Am Bond-Markt gehen die Renditen trotz sinkender Leitzinsen durch die Decke. Die höheren Kreditkosten könnten den Spielraum der Regierung Trump einschränken.
Der legendäre Clinton-Berater James Carville hat sich mit seiner Voraussage, Kamala Harris werde die nächste US-Präsidentin, gründlich verhauen. Seine Aussagen zum Bond-Markt bleiben gleichwohl unantastbar. Er habe sich immer gewünscht, in einem nächsten Leben als Papst oder Basketball-Star auf die Welt zu kommen, sagte Carville nach Clintons Amtsantritt 1993. «Aber jetzt möchte ich als Bond-Markt zurückkommen. Du kannst jeden einschüchtern.»
Die steigenden Zinsen auf Staatsanleihen hinderten Bill Clinton daran, seine Ausbaupläne für den Wohlfahrtsstaat umzusetzen und zwangen ihm einen harten Sparkurs auf. Heute sieht sich Donald Trump ebenfalls mit den Launen des Bond-Marktes konfrontiert.
Renditen steigen trotz Zinssenkungen
Obwohl die US-Notenbank seit September die Leitzinsen zweimal senkte, steigen die Zinsen der amerikanischen Staatsanleihen. Mit 4,6 Prozent liegt die Rendite der 10-jährigen Treasury Bonds zwar deutlich unterhalb des Niveaus der frühen 1990er Jahre, doch es gibt kein anderes Phänomen, das Politik und Finanzmärkte derzeit ähnlich in seinen Bann zieht. Fallende Leitzinsen sollten eigentlich tiefere Kosten für Schulden nach sich ziehen. Warum entziehen sich die Märkte heute dieser Regel?
Der Charme des Rätsels liegt auch darin, dass die Antworten weit auseinandergehen: entweder Himmel oder Hölle, dazwischen gibt es wenig.
Schuldenkrise oder goldenes Zeitalter
Die Pessimisten sehen in den steigenden Schuldzinsen eine Revolte der «Bond vigilantes». Die Wächter der Anleihen verweigern sich der staatlichen Defizitwirtschaft und fordern ihren Tribut in Form höherer Zinsen. Der Markt spricht in dieser Lesart eine Warnung an Trump aus: Steuersenkungen und höhere Staatsausgaben werden einen hohen Preis haben. Die Märkte würden Trump die gleiche Lektion erteilen wie Clinton und Carville vor 30 Jahren. Er müsste sich der Macht der Investoren beugen und seine Pläne begraben.
Die zweite Lesart sieht in den steigenden Zinsen kein Alarmsignal, sondern die Vorboten auf eine blühende Zukunft. Die Märkte stellen sich darauf ein, dass die Trumponomics mit Deregulierung und Steuersenkungen die Konjunktur auf Jahre hinaus in Schwung halten und der Einsatz von künstlicher Intelligenz die Produktivität der US-Wirtschaft auf ein höheres Niveau hebt. Die steigenden Zinsen sind in dieser Variante Ausdruck davon, dass ein solcher Boom zwangsläufig einen Inflationsdruck ausüben wird. Bedrohlich ist dies aber nicht.
Tiefe Kurse bieten Kaufgelegenheit
Weil niemand weiss, welche Version näher an der Wahrheit liegt, sind die Märkte hypernervös. Jede noch so minimale Zinsänderung führt zu grossen Ausschlägen. Diese Woche wurde bekannt, dass die Kerninflation in den USA überraschend von 3,3 auf 3,2 Prozent gesunken ist. In der Hoffnung, dass dies weitere Zinssenkungen des Fed zur Folge haben könnte, zündeten die Aktienmärkte ein Feuerwerk. Beim nächsten Anstieg der Inflation dürfte es wieder in die Gegenrichtung gehen.
Anleger brauchen derzeit starke Nerven. Doch es gibt auch Chancen: Die Kurse langfristiger US-Staatsanleihen notieren derzeit auf einem historischen Tief, denn Kurse und Renditen verhalten sich gegenläufig. Es könnte sich lohnen, sich damit einzudecken. Denn irgendwann werden die Zinsen wieder fallen.