Mittwoch, Oktober 2

Erstmals seit dem Tod seines Vaters spricht der Direktor des «Uto Kulm» über die Zukunft des Hotels auf Zürichs Hausberg.

Während Fabian Fry uns durch das weitläufige Anwesen des «Uto Kulm» führt, wird er mehrere Male von Restaurant- und Hotelgästen angehalten. Einige wollen einfach nur zeigen, dass sie den Chef des Hauses erkannt haben. Andere versuchen ihn in ein Gespräch zu verwickeln – so wie ein älterer Herr im Velodress. Er drängt sich regelrecht auf, streckt Fry seine Hand hin und sagt: «Ich kenne Ihren Vater! Wie geht es ihm?»

Der 27 Jahre alte Fabian Fry macht den Eindruck eines ruhigen, überlegten Mannes. Er lässt sich Zeit, bevor er zu dem älteren Herrn sagt: «Das ist eine schwierige Frage. Mein Vater ist leider Ende des letzten Jahres verstorben.» Er sagt es freundlich – aber so, dass der ältere Herr seinen Misstritt sogleich bemerkt und sich entfernt.

Giusep Fry war der König vom Üetliberg. Noch heute, mehr als sechs Monate nach seinem Tod am 22. November 2023, ist der einstige Patron auf dem Gipfel des Üetlibergs allgegenwärtig.

Sein Sohn Fabian Fry ist nun der Herr im Haus mit neunzig Angestellten. Er absolvierte eine Lehre als Hotelkaufmann im Zürcher Luxushotel Hyatt. Danach war er mehrere Jahre in Dubai tätig. 2019 kehrte er in die Schweiz zurück, um als Vizedirektor in den über 200-jährigen Betrieb einzusteigen.

Mit der NZZ hat er zum ersten Mal seit dem Tod seines Vaters über die Zukunft des Hotels auf dem Zürcher Hausberg gesprochen.

Herr Fry, vor einem halben Jahr ist Ihr Vater völlig unerwartet gestorben. Wie geht es Ihnen heute damit?

Es ist eine besondere Situation. Meine Eltern haben 1983 angefangen, damals waren sie noch jünger, als ich es heute bin. Ich kenne das «Uto Kulm», seit ich ein Kind war. Ich habe hier als Kleinkind sogar ein Jahr gewohnt. Auch später war ich häufig hier, in den Sommerferien haben meine Schwester und ich viel geholfen. Der Berg ist ein wichtiger Teil meiner Identität. Mein Vater war ein grosses Vorbild für mich. Sein Tod war das Schlimmste, was mir hat passieren können.

Wie war die Beziehung zu Ihrem Vater?

Mein Vater und ich hatten eine sehr, sehr besondere Beziehung. Und während der vier Jahre, in denen wir eng zusammengearbeitet haben, haben wir uns noch einmal auf einer ganz anderen Ebene kennengelernt. Er war nicht nur mein Vater, er war auch mein bester Freund, mein Geschäftspartner, mein Chef, mein Vorbild. Er war alles für mich.

Dann wurde er mitten aus dem Leben gerissen. Herzversagen.

Das hat mein Leben völlig auf den Kopf gestellt. Er war ein Lebemann und mit 64 immer noch jung. Sein Alter war ihm überhaupt nicht anzumerken. Er war so ein zäher Siech, ich hatte geglaubt, den würde nie etwas umhauen. Er hatte ja auch keine Vorerkrankungen, nichts.

Ihr Vater hat Sie früh ins Unternehmen eingebunden. Das erweist sich nun als weise Voraussicht.

Es war für mich immer ein Thema, hier einzusteigen. Mein Vater hat mich zum Vizedirektor ernannt und mir von Anfang an viel Verantwortung übertragen. Er hat mir aber auch Vertrauen entgegengebracht, hat mich Fehler machen lassen.

Zum Beispiel?

Ich hatte verrückte Ideen für Events, wollte Packages anbieten und die Menukarte verändern. Sachen, die zum Teil überhaupt nicht funktioniert haben. Heute bin froh, dass ich aus diesen Situationen lernen konnte.

Nun tragen Sie seit einem halben Jahr die ganze Verantwortung allein. Der Raum für Fehler ist kleiner geworden.

Auf dem Papier bin ich schon seit zwei Jahren Direktor, das wollte mein Vater so. Trotzdem ist alles anders als geplant. Es ist kein Ansprechpartner mehr da. Mein Mentor ist weg.

Haben Sie nach dem Tod Ihres Vaters daran gedacht, alles hinzuschmeissen?

Nein, nie. Ich stehe zu 300 Prozent hinter dem «Uto Kulm». Nach dem Tod meines Vaters erst recht. Wenn ich mir ansehe, was wir hier haben, dann kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als dies im Namen meines Vaters weiterzuführen.

Es war zu hören, das Hotel stehe zum Verkauf.

Wir hatten unzählige Interessenten und Angebote. Es haben auch Verkaufsgespräche stattgefunden, sogar mit der Stadt Zürich. Aber konkret wurde es nie.

Was würden Sie als Erbe sagen?

Das hier ist ein extrem spezieller Ort. Aber ich sage niemals nie.

Wie war das für Sie, als Sie 2019 aus Dubai mit all seinem Prunk und Kitsch auf den Üetliberg gezogen sind?

Es war ein riesiger Kontrast. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden, als ich gesehen habe, was hier alles nicht geht oder nicht erlaubt ist. In der Zeit, die ich in Dubai verbracht habe, hat man dort die grösste menschengemachte Lagune der Welt gebaut – mit importiertem Sand von den Malediven und aus Indien. Das kann man gut finden oder nicht. Aber die Einstellung, einfach einmal etwas zu wagen, gefällt mir.

Würde die Schweiz profitieren, wenn sie sich etwas von dieser Mentalität abschauen würde?

Die Schweiz hat immer gut gelebt von ihren Kompromissen. Wir gehen nie radikal in eine Richtung. Das Gleichgewicht ist das wertvollste Gut der Schweiz. Ich denke, das sollten wir unbedingt beibehalten. Aber ja: Die Bürokratie ist enorm, erdrückend, da kann es einem wirklich ablöschen. Wir müssen schon aufpassen, dass wir den Unternehmern nicht zu viele Steine in den Weg legen.

Persönlich machen Sie keine Kompromisse. Sie ordnen diesem Ort Ihr ganzes Leben unter – wie Ihre Eltern. Sie haben lange Arbeitstage und keinen Stellvertreter.

So einen Job kann man nur machen, wenn man bereit ist, 300 Prozent zu geben. Wir müssen krampfen, sonst läuft hier nichts. Mit Delegieren und Organisieren ist es nicht getan. Dazu ist das Risiko einfach zu gross. Und das Commitment ist natürlich noch einmal ein anderes geworden seit dem Verlust meines Vaters. Auch finanziell.

Wie meinen Sie das?

Die Finanzen waren immer ein Thema. Alles hier oben befindet sich in Familienbesitz. Das Haus, der Aussenbereich, der Turm – das gehört alles uns. Das ist schön, bringt aber auch Verantwortung. Uns zahlt keiner etwas, wenn etwas kaputtgeht oder wenn etwas erneuert werden muss. Ich muss mir gut überlegen, welche Entscheidungen ich treffe, weil ich selber hafte.

Was könnte denn passieren?

Wir leben in einer Zeit, in der völlig unvorhersehbar ist, was passiert – gerade in der Hotellerie und Gastronomie. Corona ist ein gutes Beispiel dafür. Oder nehmen Sie die SZU-Bahn. Wenn die ausfällt, kommen weder die Angestellten noch die Gäste. Dann steht hier alles still.

Wie laufen die Geschäfte momentan?

Es läuft sehr gut. Aber die Hotelbranche befindet sich im Umbruch, wir müssen schauen, wie es weitergeht. Von meinem Grossvater habe ich gelernt: Spare in den guten Zeiten für die schlechten. Daran halte ich mich.

Wie erleben Sie den diesjährigen Sommer?

Geschäftlich haben wir ein gutes Jahr; unser Seminarbereich ist gut gebucht. Aber vom Wetter her ist es eine Katastrophe. Wir haben 400 bediente Aussenplätze. Wenn das Wetter beinahe stündlich ändert, ist der Aufwand enorm. Das ist nicht zu vergleichen mit Restaurants in der Stadt.

Ist das «Uto Kulm» nicht längst ein Selbstläufer?

Das denken tatsächlich viele. Dabei trifft eher das Gegenteil zu. Wenn wir nicht permanent bei der Sache sind und uns ständig neu erfinden, dann wird es schwierig.

Ihr Vater war ein Meister darin, sich neu zu erfinden. Er hat unzählige, teilweise auch umstrittene Events veranstaltet, so beispielsweise Filmvorführungen oder grosse Silvesterpartys. Was haben Sie in der Pipeline?

Als ich angefangen habe, mussten wir erst einmal ein paar Dinge neu organisieren. Was nicht so gut lief, haben wir gestrichen. Als Resultat wurden die Events zuerst weniger. Jetzt sind wir dabei, neue, saisonale Highlights zu schaffen. Zum Beispiel den Winterzauber. Das ist eine Art Weihnachtsmarkt mit kleinen Bäumchen und unzähligen Lichtern im Schnee. Im Sommer sitzen bei uns über hundert Personen am gleichen Tisch und essen zusammen. Die Tavolata ist für mich ein besonderer Anlass, weil er Fremde zusammenbringt.

Was sagen dazu die Kritiker, die das «Uto Kulm» seit Jahren im Fokus haben und jede Veränderung kritisch beobachten?

Egal, was wir tun, die Kritiker sind immer da. Die Leute vom Verein Pro Üetliberg kommen alle zwei, drei Tage mit der Kamera und fotografieren alle Autos, die Mitarbeitenden, die Gäste. Wenn Stühle an einem Ort stehen, wo keine stehen dürften, bekomme ich umgehend einen Anruf.

Das klingt anstrengend.

Als ich angefangen habe, haben wir uns zusammengesetzt. Ich möchte, dass wir miteinander auskommen. Ich habe keine Lust und auch keine Energie, mich mit anderen zu streiten. Der Betrieb des «Uto Kulm» ist schon Herausforderung genug.

Sind Sie weniger streitlustig als Ihr Vater?

Es heisst immer, er habe die Konfrontation gesucht. Dabei war Streit das Schlimmste für meinen Vater. Er wollte das Maximum für das Hotel herausholen, klar. Das will ich auch. Und wenn man das Maximum erreichen will, muss man Grenzen ausloten. Das ist nur logisch. Mit Streiten hat das nichts zu tun.

Ihr Vater hat sich immer wieder über Regeln hinweggesetzt. Zum Beispiel, als er ohne Baubewilligung einen Wintergarten errichtete. Diesen musste er später wieder abreissen.

Natürlich bewegt man sich auch einmal in einer Grauzone. Im schlimmsten Fall wird man zurückgepfiffen, das gehört dazu.

Hat die unablässige Kritik am «Uto Kulm» auch mit Neid zu tun?

Wir haben Erfolg, da ist der Neid nie weit weg. Aber ein grosser Teil davon beruht auf Missverständnissen. Viele Leute meinen zum Beispiel, der Turm gehöre der Stadt und wir würden uns bloss daran bereichern, indem wir dort einen Kiosk aufgestellt oder ein Drehkreuz installiert haben. Aber dem ist nicht so. Oft findet bei den Leuten ein Umdenken statt, sobald sie besser verstehen, wie es hier läuft.

Jede Kleinigkeit landet früher oder später bei Ihnen. Haben Sie eigentlich manchmal frei?

Am Montag . . . Meistens.

Was machen Sie an Ihrem freien Tag?

Ich fahre in die Stadt und esse bei Hatecke ein Tatar. Auch er ist Bündner, wir sprechen Rätoromanisch miteinander.

Haben Sie eine Familie?

Nein. Aber ich bin auch erst 27 Jahre alt. Ich habe Zeit. Bis dahin habe ich mit dem «Uto Kulm» ein riesengrosses Baby, das viel Aufmerksamkeit und Liebe braucht. Dieses Projekt mit einer Familie zu vereinbaren, in der ich auch als Vater da sein kann, das ist mein grösster Wunsch.

War Ihr Vater auch in dieser Hinsicht Ihr Vorbild?

Eher nicht. Ich habe als Kind nicht viel von meinem Vater gesehen.

In welchen Bereichen unterscheiden Sie sich von Ihrem Vater?

Es ist lustig: Wenn die Leute mich sehen, sehen alle genau meinen Vater in mir. Ich glaube aber, dass ich in vielerlei Hinsicht anders bin als er. Er hat zum Beispiel viel angerissen und dann doch wieder ganz andere Dinge gemacht. Ich verfolge meine Pläne etwas strikter, auch wenn nicht alles auf Anhieb funktioniert.

Woran arbeiten Sie derzeit?

Mein Hauptziel ist es, das weiter zu verfestigen, was hier besteht. Dafür braucht es in nächster Zeit grosse Investitionen. Das gilt es zuerst einmal zu stemmen. Letztes Jahr haben wir den 700 Quadratmeter grossen Terrassenboden neu machen lassen. Als Nächstes müssen wir die Küche renovieren. Dann möchten wir nach und nach die 54 Hotelzimmer erneuern.

Sie bringen lieber das Bestehende auf Vordermann, bevor Sie viel Neues anfangen?

Unser Angebot ist enorm gross. Das müssen wir noch besser in die Köpfe der Leute bringen. Ich glaube, dass das im Moment wichtiger ist als neue Attraktionen. Ausserdem müssen wir uns Gedanken machen, was in zehn Jahren ist. Braucht es dann noch Seminarräume, oder arbeiten ohnehin alle von zu Hause aus? Diese Fragen müssen wir uns stellen. Da braucht es viel Kreativität.

Das klingt so, als befände sich das «Uto Kulm» im Umbruch.

Absolut. Wenn Sie so wollen, sind wir ein 200 Jahre altes Startup.

Und Ihr Vater: Bleibt er im «Uto Kulm» präsent?

Wenn man in jahrzehntelanger Arbeit etwas erschafft, das über den Tod hinaus Bestand hat, bleibt man in den Köpfen und Herzen weiterhin präsent. Das ist zumindest meine Wahrnehmung. Es ist auch das, was ich mir für ihn wünsche.

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