Nirgends in der EU arbeiten Angestellte länger als in Griechenland. Nun kommt in einigen Branchen ein sechster Arbeitstag hinzu. Der griechischen Wirtschaft fehlen Hunderttausende von Arbeitnehmern.

Das wirtschaftspolitische Ansehen Griechenlands in der Welt hat eine bemerkenswerte Wandlung durchlaufen. Während der Staatsschuldenkrise wurde der südosteuropäische Aussenposten der Euro-Zone gerne als Land der Faulenzer dargestellt, besonders in deutschsprachigen Debatten.

Nun ist Griechenland mit einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit vorgeprescht, der quer zu den zeitgeistigen Debatten über weniger Arbeit und Work-Life-Balance steht. Manche der einstigen Kritiker fragen sich sogar, ob die Reform als Modell für den Umgang mit dem weitverbreiteten Fachkräftemangel dienen könnte.

Zuschläge von bis zu 115 Prozent

Griechenland hat auf den 1. Juli für einige Branchen die Sechs-Tage-Woche regularisiert. Im Dienstleistungssektor und im verarbeitenden Gewerbe haben Firmen, die im 24-Stunden-Betrieb tätig sind oder eine aussergewöhnliche Auftragssituation nachweisen können, die Möglichkeit, Angestellte sechs Tage die Woche zu beschäftigen. Die wöchentliche Arbeitszeit darf dabei 48 Stunden nicht überschreiten.

Der zusätzliche Diensttag wird mit einem Zuschlag entlöhnt. Am Samstag liegt dieser bei 40 Prozent, am Sonntag maximal sogar bei 115 Prozent. Grundsätzlich beruht die neue Regelung auf Freiwilligkeit, wie die konservative Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis betont.

Die Arbeitnehmer können demnach nicht dazu gezwungen werden, einen sechsten Tag ins Geschäft zu kommen. Gewerkschafter sind allerdings der Ansicht, dass sich die meisten Angestellten in der Realität nicht den Wünschen ihrer Vorgesetzten werden widersetzen können. Arbeitnehmerverbände sprechen deshalb vom Tod der Fünf-Tage-Woche. Opposition und Gewerkschaften protestierten heftig gegen das neue Gesetz.

Hohe Wachstumszahlen

Die Regierung rechtfertigt die Reform mit der schrumpfenden Bevölkerung und dem Fachkräftemangel. Seit dem Beginn der griechischen Staatsschuldenkrise haben schätzungsweise 500 000 meist junge und nicht selten gut ausgebildete Griechen das Land verlassen. Griechenland hat etwa 10 Millionen Einwohner.

Nun, da es dank den schmerzhaften Reformen der letzten Jahre endlich wieder aufwärtsgeht, fehlen dem Land die Arbeitskräfte. 2023 ist Griechenlands Wirtschaft um 2 Prozent gewachsen, dieses Jahr könnten es sogar 3 Prozent werden. Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt werden aber eher früher als später zu einem Bremsklotz. Das weiss auch der einstige McKinsey-Berater Mitsotakis.

Die verlängerte Arbeitswoche ist nur die jüngste Massnahme in diesem Zusammenhang. Im Dezember schuf die Regierung eine gesetzliche Grundlage, um das Arbeitskräftereservoir der schätzungsweise 300 000 irregulär eingereisten Migranten im Land anzuzapfen. Unter gewissen Umständen können diese Personen nun eine befristete Arbeitserlaubnis erhalten.

Abkommen mit Drittstaaten

Zudem versucht man, Arbeitskräfte anzuwerben. Unter einem Abkommen mit der Regierung in Kairo sollen dieses Jahr 5000 ägyptische Saisonarbeiter in der Landwirtschaft angestellt werden. Der Bedarf in diesem Sektor liegt laut dem zuständigen Ministerium aber bei 180 000 im Jahr. Laut dem Verband der Olivenbauern konnte 2023 bis zu einem Drittel des Ertrags nicht eingebracht werden. Branchenvertreter fordern schlankere Verfahren, um Gastarbeiter anzuwerben.

Auch der besonders wichtige Wirtschaftszweig des Tourismus sucht händeringend nach saisonalen Arbeitskräften. Laut einem Branchenvertreter blieben im vergangenen Jahr mehr als 50 000 Stellen unbesetzt. Dieses Jahr könnten es 60 000 oder mehr sein. Mehrere Hotels sollen deshalb später als geplant die Saison begonnen haben.

Landwirtschaft und Fremdenverkehr sind von der neuen Regelung bisher ausgenommen. In diesen Branchen ist die Sechs- oder sogar Sieben-Tage-Woche bereits jetzt weit verbreitet, besonders zur Hochsaison – allerdings ohne Zuschläge oder Kompensationen.

Höchste Wochenarbeitszeit in der EU

Nicht gezahlte Überstunden und zusätzliche Arbeitstage sind vielerorts in Griechenland an der Tagesordnung. Zumindest in jenen Sektoren, die davon betroffen sind, schafft das neue Gesetz laut der Regierung Abhilfe, indem es diese Mehrarbeit regularisiert und daraus hervorgehende Ansprüche festlegt.

In Griechenland arbeitet man ohnehin sehr viel. Laut Eurostat war 2023 die durchschnittliche reguläre Wochenarbeitszeit mit 40,9 Stunden in keinem EU-Land höher. In Deutschland, wo man den Griechen lange mangelnden Fleiss unterstellte, lag der Wert bei 34,9. Viele Griechinnen und Griechen gehen zudem auch noch einem Nebenerwerb nach.

Zähe Nachwehen der Staatsschuldenkrise

Der Grund hierfür ist, dass viele sonst schlicht nicht über die Runden kommen. Der Mindestlohn liegt in Griechenland bei 830 Euro, das Durchschnittsgehalt bei 1175 Euro. Das Preisniveau unterscheidet sich aber nicht stark von westeuropäischen Staaten. Kaufkraftbereinigt ist die Wirtschaftsleistung pro Kopf in der gesamten EU nur in Bulgarien tiefer als in Griechenland. 2009 lag das Land noch im europäischen Mittelfeld.

Diese Zahlen machen deutlich, wie tief der Einbruch nach der Staatsschuldenkrise war. Trotz überdurchschnittlichen Wachstumsraten in den vergangenen Jahren liegt das BIP immer noch 19 Prozent unter dem Wert von 2017. Im EU-Raum wuchs die Wirtschaftsleistung im gleichen Zeitraum um 17 Prozent. Auch die Arbeitslosigkeit liegt mit mehr als 10 Prozent weit über dem europäischen Durchschnitt – trotz vielen unbesetzten Stellen.

Die tiefe Produktivität zeigt, dass viele grundlegende Hemmnisse für Griechenlands Entwicklung fortbestehen: bei der Infrastruktur, der Bürokratie oder dem Ausbildungswesen. Längere Arbeitszeiten können Engpässe auf dem Arbeitsmarkt entschärfen. Zur nachhaltigen Lösung der strukturellen Probleme reichen sie nicht aus.

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