Mittwoch, Januar 15

Millionen Menschen gehen gegen angebliche Vertreibungspläne, die AfD und ihr Umfeld auf die Strasse. Doch wer steckt hinter Correctiv?

Genau einen Monat ist es her, dass das deutsche Recherchenetzwerk Correctiv am 10. Januar den Artikel «Geheimplan gegen Deutschland» veröffentlichte. Oder soll man besser sagen: detonieren liess? Der Beitrag schlug ein wie eine Bombe.

Die Vorwürfe wiegen schwer: So sollen AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer bei einem geheimen Treffen in Potsdam «nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland» geplant haben, wie es heisst.

Auch die deutsche Politik reagierte schnell. Am Tag nach der Veröffentlichung stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz unter Verweis auf Correctiv schützend vor die Menschen mit Migrationshintergrund und gegen «Fanatiker mit Assimilationsphantasien».

Keine Woche verging, und Mitglieder der Redaktion sassen auf Schloss Bellevue dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier gegenüber. Tatsächlich nehmen die Forderungen nach einem Verbot der AfD seither zu und deren Umfragewerte ab. Die Demonstrationen gegen die Partei gehen weiter.

Bei Correctiv gibt man sich beeindruckt. «Dass eine Recherche dazu führt, dass Millionen von Menschen auf die Strasse gehen, das gab es noch nie in der Bundesrepublik. Das möchte ich anerkennen und auch die Demut seitens Correctiv demgegenüber ausdrücken», sagte die Geschäftsführerin Jeannette Gusko.

Von Demut allein kann ein spendenfinanziertes Medium freilich nicht leben. So sorgt Correctiv dafür, dass seine Leser per Live-Ticker über Demonstrationen und ihre Teilnehmerzahlen auf dem Laufenden gehalten werden. Der Weg vom Journalismus zum Aktivismus ist bei Correctiv kurz.

Zwischen Journalismus und Aktivismus

Nach eigener Auskunft handelt es sich um das erste spendenfinanzierte Netzwerk dieser Art in Deutschland. «Recherchen für die Gesellschaft» sind das erklärte Ziel. Das allein würde die Arbeit von Correctiv nicht hinreichend vom etablierten Journalismus unterscheiden. «Wir recherchieren und berichten nicht nur, sondern stossen Veränderungen für eine bessere Gesellschaft an», heisst es auf der Website der Redaktion.

Kann man von dem aktivistischen Habitus des Mediums auch auf die Verfasser der Remigrationsrecherche schliessen? Bei den meisten Autoren des Textes handelt es sich um erfahrene journalistische Rechercheure. Die stellvertretende Chefredaktorin Anette Dowideit etwa leitete zuvor das Investigativteam der «Welt».

Wenigstens bei einem Autor aber drängt sich die Frage nach der Trennung von Journalismus und Politaktivismus auf. Er heisst Jean Peters und drückte der AfD-Politikerin Beatrix von Storch 2016 eine Torte ins Gesicht. Ein Gericht verurteilte ihn daraufhin zu einer Geldstrafe wegen tätlicher Beleidigung. Die Frage, ob dieses Vorgehen bei der Anstellung von Peters problematisiert worden sei, wollte Correctiv nicht beantworten. Man habe ihn eingestellt, weil er ein ausgezeichneter Journalist sei.

Neben dem Aktivismusvorwurf versuchte die AfD die Glaubwürdigkeit von Correctiv auch durch den Verweis auf die staatlichen Zuwendungen infrage zu stellen. Das Medium macht gar kein Hehl daraus, dass es Geld vom deutschen Staat bezieht.

Tatsächlich flossen im vergangenen Jahr über die Bundeskasse, eine vom deutschen Finanzministerium beaufsichtigte Behörde, über 430 000 Euro an Correctiv. Auch die Landeshauptkasse Nordrhein-Westfalen überwies rund 145 000 Euro. Dabei handelte es sich um Förderungen von Demokratie- und Bildungsprojekten, die Correctiv veranstaltet.

Diese Mittel gehen laut Website nicht in die redaktionelle Arbeit, sondern in eine Tochtergesellschaft des gemeinnützig organisierten Mediums. «Unser Rechercheteam erhält keine staatlichen Zuwendungen», erklärt die Vizechefredaktorin Dowideit.

Den grössten Posten im Gesamtbudget machten im vergangenen Jahr Einzelspenden in Höhe von fast 1,9 Millionen Euro aus. Hinzu kommen Mittel von privaten Organisationen und Firmen. Seit Jahren steht dabei der amerikanisch-französische Milliardär Pierre Omidyar an erster Stelle. Der Ebay-Gründer unterstützt ähnliche Projekte auch in anderen Ländern.

Das Medium hält einen Monat nach Erscheinen an seiner Recherche zum Potsdamer Treffen fest. Fragt man die Teilnehmer des Treffens selbst, ergibt sich ein anderes Bild. Der Hotelier, Wilhelm Wilderink, in dessen Landhaus sich die Runde Ende November traf, weist die Behauptung zurück, es habe sich um ein Geheimtreffen gehandelt. Das Haus sei frei zugänglich gewesen, und es habe neben den Tagungsteilnehmern auch andere Gäste gegeben.

Der Hotelier geht aber noch weiter. «Es gab kein Geheimtreffen, es gab keinen Masterplan Remigration, es wurde nie über die Abschiebung von deutschen Staatsbürgern gesprochen», erklärte er. Ähnlich äusserten sich auch andere Teilnehmer wie etwa der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau.

Der «Remigrations»-Referent Martin Sellner, ein Vordenker der rechtsextremen Identitären Bewegung, soll im Wesentlichen aus seinem bereits seit Monaten erhältlichen Buch «Regime Change von rechts» vorgetragen haben. Von Massendeportationen deutscher Staatsbürger will der Österreicher dabei nicht gesprochen haben, wie er der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» sagte.

Correctiv behauptet das allerdings auch nicht direkt. Vielmehr soll Sellner gesagt haben, dass man auf nicht assimilierte Bürger einen «hohen Anpassungsdruck» ausüben müsse, zum Beispiel über «massgeschneiderte Gesetze». Ein solcher Vorschlag ist freilich auch dann problematisch, wenn er ohne Zwang oder auf gesetzlicher Grundlage erfolgen sollte.

Wie nahe sind sich Sellner und die AfD?

Aber neu war das alles wie gesagt nicht. Somit dürfte sich die Brisanz der Recherche auf die Verbindungen Sellners zu AfD-Vertretern beschränken. «Dass sich nun AfD-Politiker aus dem Bundestag, aus dem Umfeld des Bundesvorstandes und ein Fraktionsvorsitzender offensiv mit der Umsetzung seines Planes befassen, war der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt», schrieb Correctiv.

Doch ob das Treffen trotz der Anwesenheit einiger hochrangiger AfD-Funktionäre einfach der Gesamtpartei zugerechnet werden kann, ist nicht eindeutig. Diese jedenfalls erteilte einer Einteilung des Staatsvolkes in Bürger erster und zweiter Klasse eine klare Absage.

So bleibt in der Summe eine Recherche, die sich in der medialen und politischen Rezeption irgendwann verselbständigt hat. So sprach etwa der «Spiegel» bald vom «Deportationsgipfel» – ein Begriff, den Correctiv im Text nicht verwendete.

Kritisch hinterfragt wurde die Recherche nur von wenigen Medien. Möglicherweise hat Mathias Brodkorb recht. Der frühere SPD-Politiker und Gründer von «Endstation Rechts», einer Initiative gegen Rechtsextremismus, beschrieb deutsche Journalisten im Magazin «Cicero» als Gefangene ihrer eigenen Narrative. Vielleicht sehen sie deswegen in einer legitimen, aber viele Fragen offenlassenden Recherche einen riesigen Scoop.

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