Seit Monaten hatte Israel einen Militäreinsatz in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt an der Gaza-Grenze zu Ägypten angekündigt. Verbündete warnten eindringlich vor hohen zivilen Verlusten.
Vor einem erwarteten Militäreinsatz hat Israels Armee am Montag mit der Evakuierung der Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen begonnen. Das Militär rief die Einwohner des östlichen Teils der Stadt an der Grenze zu Ägypten dazu auf, sich in das einige Kilometer nördlich gelegene Al-Mawasi-Lager am Mittelmeer zu begeben. «In diesem Moment werden Flugblätter über dem Gebiet abgeworfen», sagte ein Sprecher der israelischen Streitkräfte (IDF) am Montagmorgen. Ausserdem warnen die IDF die Zivilbevölkerung laut eigenen Angaben mit SMS, Telefonanrufen sowie Medienberichten auf arabisch. Die israelischen Streitkräfte gehen davon aus, dass die Evakuierung in diesem ersten Schritt rund 100 000 Zivilisten betrifft.
Israel koordiniert nach Angaben des Militärs die Errichtung zusätzlicher Feldspitäler in der humanitären Zone. Ausserdem habe das Militär medizinisches Gerät in den Gazastreifen gebracht. «Wir haben die Menschen aufgefordert in die humanitäre Zone zu gehen, die sicherer ist», sagte ein Sprecher des israelischen Militärs. «Allerdings hat die Hamas auch aus diesen humanitären Zonen auf uns gefeuert.» Inwieweit Israel auf Feuer der Hamas aus dieser Zone reagieren wird, sagte der Sprecher nicht.
Einsatz laut Gallant alternativlos
Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant bezeichnete einen bevorstehenden Militäreinsatz in Rafah als alternativlos. Gallants Büro teilte am Montag mit, der Verteidigungsminister habe dies in einem Telefonat seinem amerikanischen Amtskollegen Lloyd Austin gesagt. Die USA lehnen eine solche Offensive klar ab, solange Israel nicht plausibel darstellen kann, wie es zuvor Hunderttausende Binnenflüchtlinge in Sicherheit bringt, die sich dort drängen. Der ranghohe Hamas-Funktionär Sami Abu Zuhri sprach von einer «gefährlichen Eskalation, die Folgen haben wird».
Indirekte Verhandlungen Israels mit der Hamas in Kairo über eine neue Feuerpause im Gaza-Krieg und die Freilassung von Geiseln im Gegenzug für palästinensische Häftlinge waren zuvor ohne Ergebnis geblieben. Daher sei eine Militäraktion in Rafah jetzt notwendig und ohne Alternative, sagte Gallant.
Israel will mit dem Militäreinsatz in Rafah die verbliebenen Bataillone der islamistischen Terrororganisation Hamas zerschlagen. Es werden auch Geiseln in der Stadt an der Grenze zu Ägypten vermutet.
Israel hält an Einsatz fest
Israels Verbündete hatten seit Monaten eindringlich vor einer solchen Offensive in Rafah gewarnt, weil sich dort rund 1,5 Millionen palästinensischer Binnenflüchtlinge drängen. Israel hält den Einsatz jedoch für unumgänglich, um eine Zerstörung der Kampffähigkeiten der Hamas sicherzustellen. Anderenfalls könne sie nach Kriegsende wiedererstarken.
Mitglieder des militärischen Hamas-Arms hatten am Sonntag Raketen auf den israelischen Grenzübergang Kerem Shalom gefeuert und dabei drei israelische Soldaten getötet. Kerem Shalom ist der wichtigste Grenzübergang für die Lieferung von Hilfsgütern aus Israel in den Gazastreifen. Die Armee schloss ihn nach dem Raketenangriff vorübergehend für humanitäre Transporte. Das Militär bombardierte im Anschluss laut eigenen Angaben im Gazastreifen den Ort in der Nähe des Grenzübergangs Rafah zu Ägypten, von dem der Angriff ausgegangen war. Der Grenzübergang blieb laut Angaben der israelischen Armee auch am Montag geschlossen.
Evakuierung könnte Wochen dauern
Vor Kampfeinsätzen in Rafah will Israel die Stadt laut eigenen Angaben zunächst evakuieren. Es wird erwartet, dass dies mehrere Wochen dauern könnte. Die Hamas habe ihre Kämpfer in Rafah auf den Einsatz gegen Israel vorbereitet und sie mit Proviant und Waffen versorgt, hiess es aus Israel dazu. Auch die Zahl der Wächter für die Geiseln ist nach Medienberichten verstärkt worden.
Nach Informationen des «Wall Street Journal» will Israel seine Bodenoffensive in Rafah in Etappen durchführen. Das Blatt schrieb von zwei bis drei Wochen Evakuierung und sechs Wochen Offensive.
Humanitäre Krise wird befürchtet
Ranghohe israelische Geheimdienst- und Militärbeamte waren im vergangenen Monat in Kairo unter anderem mit dem ägyptischen Geheimdienstchef zusammengetroffen, um Israels geplanten Einsatz seiner Armee in Rafah zu besprechen. Zuvor hatte der Vorsitzende des ägyptischen Staatsinformationsdiensts SIS, Diaa Raschwan, noch erklärt, man führe keine Gespräche mit Israel über dessen mögliche Militäroffensive in Rafah. Ägypten lehne Pläne für solch eine Offensive entschieden ab und habe diese Position auch mehrfach klargestellt. Die Stadt im Süden gilt als die einzige in dem abgeriegelten Küstenstreifen, die noch vergleichsweise intakt ist.
Ägypten befürchtet unter anderem, es könnte bei einem Einsatz Israels in Rafah zu einem Ansturm von Palästinensern über die Grenze kommen. In Rafah liegt der Grenzübergang vom Gazastreifen nach Ägypten, es ist auch ein wichtiges Tor für humanitäre Hilfslieferungen in den abgeriegelten Küstenstreifen. Heftige Kämpfe in Rafah könnten die Lieferungen von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff weiter erschweren.
Mit Agenturmaterial