Sonntag, November 24

Die freisinnige Elisabeth Kopp tätigte einen folgenschweren Anruf und trat wegen des öffentlichen Drucks zurück.

Als Elisabeth Kopp am 2. Oktober 1984 zum Rednerpult im vollen Nationalratssaal schreitet, denkt sie sich, wie sie 2019 gegenüber SRF sagt: «Du muss das in jeder Beziehung so gut machen, dass keiner mehr sagen kann: Frauen können das nicht.»

Kopp ist soeben mit 124 Stimmen in den Bundesrat gewählt worden. Als erste Frau überhaupt nach 93 männlichen Bundesräten. Dreizehn Jahre nach Einführung des nationalen Frauenstimmrechts. Sieben Jahre vor Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton Appenzell Innerrhoden.

Bis heute sind neun weitere Frauen in den Bundesrat gewählt worden: Ruth Dreifuss, Ruth Metzler-Arnold, Micheline Calmy-Rey, Eveline Widmer-Schlumpf, Doris Leuthard, Simonetta Sommaruga und die derzeitigen Bundesrätinnen Viola Amherd, Karin Keller-Sutter und Elisabeth Baume-Schneider.

Sie alle hatten mögliche Vorbilder im Bundesrat, Kopp nicht.

Verlobt am ersten Tag

Als Kopp 1936 in Zürich auf die Welt kommt, bekleiden fast ausnahmslos Männer öffentliche Ämter. Es ist eine andere Welt, viele Schülerinnen tragen Röcke, Kopp hingegen zieht als 14-Jährige Hosen an. Bis sie vom Schulleiter ermahnt wird, sie solle sich umziehen. Also taucht Kopp mit einem alten Cocktailkleid der Mutter in der Schule auf, so erzählt sie es SRF.

Viermal nimmt sie an den Schweizer Meisterschaften im Eiskunstlauf teil. Der Schulrektor sagt ihr: «Aus dir wird höchstens einmal ein Eisrevue-Star.» Doch Kopp wird Jus-Studentin und danach Juristin – und im Herbst 1956 eine Aktivistin für die antikommunistische Revolution in Ungarn. Sie liefert Hilfsgüter, tritt dem Frauenhilfsdienst der Armee bei und der Frauengruppe der Zürcher FDP.

Im gleichen Jahr reist sie für eine Veranstaltung nach Berlin. Der später schweizweit bekannte Anwalt Hans W. Kopp sitzt im gleichen Flugzeug, sie schütteln sich die Hände. Wenige Stunden danach kehren die beiden in der Berliner Bar «Die Badewanne» ein. Noch am selben Abend sind sie verlobt. Liebe auf den allerersten Blick.

«Mir durfte kein Fehler unterlaufen»

Tochter Brigitt kommt zur Welt, es vergehen ruhigere Jahre. Bis Kopp 1970 Gemeinderätin in Zumikon im Kanton Zürich wird. Der Beginn ihrer politischen Karriere. 1974 wird Kopp eine der ersten Gemeindepräsidentinnen in der Schweiz, 1979 Nationalrätin. In dieser Zeit verändert sich auch Bundesbern, 1983 kandidiert die SP-Nationalrätin Lilian Uchtenhagen erfolglos für den Bundesrat, im folgenden Jahr Kopp. Erfolgreich.

Damit verändert sich die Statik in der Landesregierung. Der sozialdemokratische Bundesrat Otto Stich sei «desillusioniert» aus der ersten Bundesratssitzung mit Kopp gekommen, heisst es. Überliefert ist sein Ausspruch: «Heute war alles anders als bisher. Niemand hat mehr einen Witz erzählt.»

Kopp selbst fühlt sich unter Druck. «Mir durfte kein Fehler unterlaufen», sagt sie Jahre später der NZZ. Und tatsächlich macht sie wenig Fehler.

Kopp setzt einen Delegierten für das Asylwesen ein. Sie ist beteiligt an der Ausarbeitung des neuen Eherechts, das die Stellung der Frau verbessert. Sie bringt ein neues Asylgesetz durch, obschon es von links bis rechts Widerstand gibt. Und sie stösst ein neues Gesetz gegen Geldwäscherei an. Es sind lange Tage, und ihr Mann, Hans W., hält zu Hause häufig die Stellung. Es sind, für die Gesellschaft dieser Zeit, vertauschte Rollen.

Mediale Goldgräberstimmung

Doch auch Kopps Mann ist oft unterwegs. Er ist Wirtschaftsanwalt und sitzt in vielen Verwaltungsräten. Und taucht 1988 vermehrt in den Medien auf. Er soll Kontakte zu Firmen pflegen, die Geldwäsche betreiben, ausgerechnet.

Irgendwann erhält Kopp einen Anruf einer persönlichen Mitarbeiterin, die sagt, die Shakarchi Trading AG werde mit Geldwäsche in Verbindung gebracht. Einer der Verwaltungsräte des Unternehmens: Kopps Mann.

Elisabeth Kopp ruft ihn sofort an und bittet ihn, aus dem Verwaltungsrat auszutreten. Kopp behält das Telefonat mit ihrem Mann für sich. Erst als die Medien Wochen später davon erfahren, informiert sie den Bundesrat und die Öffentlichkeit. Aber das Narrativ hat sich festgesetzt: Kopp habe Insiderwissen benutzt, um ihren Mann zu warnen. «Die Bundesrätin erschien als schiere First Lady, welche ihrem Mann, der die Fäden zog, dienstbar zur Seite stand», heisst es im Buch «Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert» des Schweizer Historikers Jakob Tanner.

Kopps Position wird deshalb schwächer, das Vertrauen des Bundesrates schwindet, ihre Partei, die FDP, wendet sich von ihr ab. Der Druck steigt, auch auf Kopps Familie: Die damals 25-jährige Tochter Brigitt sagt, sie habe in jener Zeit täglich unter ihr Auto geschaut, weil Sprengsätze befürchtet wurden.

Im Dezember 1988 gibt Kopp ihren Rücktritt bekannt. «Die Verdächtigungen und Unterstellungen, nicht allein gegen meine Familie, sondern jetzt auch gegen mich selbst, haben zunehmend einen Grad und eine Dimension erreicht, die untragbar sind», sagt sie. «Aus», titelt der «Blick», als Kopp ihr Amt niederlegt.

Entschuldigung des Bundesrates

Es ist eine eigentümliche Vermengung: Kopps Leistung als Bundesrätin, das Geschäftsgebaren des Mannes, das verschwiegene Telefonat, die fehlende Rückendeckung von Bundesrat und FDP, das Medienspektakel. Die parlamentarische Untersuchungskommission legt im November 1989 jedenfalls wenig neue Erkenntnisse vor. Vom Vorwurf der Amtsgeheimnisverletzung wird Kopp freigesprochen.

Ein Jugendporträt der 1936 geborenen Elisabeth Kopp.

RDB / Getty

Wohl wenige Bundesräte mussten so viel Druck aushalten wie Elisabeth Kopp. Selbst in den Jahren nach dem Rücktritt spürte sie die Auswirkungen dieser turbulenten Wochen. Viele Altbundesräte erhalten hochdotierte Mandate. Kopp nicht. Stattdessen arbeitete sie im Büro ihres Mannes mit und hielt Referate.

Im April 2023 starb Kopp 86-jährig in Zumikon, wo sie einst ihre politische Karriere begann, wo sie noch jahrelang Gemeindeversammlungen besucht hat. Nach dem Gedenkgottesdienst sagte Karin Keller-Sutter, der Bundesrat habe damals «eines seiner Mitglieder in den vielleicht schwierigsten Momenten seines Lebens alleingelassen». Dass Frauen heute «nicht mehr stellvertretend für alle» beweisen müssten, dass sie es auch könnten, sei auch Kopps Verdienst. Eine späte Anerkennung für das Wirken einer Frau, die heute als Pionierin rehabilitiert ist.

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