Freitag, Oktober 18


Restaurant-Tipps

Die Hauptstadt in der Emilia-Romagna wird aus gutem Grund so bezeichnet. In kaum einer anderen regionalen Küche Italiens wird dermassen üppig aufgetischt wie in Bologna.

La grassa. Die Fette. Was üblicherweise die Body-Shaming-Polizei mit Rotlicht und Sirene auf den Plan ruft, lässt die Bewohner Bolognas nur die Schultern zucken. Ein klein bisschen stolz zwar, aber man kümmert sich hier wenig darum, was die Stranieri über sie meinen. Und Fremde sind für die Bolognesi nicht nur die Besucher ohne italienischen Pass, auch Tifosi von ausserhalb der Emilia-Romagna fallen da rasch mal unter diese Kategorie. Und ein für alle Mal: das «gn» im Provinznamen wird nicht als Romana ausgesprochen, sondern gleich wie das ñ in España.

Selbst in den SRF News oder im deutschen Fernsehen hörte ich diesen Lapsus schon. Aber da die meisten Schweizer und deutschen Italienreisenden in Parma oder Bologna rechts Richtung Toskana abschwenken oder auf der A 1 von Milano her Richtung Rimini ans Meer brausen, mit Pinkel- und Kaffee-Stopps nur an den Autogrills, kennen sie die Stadt nur von den Schildern auf der Autobahn.

Auch mir erschloss sich der Gemüsegarten Italiens, wie die Romagna auch genannt wird, nur langsam. In Modena war ich vor 25 Jahren oft, nicht nur des Balsamicos wegen. Damals war ich mit der Tochter eines Aceto-Produzenten liiert und verbrachte fast jedes Wochenende dort, mich durch die Trattorias und Osterias der Gegend essend, inklusive aller weiteren Vorzügen des Dolce Vita.

Auf der Suche nach artisanalen Produzenten

Trotzdem war ich pausenlos auf der Suche nach artisanalen Herstellern guter Produkte. Nur war mir die Essigmutter, wie ich meine Ragazza zärtlich nannte (was bei ihr je nach Stimmung alles andere als zärtliche Reaktionen hervorrief), dabei keine grosse Hilfe. Sie wollte immer ans Meer und braun werden. Und zwar subito und überall. Also rasten auch wir drei Sommer lang an Bologna vorbei. Ziel: die Liegestühle Riminis.

Als wir bei Globus dann eine Promotion über die Gegend planten, holte ich mir anderswo Rat. Ich pilgerte ins piemontesische Bra, ins Slow-Food-Hauptquartier. Gründer und Präsident Carlo Petrini hatte mir schon öfters geholfen, auf der Suche nach dem Guten. Er drückte mir eine Liste mit etwa zwanzig Namen in die Hand, alles Menschen, die sich der Produktion, der Zubereitung von essbarem Handwerk oder dem Schreiben darüber verschrieben hatten.

Die Türen, die sich mir damals öffneten, lassen mich heute noch die kulinarischen und gastronomischen Schätze heben, die sich dahinter verbargen. Eine davon war die Trattoria Amerigo von Alberto Bettini. Doch davon später.

Der Reichtum der Emilia-Romagna

Die Fette. Bologna wird aus gutem Grund so bezeichnet. In kaum einer anderen regionalen Küche Italiens wird dermassen üppig aufgetischt wie hier. Anders als im ehemaligen Armenhaus des Landes, in Piemont, wo über Jahrhunderte der Hunger den Speiseplan bestimmte. Oder in der Toskana, wo bäuerliche Bescheidenheit vorherrschte, zumindest ausserhalb des Klerus.

Durch die Emilia-Romagna fliesst der Po, mächtigster Fluss Italiens. Er ebnete das Land und machte es frucht- und nutzbar wie keine andere landwirtschaftliche Region. Nicht wenige der darauf entstehenden Produkte gelangten zu Weltruhm. Was wäre die italienische Küche ohne Parmigiano Reggiano, Ragú Bolognese, Aceto Balsamico, der Mortadella oder Prosciutto di Parma? Eben.

Der Reichtum der Emilia-Romagna zeigt sich auch beim Kochen. Anstatt Olivenöl werden hier Unmengen von Butter in den Töpfen erhitzt, und die Pasta besteht nicht aus Mehl und Wasser, sondern Mehl und Eiern. Von diesen nicht zu knapp. Ich bin schon Nudelrezepten mit 47 Eigelb auf ein Kilo Mehl begegnet. Da kommen sportliche junge Ragazzi gar nicht erst auf die Idee, sich Protein-Pülverchen einzuwerfen, sobald die Nonna Tagliatelle aus solch einem Teig schneidet.

Überall Kulturgüter ersten Ranges

Bologna erschliesst sich dem Besucher einfach. Ob man ab Zürich per Auto (fünf Stunden) oder Bahn (4 Stunden reist, oder fliegt (eine Stunde), die Distanz ist überschaubar. Ein Mietwagen ist aber vonnöten, will man die Umgebung erkunden. Und das ist dringend zu empfehlen. Südlich der Stadt falten sich die Colli Bolognesi aus der Poebene, in den Hügeln und Bergen finden sich fast in jedem Dorf kulinarische Traditionen. Kartoffeln und Schinken von schwarzen Schweinen aus Zocca, Kirschen aus Vignola, Trüffel aus Savigno, Parmesan aus Milch von weissen Kühen, in Rosola. Überall gastronomische Kulturgüter ersten Ranges.

Die Stadt ist umzingelt von Weingütern, von Parma bis nach Rimini werden hervorragende Rot- und Weissweine gekeltert. Sangiovese, Cabernet und Merlot beherrschen die Rotweinszene, bei den weissen ist es der Pignoletto, eine autochthone Sorte, die leicht schäumende, bis im Barrique ausgebaute, kräftige Weine hervorbringt. Die Erzeugnisse aus diesen D.O.C.-Gebieten gehören zu den meist unterschätzten und darum auch noch preiswerten Weinen Italiens, und sie alle passen hervorragend zur hiesigen Küche.

Die Innenstadt (neuerdings überall 30er Zone) ist gross und unübersichtlich, verfügt aber über ein leicht zu Fuss vom Bahnhof her erreichbares Zentrum, mit dem prächtigen Duomo, den beiden schiefen Türmen und dem Piazza Maggiore als Landmark.

Auf halbem Weg dahin ist ein kurzer Stopp beim Mortadella-Lab Pflicht. Kurz, das heisst 20 Minuten in der Schlange anstehen, bis man sein ausgewähltes Sandwich in die Hand gedrückt kriegt, gefüllt mit mörderisch viel Mortadella, Burrata oder hundert anderen Dingen, die man wählen könnte.

Der Dom am Rande eines riesigen Platzes, wo sich trefflich der Aperitivo an der Abendsonne geniessen und Menschen beobachten lässt. An der östlichen Seite des Platzes taucht man die Fress-Gassen Bolognas ein. Da reihen sich Spezialitätenläden an Bars und Restaurants, dazwischen der Mercato delle Erbe, eine Markthalle und in den Gassen Stände mit frischestem Gemüse, Obst und Früchte. Auch ein Eataly gibt es hier, in Kombination mit einer Buchhandlung. Wer hier hungrig herumflaniert, hat schon verloren. Oder gewonnen, hat man denn genug Platz im Koffer, um alle die leckeren Schätze heimzutransportiere .

Abends die Qual der Wahl. Klassische Bologneser Küche, in der Osteria Bottega, oder fabulöse Fischküche im Aqua Pazza? Meine liebsten und besten Orte finden Sie in der Liste unten.

Empfehlenswerte Restaurants in Bologna und Umgebung

Wallfahrtsort des guten Geschmacks

Am nächsten Tag der kulinarische (und für mich auch soziale) Höhepunkt des Ausfluges, die Fahrt nach Savigno zu meinem Freund Alberto Bettini. Seit 25 Jahren besuche ich ihn in seiner Trattoria Amerigo, oft mehrmals im Jahr. Mein Wallfahrtsort des guten Geschmacks. «Das ist ihr Mann!», sagte einst Slow Food-Gründer Petrini und liess keinen Zweifel daran, wer in der Emilia-Romagna am meisten über die regionale Kulinarik Bescheid wusste.

Seither habe ich halb Zürich nach Savigno geschleppt, Alberto mitsamt seiner Crew einige Male in die Schweiz, für Koch-Gastauftritte, und lernte durch ihn die Gegend dort wie meine Westentasche kennen. Nicht zuletzt durch meine Arbeit in seiner Küche. Abends am Herd, tagsüber auf dem Rennvelo, Kilo- und Höhenmeter fressend durch die Colli Bolognesi.

Seine Trattoria erhielt irgendwann einen Michelin-Stern. Für Alberto ist es immer noch ein Rätsel, ein Errore, ein Fehler, wie er meint. Doch der Fehler passiert jedes Jahr aufs Neue. Glücklicherweise änderte sich aber rein gar nichts; Interieur, Preise, Personal, Wohlfühlfaktor, alles wie gehabt. Nur die obligaten japanischen Stage-Köche sind dazugekommen. Und seit einigen Jahren auch Zimmer, in denen man königlich übernachten kann. Denn nach einem üppigen Cena oder einem langen, sonntäglichen Pranzo möchte man eines bestimmt nicht mehr: nach Bologna zurückfahren.

Was Alberto auftischt, kommt alles aus nächster Nähe. Natürlich auch die Klassiker aus der Region. Seine Tortellini in Brodo, seine Tagliatelle all’ Ragú, seine Pilz- oder Spargel-Lasagne, es ist alles einen Zacken aromatischer und frischer als an anderen, ebenfalls guten Orten. Und da Savigno den Rang einer (von 65) Città del Tartufo Italiens besitzt, sind die weissen und schwarzen Knollen allgegenwärtig, sie wachsen in Variationen das ganze Jahr über.

Zum Restaurant gehört ein kleiner Laden. Hier verkauft Bettini, was er auch verkocht: Weine, Olivenöl, Balsamico, eingemachte Gemüse und Früchte, Sugi, Wurstwaren und Käse, alles artisanale Produkte aus der nächsten Umgebung. Der Schinken und die Salamis z. B. stammen von schwarzen Schweinen der fast ausgestorbenen Rasse Mora Romagnola.

Vor 25 Jahren hatte mir seine Mutter beigebracht, mit dem Nudelholz umzugehen, den Teig zu ziehen und zu Tagliatelle zu schneiden oder damit Tortellini um den Daumen zu wickeln. Geduldig lehrte sie mich Ragú ansetzen und Risotti all’onda zubereiten, in dieser magischen, halbflüssigen Konsistenz. Ihr «Ecco, bravo Riccardo» war für mich der kulinarische Ritterschlag. Dafür bin ich ihr ewig dankbar.

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