentwegter Selbstoptimierung, bildet die Kategorie «Karrieremutter» ein stattliches Segment der How-to-Literatur: Beruf und Privatleben, Office- und Care-Arbeit, Alltagsorganisation und Selbstmanagement – vieles, womöglich zu vieles, lastet auf den Müttern. Vor allem, wenn der männliche Partner aus Bequemlichkeit mit der zweiten Reihe vorliebnimmt, kann die Konstellation «Karriere und Kinder» zur Wahl zwischen Skylla und Charybdis geraten. Von Büchern und Podcasts erhoffen sich vor allem junge Frauen, die sich mutterseelenallein fühlen, Orientierung und Schützenhilfe.

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist, dass ein Buch über Zeitmanagement mit einer Fotografie der Düsseldorfer Künstlerin Judith Samen illustriert wurde. «Brotschneiden», so der Titel der Arbeit von 1997, ist Blickfang im Themenraum «Rat oder Regel». Das Zerrbild einer häuslichen Idylle, die manche als witzig, andere als schockierend empfinden: Die Künstlerin im biederen Blümchenkleid, hinterfangen von Delfter Kacheln, durchschneidet mit der Rechten einen Laib Brot. Mit der Linken umklammert sie ihr nacktes Neugeborenes, das uns den Po zuwendet: ein burschikoser, ja rabiater Umgang mit dem eigenen Kind, der im krassen Kontrast zum Habitus mütterlicher Zärtlichkeit steht.

Als wäre das Mutter-Dasein durch die Veränderungen in der Arbeitswelt nicht schon kompliziert genug, birgt der Bedeutungsverlust der Kernfamilie mit klarer Rollenverteilung zusätzliche Risiken. Unter dem Stichwort «Familienkonstellationen» erörtert die Düsseldorfer Ausstellung in einem weiteren Abschnitt, welche Auswirkungen der Wandel von Familienbildern auf das Konzept der Mutterschaft hat. Vater, Mutter und Kind – diese traditionelle Trias hat ihre normative Geltung verloren, weil queere Lebensentwürfe, aber auch Zieh-, Stief-, Adoptiv- und Pflegekinder den Spielraum erweitern, innerhalb dessen sich Mutterschaft entfaltet.

Tugend und unerschöpfliche Liebe

Dabei handelt es sich allerdings nur um ein Nischenphänomen innerhalb des Gesamtspektrums, in dem Mutter und (leibliches) Kind weiterhin Vorrang behaupten. Diese klassische Konstellation hat zahlreiche Künstler zu Bildern inspiriert, aus denen innige Verbindung spricht. Ein schier endloses Feld, weil solche Darstellungen vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert zu den eingängigsten Themen von Malerei und Skulptur gehören. Doch belässt es die Präsentation im Kunstpalast nicht beim Mutter-Motiv. Vielmehr erweitert sie das Spektrum um das Mütterliche als Tugend, als Symbol für unerschöpfliche Liebe und nie erlahmende Hilfs-, ja Opferbereitschaft.

Über diese Hintertreppe kommt auch Altkanzlerin Angela Merkel zu Mutter-Ehren: Ihr Spitzname «Mutti», zunächst spöttisch verwendet, später als Bezeichnung für ihr Image als fürsorgliche Führungsfigur ins Positive gedreht, ebnete der Kinderlosen den Weg in die Düsseldorfer Ausstellung. «Der Spiegel» trieb die Überhöhung in ironischer Manier sogar noch weiter: Im Herbst 2015, als Merkel die Grenzen für Tausende Flüchtlinge öffnete, porträtierte das Magazin «Mutter Angela» im Stil von Mutter Teresa.

Das ist eine Anleihe bei der christlichen Ikonografie, aus der die Muttergottes nicht wegzudenken ist. Als Madonna mit Kind, unbefleckte Maria immaculata oder Mater dolorosa, die den Leichnam Jesu nach seiner Kreuzigung in ihrem Schoss aufbahrt, umfasst sie die gesamte Spannweite zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Eine Madonnen-Wand, bestückt mit Marienskulpturen verschiedener Epochen, repräsentiert diese religiöse Dimension in der Ausstellung.

An die Pietà-Darstellungen von Gotik und Renaissance knüpfte Käthe Kollwitz an. Der Verlust ihres Sohnes Peter, der im Ersten Weltkrieg fiel, gibt der 1938 entstandenen Bronze «Mutter mit totem Sohn» ein besonders berührendes Gepräge.

Wo das Hohelied der Mutter angestimmt wird, sind sentimentale Lobeshymnen nicht fern. Ein krasses Beispiel führt die Schau gleich am Eingang vor Augen: Dort erwartet das Publikum ein grosses Foto von Heintje. «Maaamaaaa, du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen», schmachtete der damals Zwölfjährige 1967 in einer ZDF-Sendung. Prompt wurde er zum Kinderstar.

Oscars und Mother of Punk

Womöglich noch dicker aufgetragen ist die Verherrlichung der eigenen Mutter, mit der jene Schauspieler, die den Oscar erhalten, ihre Fähigkeit zur Rührseligkeit auf Knopfdruck unter Beweis stellen. Der Video-Zusammenschnitt «I’d Like to Thank My Mom, Oscars Compilation» entlarvt das Floskelhafte dieser Dankesbezeigungen, die gleichwohl durchaus ehrlich gemeint sein mögen.

Wie erfrischend wirkt dagegen Nina Hagens Album «Unbeschreiblich Weiblich» von 1978! Das Plattencover ist ebenfalls Teil der Ausstellung. Die landläufige Vorstellung, Mutterfreude sei das grösste Glück auf Erden, bürstete die Sängerin, gern als «Godmother of Punk» bezeichnet, gegen den Strich: «Und vor dem ersten Kinderschrei’n / Muss ich mich erst mal selbst befrei’n», sang die Provokateurin vom Dienst, die sich kinderlos unbeschreiblich weiblich fühlte. Ein Zustand, der nicht von Dauer war – ihre Tochter Cosma Shiva und ihr Sohn Otis sind der Beweis.

«Mama. Von Maria bis Merkel», Kunstpalast Düsseldorf, bis 3. August.

Exit mobile version