Montag, November 25

Das deutsche Unternehmen profitiert vom globalen Trend hin zu mehr Schienenverkehr und hat sich zuletzt nicht nur mit der Übernahme von Sateba entsprechend verstärkt. An der Börse ist dieser Zug beinahe unbemerkt vorbeigefahren.

Etwas herstellen, was stets gebraucht wird? Ist aus Unternehmer- wie aus Investorensicht keine schlechte Idee. Beispiel Spannklemmen – damit werden Bahngleise auf den Schwellen befestigt. Sie erinnern an überdimensionierte Büroklammern, und pro Meter Gleis werden zwischen sechs und acht davon benötigt. Macht auf einen Kilometer schon einmal rund 6000 bis 8000 Stück, je mehr Schienenkilometer, desto mehr Spannklemmen – das freut die international aktive Vossloh, die unter anderem solche Spannklemmen herstellt.

Denn der Trend ist klar. Wenn etwa die Europäische Union den «Green Deal» mit Leben füllen will, muss auch das Schienennetz wachsen und effizienter werden. «Bei mittleren Entfernungen könnte man mit dem Zug statt mit dem Auto bis zu 80% der Emissionen einsparen», sagt Anthony Sandra, Fondsmanager des in Vossloh investierten KBC Eco Fund Climate Change. Entsprechend soll der Hochgeschwindigkeitsverkehr in der EU bis 2030 verdoppelt werden und der Lastverkehr 50% wachsen. Auch in den USA soll das billionenschwere Infrastrukturpaket der Bahn zugutekommen. China seinerseits beschleunigt den Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes.

Der politische Wille, die Bahn als Verkehrs- und Transportmittel voranzubringen, ist da. Sowohl für den Gütertransport als auch für den Personenverkehr. Der globale Bahnverband International Union of Railways (UIC) geht daher davon aus, dass sich beispielsweise die Länge des Hochgeschwindigkeitsnetzes, wo Züge schneller als 200 Stundenkilometer fahren, von weltweit rund 56’000 Kilometer in dreissig Jahren verdoppelt haben wird. Davon können Unternehmen wie Vossloh aus dem märkischen Sauerland profitieren – sogar doppelt.

Trendthema Bahnausbau als Treiber

Da ist zum einen der Bau neuer Strecken. Dafür liefert Vossloh Normware wie die beschriebenen Spannklemmen, die es auch für den wachsenden Markt der Hochgeschwindigkeitszüge gibt und die im Zusammenspiel mit weiteren Komponenten nicht nur den Gleiskörper schonen, sondern auch den Wartungsaufwand senken.

Ein anderer Vossloh-Klassiker sind Betonschwellen. Ende Juli hat das Unternehmen den Kauf von Sateba für 450 Mio. € verkündet. Sateba ist ein französischer Hersteller unter anderem von Betonbahnschwellen. In den USA und Australien ist Vossloh mit vergleichbaren Produkten bereits präsent, der Kauf schliesst damit eine Lücke in Europa und macht das Unternehmen zu einem Weltmarktführer in Sachen Betonschwellen.

Dazu komme, so schreiben die Analysten Niklas Becker und Lars Vom Cleff von der Deutschen Bank, dass Vossloh die Erfahrung Satebas auch auf anderen Märkten nutzen könne. Der Deal biete erhebliches Synergiepotenzial, insbesondere in Produktion und Vertrieb, sowie Vorteile durch den Austausch von Technologie und Fachwissen, urteilt Christoph Schlienkamp, Fondsmanager bei GS&P. Noch steht aber die Zustimmung der Aufsichtsbehörden in mehreren Ländern aus.

Neben der Stangenware bietet das Unternehmen auch Masskonfektion an wie etwa Weichensysteme, die genau an die Bedürfnisse der Kunden angepasst werden. Zudem kümmert es sich um das bereits bestehende Netz, zum Beispiel mit präventivem Unterhalt von Schienen und Weichen oder High Speed Grinding. Dabei werden mit einem Fahrzeug die Schienen bei Tempo 80 geschliffen und so erhalten, ohne dass die Strecke langfristig gesperrt werden muss. Vossloh kann sowohl vom Ausbau des Schienennetzes profitieren als auch von seinem Unterhalt.

Die übersehene Zukunft

Eine Klammer um die Segmente zieht die im Oktober 2023 lancierte Plattform Vossloh Connect. Schienen, Spannklemmen, Schüttgut: Alles ist mit Sensoren versehen, um den Verschleiss zu erfassen und Vossloh einen sich abzeichnenden Defekt frühzeitig zu melden. Gemäss einer vor ein paar Jahren erschienenen Studie des Beratungsunternehmens McKinsey liessen sich so bis zu 25% der Instandhaltungskosten einsparen, sagt Daniel Gavranovic, Leiter Investor Relations bei Vossloh. Zwar habe sich die Studie auf Lokomotiven und Waggons bezogen, sie gebe aber dennoch einen Anhaltspunkt.

Mehr noch: Vossloh ihrerseits kann mit diesen Erkenntnissen auf Kunden zugehen. Dabei hilft es, dass sie die entsprechende Lösung für das aufgespürte Problem bereit hat. Nach Einschätzung von Vincent Steindl, Analyst bei Quirin Privatbank, verfügt kein anderes Unternehmen über eine ähnliche Plattform, zumindest nicht mit einer vergleichbaren Portfoliobreite.

Diese technologische Entwicklung ist mit Blick auf die Fähigkeit, die Gleise weitestgehend von störenden Reparaturen frei zu halten und damit teure Verkehrsunterbrechungen zu minimieren, wichtig für die Bahnbetreiber. Noch steht das System am Anfang, man befinde sich im regen Austausch mit Kunden, sagt Gavranovic. Doch langfristig erwartet das Unternehmen einen erheblichen Einfluss auch auf die Finanzkennzahlen.

Gemessen wird bei Bahnbetreibern bereits vieles, etwa um Weichenausfälle zu verhindern. Doch die Daten zusammenzufügen und in massgeschneiderte Handlungsempfehlungen umzusetzen, das sei die Stärke von Vossloh Connect. Nebeneffekt: Weil es sich um ein offenes System handelt, können auch die Daten anderer Unternehmen einfliessen und Vossloh damit Einblicke in Markttrends geben. Und vielleicht sogar dabei helfen, potenzielle Übernahmekandidaten zu identifizieren.

Über das gesamte unternehmerische Portfolio betrachtet hat Vossloh keine direkte Konkurrenz, aber in einzelnen Sparten wie etwa Pandrol bei den Spannklemmen, eine Tochter des französischen Familienunternehmens Delachaux. Für GS&P-Fondsmanager Christoph Schlienkamp, der die Vossloh-Aktien vor kurzem gegenüber The Market empfohlen hat, ist klar: «Der Markt ist stark fragmentiert, aber Vossloh hebt sich durch die technologische Führerschaft, die breite Produktpalette und die starken Kundenbeziehungen ab.»

Ein Beispiel für die erwähnte Kundennähe: «In den USA steht ein Vossloh-Werk für Betonschwellen auf dem Gelände von Bahnbetreiber Amtrak», sagt Quirin-Analyst Steindl. Aus dieser Position könne sich ein Burggraben entwickeln. So bezeichnet der US-Investor Warren Buffett starke Unternehmenseigenschaften wie Technologieführerschaft in der Nische, eine starke Marke und ein gutes Vertriebsnetz, was es für die Konkurrenz schwierig macht, in einen Markt einzudringen.

Stabiles Zahlenwerk

Der Umsatz des Unternehmens ist seit 2016 nahezu stetig gestiegen. Damals lag er bei 822,5 Mio. €, 2023 waren es 1,3 Mrd. 2026, so die durchschnittliche Schätzung der Analysten, sollen es fast 1,4 Mrd. € sein. Im Vergleich zum Jahr 2022 entspricht das einem Plus von über 16%. Auch das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) wächst, die entsprechende Marge war seit 2020 immer zweistellig und soll bis 2026 sogar von zuletzt 11,7 auf fast 14,4% steigen. Eine Grössenordnung, wie das Unternehmen sie zuletzt 1989 erreichte.

Die Rentabilität ist für ein kapitalintensives Geschäft solide und ist in den vergangenen Jahren tendenziell gestiegen, womit die Kapitalkosten zuletzt erwirtschaftet werden konnten.

Auch in dieser Hinsicht könnte Connect wirken, indem es die bereits bestehenden stetigen Einkommensströme aus dem Servicebereich skaliert. «Beim klassischen Geschäft etwa mit den Bahnschwellen wird nur einmal eine Zahlung geleistet, dann liegen die Schwellen jahrzehntelang da, ohne weitere Zahlungsströme», so Gavranovic. 2023 warf das Servicegeschäft gut 163 Mio. € ab, Tendenz steigend. Dabei kann die neue Plattform helfen. Die Verschuldung konnte zuletzt deutlich gesenkt werden: 2019 lag das Verhältnis von Nettoverschuldung zu Ebitda über 5, 2023 betrug es 1,4. Die geringere Verschuldung bringt Vossloh finanziellen Spielraum für den eingeschlagenen Kurs.

Die Börse schaut noch weg

An der Börse hat diese Entwicklung noch nicht vollumfänglich durchgeschlagen. Mehr noch: Zwischen 2018 und Anfang 2024 tendierten die Aktien meist seitwärts, während der Vergleichsindex der kleinkapitalisierten deutschen Werte SDax in derselben Periode zulegte. Erst seit Jahresbeginn ging es um rund 12% aufwärts mit den Vossloh-Papieren.

Dabei könnte auch eine Rolle spielen, dass Vossloh das Thema Connect vergleichsweise zurückhaltend kommuniziert und die Aktien für manchen Investor schlicht in die Schublade von konjunktursensitiven Industriewerten fallen. Die Bewertung legt jedenfalls nahe, dass die Tech-Komponente bei Vossloh von den Investoren bislang übersehen wird.

Die Valoren von Vossloh sind mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), basierend auf dem geschätzten Gewinn für die kommenden zwölf Monate, von etwas über 14 bewertet. Die Kenngrösse liegt damit unter dem langjährigen Schnitt – die Zeit vor 2022 ergab regelmässig ein KGV über 20. Wobei die Gesellschaft 2019 unter dem Strich Verlust schrieb, weswegen der Vergleich von Unternehmenswert zum Ebitda der kommenden zwölf Monate aussagekräftiger ist. Hier zeigt sich ein ähnliches Bild, die Kennziffer liegt mit etwas mehr als 6 derzeit deutlich unter dem Schnitt der vergangenen zehn Jahre.

Gefahr des politischen Entgleisens

Das grösste Risiko für Vossloh ist politischer Natur. Ein Grossteil der guten Aussichten fusst auf dem erklärten Willen von Regierungen, das Bahnstreckennetz auszubauen. Hinzu kommen die Herausforderungen in China, wo das Schienennetz eigentlich dynamisch wächst. Entsprechend wichtig ist es für Unternehmen wie Vossloh, dort vertreten zu sein. Allerdings hat sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt, was auch die Nachfrage nach Vossloh-Produkten belasten könnte.

Vossloh agiert in einem langfristigen Wachstumsmarkt und hat sich mit einem breiten Portfolio eine gute Position erarbeitet. Mit Vossloh Connect schafft sie dazu eine Art Industrie 4.0 für das Schienennetz – und könnte langfristig ihre Marktposition weiter verbessern, ohne dass der Börsenkurs diese Entwicklung schon komplett spiegelt. Smart aufgegleist, könnte man sagen.

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