Donnerstag, Dezember 26

Im Havelland bei Berlin haben Forscher mehr als 20 Meteorite eines seltenen Typs gefunden. Ihre Geduld wurde allerdings auf eine harte Probe gestellt.

Es war ein Schauspiel, wie es sich nicht alle Tage bietet. In der Nacht zum 21. Januar verglühte nordwestlich von Berlin ein Asteroid in der Atmosphäre. Am Himmel flammte eine Feuerkugel auf, deren Leuchtspur sekundenlang zu sehen war. Für Experten war augenblicklich klar: Da musste etwas Grösseres in die Atmosphäre gerauscht sein.

Fireball over Germany created by asteroid 2024 BX1

Schon am nächsten Tag machten sich die ersten Suchtrupps auf den Weg, um nach Meteoriten, also Fragmenten des Asteroiden, zu suchen. Mit Erfolg: Wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) diese Woche berichtet, wurden im Havelland nordwestlich von Berlin mehr als 20 Meteorite gefunden. Die grössten sind so gross wie eine Walnuss.

Eine erste Analyse zeigt, dass die Meteorite zur Klasse der Aubrite gehören. Dabei handelt es sich um eine seltene Klasse von Steinmeteoriten, die wegen ihres unscheinbaren Äusseren kaum von gewöhnlichem Gestein zu unterscheiden sind.

Eine Entdeckung mit Ansage

Die Entdeckung der Meteorite ist eine Entdeckung mit Ansage. Die Geschichte beginnt mit dem ungarischen Amateurastronomen Krisztian Sarneczky. In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar informierte er das Minor Planet Center der Internationalen Astronomischen Union, dass in den nächsten Stunden ein etwa einen Meter grosser Asteroid in die Erdatmosphäre eintreten und dort verglühen werde.

Ein Grund zur Besorgnis war das nicht. Asteroiden dieser Grösse treffen alle paar Wochen auf die Erdatmosphäre, ohne grösseren Schaden anzurichten. In den meisten Fällen bleiben sie unbemerkt. Bis heute ist es nur in acht Fällen gelungen, einen Asteroideneintritt vorherzusagen. Und dreimal war Sarneczky daran beteiligt. Deshalb geniesst der Amateurastronom in Fachkreisen grossen Respekt.

Anhand der Bahndaten von Sarneczky berechneten Experten der Nasa, dass der Einschlag des Asteroiden gegen 1 Uhr 32 erfolgen würde. Gegen Mitternacht verschickte die Nasa eine entsprechende Mitteilung. So kam es, dass die Teleskope von Profi- und Amateurastronomen auf den Himmel gerichtet waren, als der Asteroid 2024 BX1 zur vorhergesagten Zeit in die Atmosphäre eintrat. Auch zahlreiche Schaulustige hielten das seltene Schauspiel mit ihren Mobiltelefonen fest.

Die aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommenen Leuchtspuren halfen dabei, das Suchgebiet für Meteoritenfragmente einzugrenzen. Bereits am nächsten Tag machten sich die ersten Meteoritenjäger auf den Weg ins Havelland westlich von Berlin. An der Suche beteiligten sich auch Mitarbeiter des Museums für Naturkunde in Berlin, des DLR, der FU Berlin, der TU Berlin sowie des Seti-Instituts in den USA.

Man muss wissen, wonach man sucht

Die Meteoritenexperten taten sich allerdings zunächst schwer damit, Fragmente des Asteroiden zu finden. Vier Tage lang suchten sie vergeblich. Erst der Fund eines polnischen Teams öffnete ihnen die Augen. Er zeigte ihnen, wonach sie zu suchen hatten. Als der Bann gebrochen war, ging es sehr schnell. Bis zum 28. Januar sammelten die Experten mehr als 20 Meteorite unterschiedlicher Grösse.

Meteorite erkennt man oft daran, dass sie von einer dunklen Schmelzkruste überzogen sind. Diese entsteht, wenn das Gestein bei seinem Höllenritt durch die Atmosphäre aufgeschmolzen wird und anschliessend wieder abkühlt. Die Fragmente von 2024 BX1 lassen dieses typische Merkmal vermissen. Das ist der Grund, warum sie zunächst unerkannt blieben.

Auch sonst gibt es grosse Unterschiede zu typischen Meteoriten. Viele Meteorite gehören zur Klasse der Chondriten. Diese bestehen aus millimetergrossen Kügelchen, die in eine feinkörnige Grundmasse eingebettet sind. Im aktuellen Fall fehlen diese Einschlüsse. Statt dessen ähneln die Fragmente von 2024 BX1 grauem Granit. Dass sie zur seltenen Klasse der Aubrite gehören, unterstreichen Untersuchungen mit einer Elektronenstrahlsonde.

In Zukunft werden die Meteorite im Museum für Naturkunde in Berlin aufbewahrt. Hier befinden sie sich in guter Gesellschaft. Das Museum beherbergt auch das Belegexemplar, das den Aubriten ihren Namen verliehen hat. Es wurde im Jahr 1836 bei Aubres im Südosten Frankreichs gefunden und damals erstmals wissenschaftlich beschrieben.

Woher kommen die Aubrite?

Bis heute ist unklar, woher die Aubrite kommen. Manche Astronomen vermuten, dass der Mutterkörper aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter stammt. Andere Forscher bringen ihn mit dem erdnahen Asteroiden 3103 Eger in Verbindung.

Jüngst ist sogar der Verdacht aufgekommen, die auf der Erde gefundenen Aubrite könnten vom Merkur stammen. Gemäss dieser Hypothese ist der sonnennächste Planet im Sonnensystem in jungen Jahren von einem grossen Himmelskörper getroffen worden. Dabei soll seine Hülle weggesprengt worden sein.

Jörn Helbert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist optimistisch, dass die neuen Meteorite helfen werden, mehr über die Herkunft der Aubrite herauszufinden. Die Proben seien frisch und unverfälscht. Ausserdem verrate der zuvor beobachtete Feuerball, aus welcher Richtung der Asteroid gekommen und mit welcher Geschwindigkeit er in die Erdatmosphäre eingedrungen sei. All das erlaube Rückschlüsse auf den Mutterkörper. Von daher sei der Meteoritenfund ein aussergewöhnliches Ereignis, das die Forschung mit Sicherheit weiterbringen werde.

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