Wie schützt sich der Mediennutzer vor Falschinformationen? Ein Misstrauensvorschuss könnte zu mehr Vorsicht verhelfen.
Falschinformationen sind in den sozialen Netzwerken verbreitet. Unwahre Behauptungen, Verschwörungstheorien, fehlerhafte, von KI-Systemen generierte Inhalte. Wie also kann Medienkompetenz gewährleistet werden? Indem man das Paradigma der Glaubwürdigkeit medialer Inhalte zugunsten einer Vermutung der Unrichtigkeit ersetzt.
Hier wird die Ansicht verfolgt, dass «Desinformation» eine beabsichtigte Falschinformation darstellt, während der Oberbegriff «Falschinformation» eine unwahre Information meint. Wird eine in diesem Sinne verstandene Falschinformation medial verbreitet, ist auch die Rede von Fake News. Falschinformationen können auch versehentlich entstehen und dann ebenso versehentlich verbreitet werden. Die Ursachen dafür sind unterschiedlich, beispielsweise aus Unaufmerksamkeit oder Unsorgfalt. Ob und wieweit hierbei ein (redaktionelles) Verschulden vorliegt, ist ebenfalls nicht auszuschliessen.
Dabei muss man zuerst einmal klären, unter welchen Umständen einer Wahrheitspflicht nachzukommen ist. Eine gesetzlich vorgeschriebene Wahrheitspflicht für Medien besteht allgemein nicht. Sie leitet sich auch nicht aus dem Sachgerechtigkeitsgebot ab, wie es für redaktionelle Sendungen bei Radio und Fernsehen gilt. Vielmehr besteht lediglich eine Pflicht zur Wahrhaftigkeit. Die Wahrhaftigkeit bezieht sich auf die subjektive Wahrnehmung, also auf das, was nach bestem Wissen und Gewissen persönlich für wahr gehalten wird.
Bei lauterkeitsrechtlichen Bestimmungen findet sich unter anderem ein Gebot zur Wahrheit beziehungsweise Richtigkeit, nämlich dass eine Information richtig sein muss. Dieses und weitere Gebote dienen der Transparenz innerhalb der kommerziellen Kommunikation. Solche Grundsätze kann man auch auf den Bereich der Medien anwenden, da diesen eine gewisse Allgemeingültigkeit zukommt. Ebenso gilt das für die Kriterien der Kennzeichnung und Erkennbarkeit.
Medienkompetenz ist auch ein Schutz
Forderungen nach mehr Transparenz und damit Erkennbarkeit von falschen Informationen jeder Art sind nicht neu. Seit Jahrzehnten werden Massnahmen für den Umgang mit Medien entwickelt. Allerdings ist deren Wirkung vergleichsweise gering. Denn Kennzeichnungen erlangen im Allgemeinen keine grosse Wirkung bei der Wahrnehmung von Inhalten – sofern die Kennzeichnung selbst überhaupt wahrgenommen wird. Oder, noch bedenklicher: verstanden wird.
Medienkompetenz schützt primär den Medienkonsumenten. Wer über sie verfügt, kann Medieninhalte besser verstehen und kritisch bewerten. Das Anforderungsprofil dafür lässt sich aus dem anerkannten Konsumentenleitbild herleiten, wonach vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittskonsumenten auszugehen ist.
Das Kriterium der Informiertheit verlangt bestimmte Kenntnisse, um Medieninhalte adäquat nutzen zu können. Bedingung ist somit ein entsprechendes Vorwissen. Die Fähigkeit zum Verstehen und kritischen Bewerten von Medieninhalten wiederum bedingt Aufmerksamkeit. Das dritte Kriterium verweist auf die Fähigkeit zur formalen Erkennung des (deklarierten) Inhalts.
Dieses Anforderungsprofil ist zugegebenermassen anspruchsvoll. Dass dieses nicht hinreichend erfüllt wird, ist unbestritten. Die Medienkompetenz ist ernüchternd.
Informationen als Erzählung sehen
Wie könnte sich der adäquate Umgang mit Falschinformationen also verbessern? Medienkonsumenten sollten zu ihrem Vorteil erst einmal davon ausgehen, dass die vermittelten Inhalte unrichtig sind – zumindest solange sie keine gesicherte Kenntnis über die Richtigkeit der Angaben haben. Nach diesem Ansatz würde man immer zuerst eine Unrichtigkeit vermuten. Der Vertrauensvorschuss würde abgelöst von einem Misstrauensvorschuss.
Die Unrichtigkeitsvermutung wäre bei Beiträgen in sozialen Netzwerken und besonders bei durch generische Sprachsysteme gelieferten Inhalten angebracht. Selbst bei traditionellen Medien wäre eine erhöhte Aufmerksamkeit der bisherigen Rezeption gegenüber nicht abträglich. Bei «Fake-Fotos» hiesse dies: Man darf vermuten, dass die Bilder nicht der Realität entsprechen. Eine «gesunde» Skepsis, welcher der gesunde Menschenverstand zugrunde liegt, ist für eine gebotene Vorsicht hilfreich.
Sollte man sich indessen mit dieser Unrichtigkeitsvermutung schwertun, wären solche Informationen einfach als Erzählungen zu rezipieren. Wie bei Märchen wäre die Geschichte in sich wohl schlüssig – aber sie spielt nicht in der Realität. Frei nach dem Motto: «Ist es nicht wahr, so ist es doch wirklich.» Und die Leser wissen das.
Solange die erforderliche Medienkompetenz für den Umgang mit Falschinformationen mangelhaft ist, kann eine Unrichtigkeitsvermutung die Gefahr von Täuschungen und Irreführungen aller Art zumindest reduzieren.
Mischa Senn ist Dozent für Medien- und Werberecht, Fachexperte und Vizepräsident der Schweizerischen Lauterkeitskommission sowie Handelsrichter am Handelsgericht Zürich.