Der Generaldirektor der Iter-Organisation legt einen neuen Projektplan vor. Auf die Mitgliedsländer kommen zusätzliche Kosten von fünf Milliarden Euro zu.

Der Fusionsreaktor Iter ist in der Krise. Missmanagement, fehlerhafte Komponenten, aufwendige Reparaturarbeiten sowie die Covid-Pandemie haben dafür gesorgt, dass das internationale Vorzeigeprojekt zur kontrollierten Verschmelzung von Atomkernen in Verzug geraten ist.

An einer Pressekonferenz hat Pietro Barabaschi, der Generaldirektor von Iter, am Mittwoch einen neuen Zeit- und Projektplan vorgestellt und dargelegt, wie das Milliardenprojekt zurück auf die Erfolgsspur gebracht werden soll. Die Kernbotschaft lautet: Der Beginn der Experimente verschiebt sich um mehrere Jahre. Und die Mitgliedsländer – das sind die USA, Russland, China, Südkorea, Indien, Japan und Europa – müssen mit zusätzlichen Kosten von fünf Milliarden Euro rechnen. Bisher wurden für den Bau des Reaktors rund 20 Milliarden Euro veranschlagt.

Schritt für Schritt zur vollen Leistung

Der ursprüngliche Zeit- und Projektplan stammt aus dem Jahr 2016. Er sah vor, den Reaktor bereits im nächsten Jahr erstmals mit einem Plasma aus ionisierten Wasserstoffatomen zu füllen. Dieses sogenannte «First Plasma» hat eher symbolische Bedeutung. Danach sollte der Strom, mit dem das Plasma geheizt wird, schrittweise erhöht werden und 2033 seine volle Stärke erreichen.

Die ersten Experimente hätten mit Plasmen aus normalem Wasserstoff und dem Wasserstoffisotop Deuterium stattfinden sollen. 2035 sollte der Reaktor dann erstmals mit einem Brennstoffgemisch aus Deuterium und Tritium betrieben werden. Nur mit diesem Gemisch lässt sich das Ziel von Iter erreichen, durch die Verschmelzung von Atomkernen zehnmal so viel Energie zu gewinnen, wie vorher zum Aufheizen in das Plasma hineingesteckt wurde. Bisher ist es mit einem Fusionsreaktor vom Iter-Typ noch nie gelungen, eine positive Energiebilanz zu erzielen.

Dass dieser Zeitplan illusorisch ist, war spätestens seit 2020 ein offenes Geheimnis. Und das lag nicht nur an der Covid-Pandemie, die zur vorübergehenden Schliessung von Produktionsstätten geführt hatte. Schwerwiegender waren die Mängel, die bei Inspektionen an verschiedenen Komponenten des Reaktorgefässes festgestellt wurden. Die Reparatur der fehlerhaften Komponenten ist immer noch nicht abgeschlossen. Damit ist der ursprüngliche Plan Makulatur.

Man habe sich dagegen entschieden, den gesamten Zeitplan nach hinten zu verschieben, sagte Barabaschi an der Pressekonferenz. Statt dessen habe man ihn komplett umgestaltet. Dabei habe ein möglichst früher Beginn der Forschung höchste Priorität gehabt. Die ersten Experimente sollen nun zwar erst 2034 stattfinden; das allerdings mit einem Reaktor, der bereits alle wesentlichen Komponenten enthält. Das erlaubt es, den Reaktor relativ rasch hochzufahren. Schon 2036 soll der Strom zum Heizen des Plasmas seine volle Stärke erreichen. Das ist drei Jahre später als geplant. Dadurch verschieben sich auch die Experimente mit einem Deuterium-Tritium-Brennstoffgemisch. Neu sollen diese nun 2039 beginnen, also vier Jahre später als eigentlich vorgesehen.

Die Zeit, die bis zum Beginn der Forschungsarbeiten bleibt, möchten die Ingenieure für zusätzliche Tests nutzen, um weitere Verzögerungen zu vermeiden. Ausserdem soll die Qualitätskontrolle verbessert werden. Barabaschi ist seit Mai 2022 Generaldirektor von Iter. In der Vergangenheit sei zu optimistisch geplant worden, räumt er ein. Einige der Schwierigkeiten hätte man voraussehen können. Er ist aber überzeugt, dass man nun einen robusteren Weg gefunden hat, die Ziele von Iter zu erreichen.

Kommen die Erkenntnisse von Iter zu spät?

Die Frage ist, ob Iter damit seinem Anspruch gerecht werden kann, ein Leuchtturmprojekt für die Fusionsforschung zu sein. Denn das Umfeld, in dem sich Iter bewegt, hat sich verändert. Als die Iter-Organisation 2006 gegründet wurde, war die Fusionsforschung noch fest in öffentlicher Hand. Nur staatliche Einrichtungen konnten es sich leisten, diese riskante Forschung zu unterstützen. Echte Konkurrenz gab es nicht.

Das ist heute anders. Inzwischen gibt es zahlreiche Firmen, die an den Erfolg der Kernfusion glauben und ihr zum Durchbruch verhelfen wollen. Einige dieser Firmen setzen wie das Iter-Projekt auf die Kernfusion durch einen magnetischen Einschluss des Plasmas. Andere wollen die Atomkerne durch den Beschuss mit intensivem Laserlicht verschmelzen.

Zum Teil verfolgen diese Firmen aggressive Ziele. Sie werben damit, bis 2040 ein kommerzielles Kraftwerk bauen zu wollen, das Strom ins Netz einspeist. Bisher galt, dass ein stromproduzierendes Kraftwerk nicht ohne die Erkenntnisse gebaut werden kann, die man sich von Iter verspricht. Was die privaten Firmen planen, ist deshalb eine versteckte Kampfansage an das staatlich geförderte Iter-Projekt. Dass der Beginn der Experimente nach hinten verschoben werden muss, macht die Situation nicht leichter für Iter.

Barabaschi begrüsste an der Pressekonferenz das Engagement der privaten Firmen. Für die Fusionsforschung sei es gut, wenn es eine Konkurrenz von Ideen gebe. Persönlich sei er aber sehr skeptisch, dass es bereits in den nächsten 15 Jahren ein kommerzielles Fusionskraftwerk geben werde. Vorher müssten eine Reihe schwieriger technologischer Probleme gelöst werden. Dafür brauche es Iter.

Iter ist gewillt, den privaten Firmen zu helfen. Das unterstreicht ein Workshop, der Ende Mai am Iter-Standort in Cadarache in Südfrankreich stattgefunden hat. Eingeladen waren 350 Vertreter von Unternehmen und staatlichen Forschungseinrichtungen. Es gebe eine Menge, was die Startups von Iter lernen könnten, so Barabaschi. Vor allem könnten sie lernen, wie man es nicht machen soll. Dazu könne Iter viel sagen.

Noch ist der neue Zeit- und Projektplan nicht angenommen. Er wurde zwar vom Iter-Rat – in diesem Gremium sind die Mitgliedsländer vertreten – als vorläufige Arbeitsgrundlage akzeptiert. Eine endgültige Entscheidung steht aber noch aus. Zu reden geben dürften vor allem die zusätzlichen Kosten von fünf Milliarden Euro, die auf die Mitgliedsländer zukommen.

Niemand im Iter-Rat sei begeistert gewesen, als er diese Zahlen zum ersten Mal gehört habe, sagt Barabaschi. Aber es sei auch niemand vom Stuhl gefallen. Sein persönlicher Eindruck sei, dass es im Iter-Rat nach wie vor grosse Unterstützung für das Projekt gebe. Eine endgültige Entscheidung wird an einer der nächsten Sitzungen des Rates erwartet.

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