Freitag, November 22

Schumacher gewann damals als erster Deutscher den Weltmeistertitel in der Formel 1. Heute wirkt das Land im Top-Motorsport abgehängt – es hat nur noch einen Fahrer in der Königsklasse.

Die Dinge rückwärts zu betrachten, ist eine Sache, mit der sich Michael Schumacher nie hatte anfreunden können. Motorsportgeschichte – das war für einen ewigen Nach-vorne-Denker wie ihn viel zu abstrakt.

Mit Geschichte ist er nicht gross geworden auf der Kartbahn in der Kiesgrube von Kerpen, obwohl diese auf Wolfgang Graf Berghe von Trips zurückgeht. Der Adlige hatte 1961 gute Chancen auf den Weltmeistertitel in der Formel 1 gehabt, war beim vorletzten WM-Rennen in Monza mit seinem Ferrari aber tödlich verunglückt. Michael Schumacher hat dann am 13. November 1994 selbst Sportgeschichte geschrieben, als er als erster Deutscher Weltmeister in der Formel 1 wurde.

Ein früher Sonntagmorgen hatte das Zeug dazu, die Sehgewohnheiten und die Wochenendgestaltung einer ganzen Nation zu verändern. Nach dem Drama von Adelaide – ohne ging es bei Schumacher selten – schnellten die Einschaltquoten in zweistellige Millionenhöhen, zeitweise kam da nicht einmal mehr der Fussball mit. Die öffentlichrechtlichen Sender sind zu arrogant gewesen, sich um die TV-Rechte zu kümmern; mit Schumacher als Zugpferd wurde der Sender RTL populär. Die Marke Schumi war erfunden; innerhalb von drei Jahrzehnten ist der zuvor eher belächelte Motorsport flächendeckend hoffähig geworden.

Und heute? Nach Schumachers sieben Titeln, seinem Rücktritt, seinem bescheiden verlaufenen Comeback und seinem schweren Skiunfall vor zehn Jahren hält sich das Interesse. Aber nach den Boom-Zeiten folgte ein bis heute andauernder Abschwung. Toto Wolff, der österreichische Teamchef des Mercedes-Rennstalls, drückt es so aus: «Deutschland hat den Schumacher-Kater.»

Hülkenberg ist der letzte deutsche Formel-1-Fahrer

Tatsächlich handelt es sich um ein schweres Vermächtnis. Von bis zu sieben deutschen Fahrern, die im Grand-Prix-Jahr 2010 zeitgleich in der Formel 1 fuhren, ist nur noch einer übriggeblieben: Nico Hülkenberg, der künftig für das Sauber-Team antritt. Der mittlerweile 35-Jährige war einst von Schumacher und dessen Manager Willi Weber sogar als Nachfolger auserkoren worden. Hülkenberg hielt den Ansprüchen der deutschen Motorsport-Fans allerdings nur bedingt stand, wobei sich diese stets an den Spitzenleistungen des Rekord-Weltmeisters orientierten.

Selbst Sebastian Vettel, immerhin vierfacher Champion, konnte die allgemeine Euphorie der Deutschen im vergangenen Jahrzehnt nicht aufrechterhalten. Für den Hessen mit Wohnsitz im Thurgau ist im September 2019 letztmals bei einem Grand Prix die deutsche Nationalhymne erklungen.

Michael Schumachers Sohn Mick muss nach zwei Jahren beim chancenlosen Haas-Team und zwei Jahren als Ersatzfahrer bei Mercedes mit 25 seine Formel-1-Pläne wohl ad acta legen. In der Formel 2 findet sich gar kein Deutscher mehr, in der Formel 3 sind mit dem Deutsch-Dänen Oliver Goethe und dem Red-Bull-Zögling Tim Tramnitz immerhin zwei Nachwuchskräfte, dazu mit Sophia Flörsch eine Pilotin, die aber eher durch geschickte Selbstvermarktung auffällt.

Flauten in Rennfahrer-Generationen durchlaufen viele grosse Motorsport-Nationen, die Briten einmal ausgenommen. Brasilien und Italien stellen nach längerer Pause erst 2025 wieder einen eigenen Fahrer; auch die Franzosen mussten über lange Jahre hinweg erst wieder ein neues Fördermodell für den Nachwuchs aufbauen. Der deutsche Motorsport ist gut verwaltet, doch es scheint gelegentlich an Perspektiven zu fehlen.

Die Tatsache, dass nach fast 70 Auflagen kein Grand Prix von Deutschland mehr im Formel-1-Kalender steht, unterstreicht das Dilemma: Es mag Geld da sein, selbst in einer mehr und mehr gebeutelten Automobilindustrie, aber eben nicht genug für grosse Projekte. Hockenheim, unter Bernie Ecclestone stets ein Fixpunkt der Saison, ist seit 2019 aus dem Rennen; der Nürburgring diente nur noch einmal als Notlösung, im Corona-Rennjahr.

Der Formel-1-Boom fährt an der Autobahnnation vorbei

Früher waren zwei Rennen auf deutschem Terrain fast Standard. Die Veranstalter reklamieren die hohen Antrittsgelder, die anderswo durch den Staat querfinanziert würden, inklusive des Baus moderner Rennstrecken. In vielen Landesregierungen herrscht eine politische Stimmung, die Autorennen eher brandmarkt. Nur die Elektroserie Formel E, die in der Öffentlichkeit aber nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist in Berlin fest verankert. Der weltweite Formel-1-Boom fährt hingegen an der Autobahnnation vorbei.

Für Mercedes, das einst auch deshalb sein Junior-Team von Peter Sauber aufbauen liess, um den Wandel zu sportlicheren Serienmodellen durch den Motorsport zu untermalen, rechnet sich die Formel 1 immer noch. Nach acht Konstrukteurs- und sieben Fahrertiteln in Serie ist der Wert des Rennstalls in den Milliardenbereich gestiegen.

Das Stuttgarter Unternehmen pflegt bei seinen sportlichen Engagements längst nicht mehr den Nationalismus, es geht mehr um die globalen Absatzmärkte. So ist das Team denn auch komplett in England stationiert. Das passt zum Trend, die Formel 1 ist längst zu einem Konzern-Wettstreit geworden, was auch das Audi-Engagement bei Sauber verdeutlicht.

Den Deutschen fehlen frische Vorbilder, es fehlt in der breiten Masse an emotionaler Bindung. Auch wegen mangelnder Präsenz. Die Königsklasse dümpelt im Bezahlfernsehen mit sechsstelligen Zuschauerzahlen dahin, RTL überträgt nur gelegentlich Live-Rennen.

Trotzdem wäre die grösste Volkswirtschaft Europas natürlich auch für den Formel-1-Geschäftsführer Stefano Domenicali und den Serienbetreiber Liberty Media ein willkommener Ort, Geschäfte zu machen. Allein die Formulierung, ein deutscher Grand Prix müsse sich für beide Seiten lohnen, deutet auf einen erhöhten Kapitaleinsatz hin. Tradition kann das längst nicht mehr aufwiegen. Deutschland scheint fürs Erste abgehängt.

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