Dienstag, November 26

Der Einbruch des japanischen Leitindex Nikkei 225 von 42’000 auf 31’000 Punkte erinnert an den Schwarzen Montag von 1987. In den USA verlor allein Nvidia mehr als 1 Bio. $ und der gleichgewichtete S&P 500 stürzte auf das Niveau vom Februar. Vorteil der am Ende doch noch wirkenden monetären Bremspolitik ist die erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass das Fed die Zinssenkung vorzieht und gleich mit 0,5% startet.

Fast über Nacht brachen die Börsenkurse ein. Die Zeiten erinnern an den Börsencrash von 1987. Japan erlebte einen Absturz des marktbreiten Topix um 20% binnen drei Tagen, es war der schlimmste Rückgang seit 1949. Auch 1987 war die japanische Währung ähnlich wie heute einer der Mitauslöser des Crashs. Dazu kamen seinerzeit gestiegene Zinsen im Verlauf des Jahres und eine hohe Spekulationsbereitschaft.

2024 wirkt vieles ähnlich wie 1987: Amerikanische Privatanleger engagierten sich im Juli in Rekordhöhe bei US-Aktien und besonders bei den US-Technologie-Aktien. Berücksichtigt man, dass in Deutschland nur 8% des Gesamtvermögens der erwachsenen Bevölkerung in Aktien und Aktienfonds investiert ist (17,6% Aktionärsquote vom Finanzvermögen), dagegen in den USA die Alterssicherung bei mehr als der Hälfte der Bevölkerung im Wesentlichen aus Aktienbesitz besteht (dagegen kaum aus festverzinslichen Papieren), kann man sich die Auswirkungen auf Konsum und US-Konjunktur vorstellen.

Nachdem plötzlich die Rezessionswahrscheinlichkeit in den USA deutlich gestiegen ist, können auch Zinssenkungen ausserhalb der regulären Notenbanksitzungen (die nächste reguläre ist am 18. September) nicht ausgeschlossen werden. Morgan Stanley rechnet sogar mit mehreren Zinssenkungen nicht um 0,25, sondern um 0,5%. Theoretisch kann das Federal Reserve System (Fed) die kurzfristigen Zinsen um nicht weniger als 5,5 Prozentpunkte senken, so dass erhebliches Potenzial für die Notenbank besteht.

Die grosse Frage ist allerdings, wie die US-Börse, aber auch die Weltbörsen auf Zinssenkungen (die Europäische Zentralbank wird sicherlich mitziehen) reagieren. Der «Worst Case» wäre, dass die Zinssenkungen verpuffen. Schon zuletzt reagierte Wallstreet (ähnlich schon länger in China) nicht mehr auf die gesunkenen US-Renditen bei 10-Jahres-Anleihen (die seit dem Hoch von 5% immerhin auf 3,7% gefallen sind), sondern nur noch auf Konjunkturmeldungen, die sich entgegen allgemeiner Erwartung meist deutlich verschlechterten. Es bleibt also ratsam, bei einer vorsichtigen, defensiven Anlagepolitik zu bleiben.

Die Yen-Stärke ist eine Herausforderung für die Börsen

Besonders drastisch waren die jüngsten Kurseinbrüche am Montag in Japan mit 12%, in Korea mit 9% und in Taiwan mit mehr als 8%. Hauptauslöser war hier die Stärke des japanischen Yen, der zum Euro seit seinem Tief in der Spitzemehr als 10% gewann. Man fragt sich, wie die Weltbörsen auf diese Entwicklung reagieren.

Zahlreiche Indizes sind seit Jahresanfang im Minus, wie der Dow Jones Transportation mit –3,2%, der Nikkei 225 mit -2,6% oder der MDax mit -10% als Spiegelbild des breiten deutschen Marktes. Der französische Cac 40 liegt nur 2% im Minus seit Jahresanfang (Italien und Spanien +2%). Die Variante des S&P 500, in der alle Mitglieder das gleiche Gewicht erhalten, liegt nur 3% im Plus. Wie krisenhaft die Stimmung an den Weltbörsen eingeschätzt wird, zeigt der Wallstreet-Volatilitätsindex VIX, der binnen kurzer Zeit um mehr als 200% gestiegen ist (das Hoch war 67, jetzt liegt er bei 25).

Schwächezeichen von der US-Wirtschaft

Inflation und Arbeitsmarkt zeigen in den USA immer deutlicher abwärts. Die Zahl der in den USA neu geschaffenen Arbeitsplätze halbierte sich im Juli zum Vormonat nahezu auf 114’000 (und die neuen Stellen entstanden zu 70% beim Staat und im Gesundheitswesen).

Die Arbeitslosenquote stieg auf jetzt 4,3%, was auch damit zusammenhing, dass immer mehr Menschen einen Arbeitsplatz suchen beziehungsweise die sogenannte Partizipationsrate auf 62,7% (Höchststand für diesen Zyklus) stieg. Der erste US-Konjunkturindikator weist jetzt ganz knapp den Beginn einer Rezession aus. Nach der sogenannten Sahm-Regel ist eine 0,5%-Steigerung der Arbeitslosenrate gleichbedeutend mit dem Beginn einer Rezession.

Die Verschlechterung des US-Arbeitsmarktes kommt für die meisten Beobachter überraschend (rund 60% mehr neue Arbeitsplätze im letzten Monat wurden erwartet). Auch der etwas wahrscheinlicher gewordene Beginn einer US-Rezession kommt für über 80% der Beobachter völlig unerwartet. Entsprechend negativ reagierte die US-Börse und damit die Weltbörsen.

Die Sorglosigkeit gemahnt an das Jahr 2008

In Richtung Rezession weisen auch die US-Inflationsraten. Im vierten Monat stieg die Teuerungsrate (CPI) nur um 0,1% gegenüber dem Vormonat. Annualisiert bedeutet dies deutlich weniger als das Inflationsziel der Notenbank von 2% (die Inflation in der Eurozone lag dagegen zuletzt annualisiert über 3%). Je schwächer die US-Konjunktur, desto mehr dürfte sich die Teuerungsrate zurückbilden. Fast alle Konjunkturbeobachter hatten vergessen, dass die nach Volcker schärfste Bremspolitik der US-Notenbank immer noch wirkt. Nur weil diesmal die Zeitverzögerung länger war als in den anderen Konjunkturzyklen der Nachkriegszeit, hatte man die Rezessionsmöglichkeiten völlig abgeschrieben und allgemein nur ein «Soft Landing» eingepreist.

Ähnlich wie heute war es Mitte 2008, als allgemein die Prognose ebenso wie zuletzt «Soft Landing» hiess, obwohl dann eine heftige Aktienbaisse bis März 2009 startete und sich später herausstellte, dass die Rezession bereits im Dezember 2007 begonnen hatte. Auch diesmal ist denkbar, dass wir bereits mehrere Monate in einer Rezession sind, bevor dies die ersten Indikatoren signalisieren. Genauso wie das Fed zu spät mit den Zinserhöhungen im März 2022 begonnen hatte (die EZB noch später), hat man jetzt die US-Zinsen zu lange zu hoch gehalten. Es besteht damit kein Zweifel, dass die Notenbank die Zinsen am 18. September senken wird. Auch die nächsten beiden Zinssenkungen sind zu 100% bereits vom Markt eingepreist, inklusive einer Januar- Zinssenkung. Fast täglich steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass man den US-Leitzins am 18. September um 0,5% und nicht nur wie üblich um 0,25% senken muss.

Wie sind die Folgen für die Aktienmärkte und den Dollar? Als zuletzt am vergangenen Freitag (2. August) die unerwartet niedrigen Zahlen für neue US-Arbeitsplätze und die unerwartet hohe Arbeitslosenquote bekanntgegeben wurden, reagierte der Dollar sofort negativ. Kommende US-Zinssenkungen drücken den Greenback. Geht man davon aus, dass der neutrale Zins (der die Konjunktur weder bremst, noch stimuliert) in den USA bei 2,75% liegt, dürfte im kommenden Jahr mit stärkeren Zinssenkungen zu rechnen sein als jetzt allgemein erwartet. Nach der Taylor- Regel (arbeitsmarktabhängig) dürfte der US-Zins heute nur bei 4% liegen, nicht bei 5,5%. Die starke Hausse bei US-Staatsanleihen in den letzten Tagen zeigt, dass die Märkte eine entsprechende Entwicklung bereits einzupreisen beginnen.

Da die Zinsdifferenz zum Euro seit längerer Zeit der bestimmende Faktor für den Dollar gewesen ist, erscheint zwar eine Dollar-Schwäche logisch. Allerdings dürfte die EZB die Zinsen ebenfalls genauso wie das Fed spätestens im September senken. Es wird also bei der Dollar-Entwicklung darauf ankommen, ob sich die US-Konjunktur oder die europäische Konjunktur – mit entsprechenden Zinsauswirkungen – mehr abschwächt.

Wechsel aus Tech- in Konsumgütertitel

Erstaunlich ist, dass sich das Konsumentenvertrauen in Deutschland in Europa am meisten erholt hat und dass der reale Lohnzuwachs in Deutschland zuletzt bei 3,8% lag, was der höchste Satz der Aufzeichnungen seit 2008 ist. Auch in den Mittelmeer-Ländern stieg das Konsumentenvertrauen wieder deutlich. Dies könnte dazu führen, dass sich die Konsumgüterkonjunktur (auch unterstützt durch eine leichtere Kreditgewährung) in den nächsten Quartalen in Europa überraschend erholt mit entsprechend positiven Folgen für Konsum- und Reisetitel.

Es ist allerdings eine Frage, wie lange die deutschen und europäischen Unternehmen die überdurchschnittlichen Lohnsteigerungen (eigentlich nur eine Kompensation für die vorangegangen realen Lohnverluste) aufrechterhalten werden können. Von der Lohnseite könnten die Gewinnmargen der Unternehmen unter Druck kommen. Immerhin verdoppelte sich die Zahl der Unternehmenskonkurse in Deutschland auf das höchste Niveau seit Sommer 2016.

Der angekündigte Kurssturz der Magnificient 7

Was bedeuten die zu erwartenden rückläufigen US-Zinsen für den amerikanischen und internationalen Aktienmarkt? Eine Wende bei den US-Leitzinsen nach unten war in der Vergangenheit positiv für die Börsen, wenn die US-Konjunktur stabil oder aufwärts gerichtet war. Sie war negativ, wenn die US-Konjunktur zur Schwäche neigte, wie es sich heute abzeichnet. Hier dürfte der wahre Grund für die jüngsten Kursabschwächungen in den USA nicht nur bei den zuvor stark gestiegenen Magnificent-7-Wachstumsaktien, sondern auch wieder beim breiteren Markt liegen.

Die Abschwächung der Wachstumsaktien kommt nicht unerwartet im Hinblick auf die hohe Bewertung. Ein Beleg dafür ist Warren Buffetts Teilausstieg bei Apple. Bekanntlich war die Konzentration des US-Börsenwertes auf nur wenige Aktien im S&P 500 grösser als beim Börsenhoch im Jahr 2000 und ähnlich hoch wie vor der Weltwirtschaftskrise 1929. Andererseits ist der US-Aktienmarkt ohne die hoch bewerteten Wachstumstitel mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 17 bis 18 nur leicht (um ca. 10%) überbewertet.

Ginge es mit den Gewinnen auf breiter Front abwärts, würden allerdings auch hier die Kurs-Gewinn-Verhältnisse steigen bzw. die Märkte auch auf breiter Front verwundbar werden. Auch in den USA hängt die Konjunktur (und damit die Unternehmensgewinne) von der Konsumgüterkonjunktur ab. Zuletzt wurde bei der Veröffentlichung der Umsatzzahlen von grossen Konsumtiteln wie McDonald’s oder Starbucks deutlich, dass die Umsätze erstmals fallen (sogar massiv beim McDonald’s-Pommes-Frites-Zulieferer Lamb Weston). Generell enttäuschten die Umsätze bei US-Unternehmen wesentlich mehr als bei den Gewinnen. So versuchen die amerikanischen Konsumenten billiger einzukaufen.

Ende der invertierten Zinskurse als Rezessionssignal

Es hat längere Zeit benötigt, bis die Hochzins-Politik sich konjunkturell negativ auswirkte. Jetzt dürfte es auch längere Zeit keine oder nur geringe Auswirkungen einer Niedrig-Zins-Politik bei vielen Unternehmen und Verbrauchern geben. Umschuldungen führen zu mehr Belastungen durch höhere Zinsen gegenüber sonst im vergleichbaren Konjunkturzyklus Entlastungen. Aus dieser Sicht scheint es besonders gefährlich, dass die US-Notenbank die Zinsen zu lange über dem natürlichen Zins hält.

Allerdings gingen zuletzt auch die kürzerfristigen Zinsen stark zurück. Während die Renditen auf 10-jährige Staatsanleihen jetzt bei 3,93% liegen, fielen sie für die 2-jährigen Titel auf 4,02%, so dass die US-Zinskurve nur noch knapp invers ist. In der Vergangenheit begannen die Rezessionen im Allgemeinen, wenn die Zinskurve nicht mehr invers war. Für Deutschland ist die Zinskurve weiterhin invers mit 2,28% für den 10-jährigen Zins und 2,35% für den 2-jährigen-Staatsanleihezins.

In den USA wird die Konjunktur bekanntlich nicht nur aus dem Zinsblickwinkel gebremst, sondern auch durch die Geldmarktpolitik. Durch Quantitative Tightening bzw. Anleiheverkauf im Zuge der Notenbankbilanzreduzierung werden dem Geldmarkt immer noch durchschnittlich 60 Mrd. $ pro Monat (nach 95 Mrd. $ bis Juni) entzogen. Eigentlich hätten die Bankreserven in den USA entsprechend in den letzten zwei Jahren fallen müssen. Tatsächlich sind sie leicht gestiegen.

US-Zinswende löst wohl doch noch einen Abschwung aus

Zuletzt hatte das Fed durch Quantitative Tightening 2018 eine Liquiditätsklemme (sinkende US-Bankreserven) ausgelöst, was seinerzeit im zweiten Halbjahr 2018 zu einem scharfen Börseneinbruch führte. Dies hat man diesmal durch verschiedene versteckte Liquiditätshilfen vermieden. Entsprechend hat sich die Börse in den letzten zwei Jahren besser entwickelt.

Neben die US-Liquidität beeinflussenden Massnahmen (Liquiditätsbeschaffung der US-Geldmarktfonds durch Tausch von Reverse-Repo-Anlagen in kurzfristige Staatsanleihen) und durch anhaltend massiv hohe Staatsneuverschuldung konnte die US-Konjunktur bisher auf relativ hohem Niveau gehalten werden.

Nochmals höhere US-Staatsneuverschuldung erscheint aber im Anbetracht der erreichten Grössenordnung (6% neue Schulden, gemessen am Bruttoinlandsprodukt) als Konjunkturhilfe unwahrscheinlich. Kritisch niedrig ist auch die US-Sparquote, die sich kaum noch senken lässt und damit eine Konsumbremse werden dürfte. Ähnlich gefährlich: rekordhohe 1,1 Bio. $ an Kreditkartenschulden. Fazit: Eine deutliche US-Konjunkturabschwächung, eventuell sogar eine Rezession, dürfte bevorstehen.

Gold dürfte nur dann ein neues Hoch erreichen, wenn sich die Krise in Israel zuspitzt. Ein echter Krieg zwischen Iran/Hizbullah und Israel als Gefahr für die Weltaktienmärkte bzw. als Potenzial für die Edelmetallpreise sollte nicht unterschätzt werden. Ohne Zuspitzung sollten die Edelmetallpreise aber konsolidieren und die Nichteisen-Metallpreise wegen Nachfrageschwäche in China, USA und Europa im Trend nachgeben.

Zinssenkungen bei schlechter Konjunktur haben in der Vergangenheit nicht zu einer positiven Aktienmarktreaktion geführt. Beflügelnd für die Börse waren sie nur, wenn die Konjunktur gut lief. Es bleibt international ratsam, sich auf defensive Aktien zu beschränken. In Deutschland sollten Konsumaktien wegen realer Lohnsteigerung von 3,8% besser abschneiden als Exporttitel wie Auto-Aktien.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der «Finanzwoche», dem seit 1974 erscheinenden Investmentbulletin von Jens Ehrhardt.

Jens Ehrhardt

Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital. Nach fünfjähriger Partnerschaft in der seinerzeit grössten deutschen Wertpapier-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft promovierte er 1974 über «Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt». Im selben Jahr legte er den Grundstein für den Aufbau seiner Firmengruppe, die er von Beginn an leitet. Ehrhardt verantwortet neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender noch die Bereiche Risikomanagement und Unternehmens-/Anlagestrategie.

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