Freitag, September 27

Nach den ersten Erfolgen gegen den Hizbullah stellt sich für Israel die Frage, wie es weitergeht. Die Armeeführung fordert eine Bodenoffensive in Südlibanon. Derweil versuchen mehrere Staaten, eine vorübergehende Waffenruhe auszuhandeln.

Seit Tagen überzieht die israelische Luftwaffe das südliche Libanon und das Bekaa-Tal mit massiven und verheerenden Bombardements. Laut der Armee wurden allein in den ersten drei Tagen der Operation «Nördliche Pfeile» 2000 Stellungen und Waffenlager des Hizbullah angegriffen. Die Schiitenmiliz schiesst zwar immer wieder Raketen zurück, doch zu einer grösseren Reaktion scheint sie derzeit nicht fähig.

Israel verfolgt das Ziel, die Rückkehr der Bewohner Nordisraels in ihre Häuser zu ermöglichen, die in den vergangenen Monaten wegen des anhaltenden Beschusses durch den Hizbullah evakuiert werden mussten. Doch wie lässt sich das erreichen? Die Luftangriffe, die Pager-Operation und die Tötung von mehreren Kommandanten haben die islamistische Truppe zwar geschwächt, aber die von ihr ausgehende Gefahr noch lange nicht gebannt. Was also kommt als Nächstes?

Reserve-Brigaden einberufen

Für Israels Armeeführung scheint die Sache klar zu sein: Sie pocht auf eine Bodenoffensive in Südlibanon. «Wir bereiten ein Manöver vor. Eure Stiefel werden in feindliches Gebiet eindringen», sagte der israelische Armeechef Herzl Halevi am Montag bei einem Truppenbesuch. Auch der für die Nordfront zuständige General, Uri Gordin, spricht sich öffentlich für einen Einmarsch und die Schaffung einer Pufferzone in Südlibanon aus.

Erste Vorbereitungen sind offenbar bereits im Gange. Schon vergangene Woche wurde die 98. Fallschirmjäger-Division vom Gazastreifen nach Nordisrael verlegt. Am Mittwoch wurde zudem bekannt, dass die Armee zwei Reserve-Brigaden einberufen hat, die im Norden zum Einsatz kommen sollen. Noch ist offen, ob sich Israel tatsächlich zu einem Vorrücken am Boden entscheiden wird – doch schon allein die Aussicht auf ein solches Manöver erhöht den Druck auf den Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, was sich mit einer Bodenoffensive überhaupt erreichen liesse. Der Sicherheitsexperte Danny Citrinowicz von der israelischen Denkfabrik INSS gibt sich skeptisch: «Eine Bodenoffensive könnte ein wichtiger operativer Schritt sein, mit dem wir Infrastruktur im Grenzgebiet zerstören und den Hizbullah zurückdrängen könnten», sagt er. «Doch auf der strategischen Ebene würde sich die Gefahr einer regionalen Eskalation mit iranischer Beteiligung erhöhen – und wir würden möglicherweise für eine längere Zeit in den libanesischen Schlamm gezogen.»

Laut Citrinowicz wäre eine Offensive in Südlibanon für Israels Armee enorm kostspielig: «Der Hizbullah ist nicht die Hamas. Er hat sich 20 Jahre lang vorbereitet, verfügt über moderne Waffen und Tausende von erfahrenen Kämpfern.» Israel dürfe angesichts der ersten Erfolge nicht arrogant werden. Er verweist auf vergangene Kriege, auch jenen in Gaza: «Wir sind jeweils zu Beginn sehr effektiv mit Luftangriffen. Danach, wenn wir vorrücken, wird es problematisch.»

Gerüchte um Waffenruhe sorgen für Empörung

Noch scheint eine Bodenoffensive nicht unmittelbar bevorzustehen. Die bisher mobilisierten Reserve-Brigaden reichen für ein solches Unterfangen wohl nicht aus. Zudem würde der Entscheid für eine Bodenoperation nicht von der Armeeführung, sondern von der Regierung getroffen. Und diese steht derzeit unter internationalem Druck: Mehrere westliche Staaten versuchen derzeit händeringend, eine weitere Eskalation auf diplomatischem Wege noch abzuwenden.

Angeführt von den USA und Frankreich, haben am Mittwochabend mehrere Verbündete Israels zu einer sofortigen, 21-tägigen Waffenruhe aufgerufen. Dadurch solle die Möglichkeit entstehen, eine diplomatische Einigung zwischen Israel und Libanon auszuarbeiten, hiess es in der Mitteilung. Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen hatte den Aufruf zunächst begrüsst und verkündet, dass sein Land eine diplomatische Lösung bevorzuge.

Tatsächlich sah es am Donnerstagmorgen vorübergehend danach aus, als stehe eine Einigung unmittelbar bevor. Mehrere Medien berichteten, dass wohl innert Stunden eine Waffenruhe ausgerufen werde. Doch diese Hoffnungen lösten sich schnell in Luft auf. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der am Donnerstag zur Uno-Generalversammlung in New York eingetroffen war, bezeichnete die Berichte nach seiner Landung als «das Gegenteil der Wahrheit». Wenig später doppelte Aussenminister Israel Katz nach: «Es wird keine Waffenruhe im Norden geben», teilte er mit.

Denn in der Zwischenzeit hatten die Gerüchte über eine möglicherweise bevorstehende Waffenruhe eine regelrechte Empörungswelle in Israel ausgelöst. Unter den Kritikern waren die üblichen Verdächtigen: Itamar Ben-Gvir, der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit, drohte analog zum Gaza-Krieg mit dem Koalitionsbruch, sollte Israel einer Waffenruhe zustimmen. Doch auch innerhalb von Netanyahus Partei brandete Kritik auf. Avichai Stern, der Bürgermeister von Kiryat Shmona, einer evakuierten Stadt in der Nähe der libanesischen Grenze, sagte: «Jetzt, da der Staat endlich seine Verpflichtung erfüllt, reden sie über eine Waffenruhe. Doch eine Einigung wird Kiryat Shmona nicht zurückbringen.»

Selbst unter jenen, die sich sonst lautstark für eine Waffenruhe im Gazastreifen einsetzen, löste der amerikanisch-französische Plan für eine Einigung im Norden keine Euphorie aus. Der zentristische Oppositionsführer Yair Lapid teilte mit, eine Waffenruhe dürfe maximal sieben Tage dauern, damit sich der Hizbullah nicht neu aufstellen könne. Auch der Parteichef der linken Demokraten sagte, 21 Tage seien zu lang. Während der Krieg in Gaza die Geister scheidet, steht ein Grossteil Israels hinter dem harten Vorgehen in Libanon.

«Wir können den Hizbullah nicht zerstören»

Für den Sicherheitsexperten Danny Citrinowicz ist dennoch klar, dass es früher oder später eine politische Lösung brauchen wird. Es sei unrealistisch, dass der Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah seine Unterstützung der Hamas aufgeben und den Beschuss einstellen werde, selbst bei einer allfälligen Bodenoffensive.

«Die Menschen in Israel denken, dass die Armee alle Bedrohungen für Israel beseitigen kann. Aber wir können weder die Hamas noch den Hizbullah zerstören», sagt Citrinowicz. Ohne eine Lösung im Gazastreifen gebe es auch keine Lösung im Norden. «Strategisch haben wir uns in eine sehr schlechte Lage manövriert. Ich denke, wir sind einer Ausweitung des Krieges viel näher als seiner Beendigung.»

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