Montag, September 30

Sie sind schwerreich und treffen Entscheidungen im Familienrat. Porträt der Chirathivats, der mächtigsten Kaufhausdynastie der Welt.

Es war an einem Märztag im vergangenen Jahr, als die Chirathivats realisierten, dass sie belogen wurden. Belogen von ihrem Vertrauten, ihrem wichtigsten Partner in Europa. Jenem Mann, mit dem sie auf dem halben Kontinent Warenhäuser gekauft und geführt hatten und dessen Machenschaften nun auch sie in den Abgrund zu ziehen drohten: René Benko.

Benko, damals noch ein gefeierter Tiroler Immobilienmilliardär, hatte den Chirathivats verschwiegen, wie schlecht es um ihn und seine Signa-Gruppe stand. Stattdessen bat er sie weiter um Geld, um Hunderte von Millionen von Euro, und machte ohne ihr Wissen Geschäfte mit Dritten.

Die Chirathivats reagierten sofort, und sie reagierten hart.

Keine Treffen mehr, keine Calls mehr, nicht einmal mehr auf Benkos E-Mails gaben sie Antwort. Eine Person aus ihrem Umfeld sagt es so: «Die Chirathivats waren wütend. Sie fühlten sich hintergangen.»

Für gewöhnlich sind solche Gefühlsausbrüche der Chirathivats nicht bekannt. Die Unternehmerfamilie aus Thailand gilt als verschwiegen. Sie gibt selten Interviews und wenn, dann spricht sie übers Geschäft und nicht über Emotionen.

Die Familie hat auch später nie über den Bruch mit René Benko gesprochen – selbst dann nicht, als im vergangenen Winter dessen gesamtes Signa-Konstrukt wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Es galt, das gemeinsame Geschäft mit dem Signa-Management weiterzuführen. Und gleichzeitig eine Zukunft ohne Benko zu finden.

Nun, nach elf Monaten intensiver Verhandlungen, ist klar, wie diese Zukunft aussehen wird: Die Central Group, das Unternehmen der Chirathivats, übernimmt die Globus-Anteile von Signa. Vor kurzem hat Central auch die insolvente KaDeWe-Gruppe in Deutschland gekauft. Einzig Selfridges in Grossbritannien ist noch offen. Aber auch dort ist die Lösung vorgespurt und dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Die Übernahmen sind eine Zäsur. Sie bedeuten das Ende der Geschäftsbeziehung zwischen Benko und den Chirathivats. Je tiefer der eine fällt, desto höher steigen die anderen auf. Der Familie werden in absehbarer Zeit alleine in Europa vierzig Luxuswarenhäuser in sieben Ländern gehören. Sie ist die mächtigste Kaufhausdynastie der Welt.

Kosmetik und Kentucky Fried Chicken

Man mag sie hier kaum kennen, doch in Thailand kennen alle die Chirathivats. Ihr Geld haben sie vor allem mit Warenhäusern und Shopping-Centern verdient. Mit dem «Central Embassy» in Bangkok besitzen sie eines der grössten und luxuriösesten Einkaufszentren der Welt.

Heute sind die Chirathivats einer der reichsten Clans Südostasiens. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» schätzte ihr Vermögen jüngst auf knapp 10 Milliarden Dollar. Ihre Reichtümer hält die Dynastie in der Central Group gebündelt. Der CEO stammt – selbstverständlich – aus der Familie. Er heisst Tos Chirathivat und ist 59 Jahre alt.

Begonnen hat die Familiensaga mit Tos’ Grossvater, Tiang Chirathivat. Tiang war aus dem chinesischen Hainan nach Thailand eingewandert und begann dort im Jahr 1927 mit importierten Waren zu handeln. 1956 eröffnete sein Sohn Samrit, der Vater von Tos, mit dem Central Department Store in Bangkok das erste Warenhaus Thailands.

Die thailändische Hauptstadt Bangkok hat unzählige Einkaufszentren und Warenhäuser. Viele von ihnen gehören den Chirathivats, darunter das 2014 eröffnete Central Embassy (links) und das Central Chidlom aus dem Jahr 1974.

Nach und nach kamen andere Geschäftsfelder dazu. Neben den Einkaufszentren bauten die jungen Unternehmer der Familie ein Supermarktimperium und verschiedene Fachmarktketten auf. Sie importierten internationale Kosmetikmarken und übernahmen Franchisen von ausländischen Restaurantketten wie etwa Kentucky Fried Chicken. 1983 eröffneten sie das erste Hotel, in den 2000er Jahren begannen die Investitionen im Ausland: zuerst in China, von wo man sich mittlerweile wieder zurückgezogen hat, dann in Vietnam und schliesslich in Europa.

Der Familienrat entscheidet

Die Central Group ist bis heute ein Familienunternehmen geblieben. Viele Toppositionen sind mit Chirathivats besetzt. Insgesamt sollen 150 Clanmitglieder im Konzern angestellt sein. Wie eng man untereinander ist, zeigt sich auch daran, wo man lebt: Der Grossteil der Verwandtschaft wohnt in einer zwölf Häuser umfassenden Anlage in Bangkok, die ebenfalls im Besitz der Familie ist.

Eine Charta regelt, wie Familie und Unternehmen zueinander stehen. Bei den Chirathivats gilt das Prinzip, dass jedes Familienmitglied eine Stelle bekommt, wenn es denn will. Allerdings müsse man bereit sein, sich entsprechend auszubilden. So erzählen es Personen, die der Familie nahestehen.

Wer gute Leistungen zeige, sowohl in der Ausbildung als auch später im Job, werde mit Beförderungen belohnt. Ein Gremium, das mehrheitlich aus Leuten von ausserhalb der Familie besteht, überwacht dabei die Karrieren der jungen Clanmitglieder. Viele von ihnen studieren in den USA und in Europa.

Gegen aussen hat die Central Group mit Tos Chirathivat einen einzigen Chef. Gegen innen aber gilt die Macht des Clans, wie Vertraute sagen. Entscheidungen treffe der Familienrat, und zwar wenn möglich einstimmig. Zu diesem Kreis sollen zehn Personen gehören, darunter Tos, seine vier Schwestern und der Bruder. Tos’ Onkel Sudhitham, der früher der CEO der Central Group war, nimmt heute, der asiatischen Tradition entsprechend, die Rolle eines Alterspräsidenten ein.

Eine wichtige Rolle spielt auch Tos’ Neffe Sean Hill. Hill, 44 Jahre alt, ist in den USA aufgewachsen. Er ist zwar, wie die vierte Generation generell, noch nicht im Familienrat vertreten, arbeitet aber seit mehr als zehn Jahren für die Gruppe und leitet heute das Geschäft in Europa.

Mailänder Charme für die Warenhäuser in Bangkok

Europa: Es ist das vielleicht grösste Abenteuer der Chirathivats. Angefangen hat es in Italien, als die Familie im Jahr 2011 die Warenhauskette La Rinascente kaufte. Zwei Jahre später kam das Illum-Warenhaus in Kopenhagen dazu. Im Jahr 2015 schliesslich begann die Partnerschaft mit René Benkos Signa-Gruppe: Central kaufte Signa 50,1 Prozent des Warenhausgeschäfts der KaDeWe-Gruppe ab. Später erwarben die Parteien zusammen die Globus-Warenhäuser von der Migros. Am Schluss folgte die britische Selfridges-Gruppe, zu der auch Geschäfte in Irland und den Niederlanden gehören.

All diesen Kaufhäusern ist gemein, dass sie sich im Luxusbereich positionieren – oder von den Chirathivats dort positioniert wurden. Auf den Etagen gibt es High-End-Kleidung von Louis Vuitton oder Balenciaga zu kaufen, manche Häuser führen eine Delikatessenabteilung.

Auf die Frage, warum ausgerechnet seine Familie die europäischen Edelkaufhäuser übernehmen und erhalten wolle, antwortete Tos Chirathivat vor einigen Jahren einmal: «Weil es sonst niemand macht.» Die Leute wollten lieber investieren, kaufen und verkaufen, Geld machen und weiterziehen. Die Central Group aber funktioniere traditionell. «Wir denken langfristig und verkaufen fast nie etwas. Ich sehe nicht viele Leute oder Firmen, die noch bereit sind, es so zu machen.»

Rinascente, Globus oder KaDeWe sind jedoch nicht einfach ein teures Hobby, das sich die Familie leistet. Die Chirathivats glauben an die Zukunft des Warenhauses – wohlwissend, dass ihnen der Erfolg nicht geschenkt wird. Tos Chirathivat formulierte es selbst so: «Es ist nicht lustig, Detailhandel zu betreiben. Es ist tagein, tagaus harte Arbeit.»

Die Diversifikation nach Europa erlaubt es den Thais, in ihren Warenhäusern die Stärken zweier Kontinente zu kombinieren. In den Worten von Tos Chirathivat: «Wir haben beschlossen, den Mailänder Charme in unsere Geschäfte in Bangkok zu importieren. Anderseits arbeiten wir in Italien zum ersten Mal an den Kundenbeziehungen, einem Bereich, in dem wir sehr viel Erfahrung haben.»

Für Globus ein Glücksfall

Für Globus ist die Übernahme durch die Chirathivats jedenfalls ein Glücksfall. Die Schweizer Gruppe hatte in den vergangenen Jahren vor allem negativ zu reden gegeben. Die Migros, in deren Portfolio Globus über Jahrzehnte war, wusste nicht, wie sie die Warenhäuser erfolgreich führen konnte. Dann, nach dem Verkauf an das Duo Signa-Central, war mit René Benko ein unseriöser Geschäftsmann am Werk.

Neu werden alle neun Globus-Standorte einzig von den Chirathivats verantwortet. Die Zukunft der Schweizer Kaufhäuser liegt in den Händen der Thais. Und viele hoffen, dass nun endlich stabilere Zeiten anstehen.

Bleibt die Frage, wie es mit dem mächtigen Kaufhausclan selbst weitergeht. Bis zum Jahr 2020 gehörte die Central Group ganz der Familie Chirathivat. Dann wurde die Sparte Detailhandel an der thailändischen Börse kotiert, um Geld für die Expansion aufzunehmen. Es war der grösste Börsengang in der Geschichte Thailands.

Tos Chirathivat, seit 2014 der Chef der Central Group, wurde vor zwei Jahren nochmals für vier Jahre gewählt. Doch bald wird man sich im Familienrat um seine Nachfolge kümmern müssen. Die Auswahl ist gross. Von der dritten Generation, der Tos angehört, sind laut der Zeitung «Nikkei Asia» 34 Familienmitglieder bei Central tätig. Von der vierten Generation sollen es sieben sein, unter ihnen Sean Hill.

Wer Tos einst als Chef ablösen soll, wird im Familienrat der Chirathivats entschieden werden. Sicher ist nur: Die Person muss sich zunächst im Kreis des Clans beweisen.

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