Donnerstag, Januar 16

Russland hat schon vor Jahren strategische Infrastruktur in Serbien übernommen und sich Einfluss im Land gesichert. Washington will das nicht länger zulassen.

Der serbische Präsident Aleksandar Vucic ist ein Meister der Schaukelpolitik. Die Freiräume, die im Ringen der Grossmächte um Einfluss auf dem Balkan entstehen, weiss er geschickt zum eigenen Vorteil zu nutzen. Selbst nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gelang es Vucic, mit dem Westen, Russland und China gleichermassen zusammenzuarbeiten, ohne irgendeine Seite ernsthaft vor den Kopf zu stossen.

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So hat sich Belgrad den Sanktionen gegen Moskau nicht angeschlossen und unterhält weiterhin Flugverbindungen nach Russland. Gleichzeitig lieferte die serbische Rüstungsindustrie auf Umwegen Waffen in die Ukraine, wodurch sich Vucic westliches Wohlwollen im Dauerstreit mit Kosovo sicherte.

Sehr wichtiges Unternehmen

Dieser Balanceakt ist seit vergangener Woche schwieriger geworden. Die jüngsten amerikanischen Sanktionen gegen die russische Energiewirtschaft haben auch direkte Auswirkungen auf Serbien. Die Naftna Industrija Srbija (NIS), eines der grössten und umsatzstärksten Unternehmen des Landes, befindet sich im Mehrheitsbesitz von Gazprom Neft.

Die amerikanischen Strafmassnahmen verbieten jegliche Transaktion mit dem russischen Staatskonzern und seinen Tochtergesellschaften, also auch mit NIS. Dies betrifft den Handel mit Erzeugnissen dieser Firmen, aber auch Finanzdienstleistungen. Erklärtes Ziel der Sanktionen ist es, die Finanzierung des russischen Krieges in der Ukraine durch Energiegeschäfte zu erschweren.

NIS ist für Serbiens Energieversorgung von zentraler Bedeutung. Das Unternehmen mit Sitz in Novi Sad ist in der Förderung der einheimischen Gas- und Ölvorkommen, aber auch im Import und in der Verarbeitung der Energieträger tätig.

Unter anderem betreibt NIS eine Raffinerie in Pancevo bei Belgrad sowie mehrere hundert Tankstellen in Serbien und einigen Nachbarländern. Die Einnahmen von 3,3 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr entsprachen 4,5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes.

Verwundbare Energieversorgung

Unsicherheiten bei der Energieversorgung möchte Vucic um jeden Preis vermeiden. Erst recht im Winter und angesichts der grossen Protestbewegung, die durch den katastrophalen Einsturz eines Bahnhofvordachs im November ausgelöst wurde und seither anhält.

Nur einen Tag nach dem amerikanischen Sanktionsbeschluss sorgte ein technischer Defekt für einen vorübergehenden Unterbruch der Lieferungen von aserbaidschanischem Gas. Hinzukamen russische Meldungen über einen angeblichen ukrainischen Anschlag auf die TurkStream-Leitung.

Serbien erhält aus Aserbaidschan über die transanatolische Pipeline Gas und ebenso aus Russland via TurkStream durch das Schwarze Meer. Auch wenn die Vorfälle mit den Sanktionen nichts zu tun haben, und es für die russische Behauptung keine Bestätigung gibt, haben sie Serbien die eigene Verwundbarkeit vor Augen geführt.

Verstaatlichung ist wahrscheinlich

Entsprechend gross ist der Handlungsdruck. Präsident Vucic erklärte, dass für die Fortführung der Geschäftstätigkeit von NIS ein Eigentümerwechsel unerlässlich sei. Mit anderen Worten: Gazprom muss seine Beteiligung an NIS aufgeben, und zwar vollständig. Dies machte der amerikanische Diplomat James O’Brien gegenüber den serbischen Medien deutlich.

Wie dies geschehen soll, ist Gegenstand von Debatten. Für den regulären Verkauf an ein anderes Unternehmen ist der Zeitrahmen sehr eng. Der Eigentümerwechsel muss bis zum 25. Februar vollzogen sein. In wenigen Wochen lässt sich so ein Geschäft kaum aufgleisen.

Wahrscheinlicher ist deshalb, dass der serbische Staat den russischen Anteil übernimmt. Grundsätzlich wäre sogar eine Zwangsverstaatlichung ohne adäquate Kompensation möglich. Der rechtliche Rahmen bestünde hierfür.

Vucic und andere Regierungsvertreter haben aber mehrfach betont, dass sie niemanden bestehlen wollten. Die Mittel für einen fairen Kaufpreis seien vorhanden. Wie hoch dieser liegen soll, ist allerdings noch nicht geklärt. Als Beispiel für Berechnungen könnte etwa der Rückkauf der Gasspeicher von Gazprom in Deutschland dienen, der unter ähnlichen Umständen stattfand.

Eine strategische Investition für Moskau

Russland geht es aber natürlich nicht nur ums Geld. «Politische Erwägungen waren für Gazproms Mehrheitsbeteiligung an NIS mindestens so wichtig wie kommerzielle», sagt der Energieexperte Miodrag Kapor. NIS und die vom Unternehmen unterstützten Institutionen und Vereine, zu denen unter anderem der Fussballclub Roter Stern Belgrad gehöre, seien ein wichtiges Element der russischen Einflussnahme im Land.

«Russland hat seit den neunziger Jahren versucht, strategische Infrastruktur im Land zu übernehmen», sagt Kapor, der über russische Energiepolitik in Serbien promoviert hat. Serbien war damals hoch verschuldet und wegen seiner Rolle in den Jugoslawienkriegen international weitgehend isoliert.

«Der Verkauf von NIS an Gazprom 2008 unter Präsident Kostunica war ein politisches Geschäft», erklärt der Energieexperte. «Allerdings nicht zu unseren Gunsten.» Eine öffentliche Ausschreibung gab es damals nicht, der Preis war mit 400 Millionen Dollar laut den meisten Beobachtern deutlich zu tief. Damit erkaufte sich Belgrad Moskaus Unterstützung im Kampf gegen die internationale Anerkennung Kosovos. Seither verfügt NIS über einen Status der Unberührbarkeit, wie Kapor es nennt. Ernsthafte Inspektionen gebe es keine, niemand wage es sich, mit dem russisch kontrollierten Unternehmen anzulegen.

Prorussische Geschäftsleitung?

All das möchte der Kreml nur ungern verlieren. Der russische Aussenminister Sergei Lawrow erklärte am Dienstag, dass NIS unter keinen Umständen verstaatlicht werden dürfe. Der Westen bedränge Serbien, Russland zu verraten.

«Moskau ist sichtlich verärgert», sagt Kapor. Bisher habe Russland bewusst weggeschaut, wenn Serbien westliche Interessen bediente, etwa bei der Frage der Waffenlieferungen in die Ukraine. «Das ist dieses Mal anders.»

Trotzdem gibt es laut Kapor für Moskau Möglichkeiten, einen Teil des Einflusses zu wahren. Er erwarte, dass der Kreml im Rahmen der Verhandlungen mit Belgrad auf die Ernennung einer russlandfreundlichen Geschäftsleitung bei NIS dränge.

Bei der staatlichen Gasgesellschaft des Landes Srbijagas ist das bereits der Fall. Der Generaldirektor Dusan Bajatovic tritt immer wieder mit grossem Nachdruck für eine enge Anbindung an Russland an. Einen gewissen Spielraum für Vucics Schaukelpolitik gibt es auch weiterhin.

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