Die beiden Nationaltrainer Andy Schmid und Nikolaj Jacobsen treffen an der WM aufeinander. Ihre Karrieren sind seit 15 Jahren eng miteinander verknüpft – die beiden sind gute Freunde.
Am Tag vor dem Duell mit dem dreifachen Weltmeister und Olympiasieger Dänemark in der WM-Hauptrunde, schreibt der Schweizer Nationaltrainer Andy Schmid seinem dänischen Pendant eine Nachricht. «Lass Gidsel gegen uns draussen, er sieht müde aus.» Mathias Gidsel ist der beste Handballer der Welt und Däne. Die Antwort des von Nikolaj Jacobsen: «Das kannst du vergessen.»
Schmid und Jacobsen tauschen oft solche Frotzeleien aus. Im Startspiel der WM in Dänemark gibt es für die Schweiz ein 17:17 gegen Tschechien – eine magere Tor-Ausbeute. Jacobsen schreibt ironisch: «Torfestival!» Schmid antwortet: «Jetzt wird es kompliziert.» Er meint damit, die Qualifikation für die Hauptrunde, die die Schweiz letztlich doch noch geschafft hat. Damit hat sie sich die Begegnung mit dem Gastgeber Dänemark erarbeitet. Es ist ein Duell, von dem Schmid schon vor dem Turnier geträumt hat. Aus den Nachrichten der Trainer wird deutlich, dass sich am Donnerstag ab 20 Uhr 30 nicht nur zwei Coachs gegenüberstehen, sondern gute Freunde.
Jacobsen ist in Dänemark eine Berühmtheit. Ist er auf der Strasse unterwegs, erkennen ihn die Menschen, sie sprechen ihn an, wollen ein Selfie schiessen. Er hat die Nationalmannschaft an den letzten drei WM zum Titel geführt, gewann im vergangenen Sommer in Paris Olympiagold. Für Schmid hingegen ist es die erste WM als Trainer, seine Mannschaft darf nur dank einer Wild Card mitmachen. Er sagt: «Wir wissen beide, auf welchen Gegner wir treffen. Wir frotzeln nicht auf Augenhöhe.»
«Er war ein dünner Junge und nervös, weil er im Ausland spielte»
Vor 15 Jahren steht Jacobsen am Anfang seiner Laufbahn als Coach, er ist Assistenztrainer beim dänischen Spitzenklub Bjerringbro-Silkeborg. Vor ihm steht ein junger Schweizer. Sein Name: Andy Schmid, damals 25 Jahre alt. «Er war ein dünner Junge und nervös, weil er im Ausland spielte», sagte Jacobsen einmal zur NZZ.
Schmid und Jacobsen finden bald den Draht zueinander. «Wir konnten Deutsch miteinander reden, er hat viele Sachen für mich übersetzt», sagt Schmid. Jacobsen spricht die Sprache, weil er als Spieler sieben Saisons in der Bundesliga tätig war. In Silkeborg tauschen sich die beiden ständig aus, diskutieren über Spielzüge und die Taktik. Sie merken, dass sie ähnlich verrückt nach Handball sind.
Schmid fühlt sich dank Jacobsen wohl in Dänemark. Er sagt: «Nikolaj hat mein Potenzial gesehen. Wäre ich kein guter Handballer gewesen, wären wir keine Freunde geworden.» In der dänischen Liga wird Schmid sogleich zum wertvollsten Spieler gewählt; nach einer Saison wechselt er in die Bundesliga zu den Rhein-Neckar Löwen. Die Wege trennen sich, der enge Kontakt aber bleibt.
Jacobsen glaubt an Schmids Potenzial als Trainer
Vier Jahre später suchen die Löwen einen neuen Coach. Sie haben mehrere Kandidaten zur Auswahl. Die sportliche Leitung befragt den Spielerrat, dem auch Schmid angehört. «Ich habe mich für Nikolaj starkgemacht. Als Coach war er damals in Deutschland wenig bekannt.» Die Löwen verpflichten Jacobsen. Dieses Mal sind die Rollen umgekehrt: Nun zeigt Schmid dem Trainer alles in der neuen Stadt und im Klub und hilft ihm, sich einzuleben.
Jacobsen führt die Rhein-Neckar Löwen zwischen 2014 und 2019 zu zwei Meistertiteln, Schmid wird fünf Mal zum wertvollsten Bundesliga-Spieler gewählt. Spätestens in dieser Zeit wird Jacobsen Schmids Mentor und dieser sein Schlüsselspieler. Nach fünf Jahren verlässt Jacobsen die Rhein-Neckar Löwen, fortan konzentriert er sich auf die Aufgabe als dänischer Nationaltrainer, die er zuvor nebenbei erfüllte. Schmid bleibt noch drei weitere Saisons in der Bundesliga.
Ihre Beziehung aber pflegen sie weiterhin intensiv. Jacobsen sagt: «Es geht in unseren Gesprächen nicht nur um Handball, wir reden auch über Privates. Wir sind richtig gute Freunde geworden.» Als Schmids Karriere im vergangenen Jahr endet und er das Angebot erhält, Schweizer Nationalcoach zu werden, fragt er Jacobsen nach dessen Meinung. «Er wollte sich schon bei den Rhein-Neckar Löwen immer einmischen. Er hat alle Anlagen, ein hervorragender Trainer zu sein», sagt Jacobsen.
Jacobsen ist gnadenlos ehrlich zu Schmid
Schmid sagt, Jacobsen sei für ihn auch als Trainer ein Mentor. Das Team des Dänen ist unberechenbar, Jacobsen studiert immer wieder neue taktische Finessen ein – und überrascht damit den Gegner. Eine ähnliche Spielanlage ist auch bei den Schweizern an dieser WM zu sehen. Seit Schmid Nationalcoach ist, schaut Jacobsen die meisten Spiele der Schweiz und gibt Schmid eine Rückmeldung. Und der fragt Jacobsen, was taktisch funktioniert hat und was nicht. «Nikolaj ist gnadenlos ehrlich zu mir, das ist Gold wert», sagt Schmid.
Alles andere als ein Sieg der Dänen wäre am Donnerstag eine Sensation. Ein Päckchen zugunsten der Schweiz werden die Freunde nicht schnüren, das weiss auch Schmid. Trotzdem sagt er, er würde nicht mit Jacobsen tauschen wollen. Nur um eine Sache beneidet er den dänischen Nationaltrainer: Während der Spiele gibt Schmid den Spielern ständig Anweisungen, in Einzelgesprächen erteilt er ihnen Tipps. Schmid sagt: «Ich würde auch gerne einmal zwanzig Minuten mit verschränkten Armen auf der Bank sitzen und wie Nikolaj das Spiel geniessen können.»