Montag, Oktober 28

Seit Wochen ringen das Management und der Betriebsrat um mögliche Werkschliessungen und Entlassungen. Doch jetzt eskaliert der Konflikt. Für die zweite Verhandlungsrunde liegen offenbar konkrete Pläne über einschneidende Massnahmen dem Tisch.

Die Mitarbeiter von Volkswagen stehen unter Schock. Die Restrukturierungspläne von Konzernchef Oliver Blume und VW-Markenleiter Thomas Schäfer für den Standort Deutschland sind sehr viel einschneidender als bisher befürchtet worden war. Der Vorstand wolle in Deutschland mindestens drei Werke schliessen und Zehntausende Mitarbeiter entlassen, sagte Konzernbetriebsratschefin Daniela Cavallo auf einer Informationsveranstaltung in Wolfsburg.

VW-Vorstand kritisiert hohe Kosten in Deutschland

An diesem Mittwoch soll die zweite Verhandlungsrunde über den Haustarifvertrag bei Volkswagen zwischen der IG Metall und dem Management beginnen. Während die Gewerkschafter 7 Prozent mehr Lohn und zusätzliches Geld für Auszubildende fordern, denkt das Management in die völlig entgegengesetzte Richtung.

Laut Cavallo will VW eine generelle Lohnkürzung über 10 Prozent sowie Nullrunden in den kommenden beiden Jahren. Alle Standorte sollen zudem schrumpfen, ganze Abteilung geschlossen oder ins Ausland verlagert werden, erläuterte Cavallo weiter. Laut «Handelsblatt» stehen auf einer internen «Giftliste» weitere Massnahmen. Es gehe auch um Bonuszahlungen in der bisher höchsten Tarifgruppe «Tarif plus» sowie um Prämienzahlungen für Mitarbeiterjubiläen.

Das Management hatte im September harte Einschnitte angekündigt und dabei auch Werksschliessungen nicht ausgeschlossen. Kurz Zeit später kündigte das Unternehmen die seit rund 30 Jahren bestehende Job-Garantie. Der Konzern kämpft mit strukturellen Problemen in der Automobilbranche wie schwacher Nachfrage und steigendem Wettbewerb sowie mit hausgemachten Fehlern, etwa bei der Digitalisierung und beim Umstieg auf die Elektromobilität.

In einer Mitteilung an die Mitarbeiter betonte Volkswagen am Montag, dass das Unternehmen derzeit zu wenig Geld mit seinen Autos verdiene und zugleich die Kosten für Energie, Material und Personal weiter gestiegen seien. «Wir sind an den deutschen Standorten nicht produktiv genug und liegen aktuell bei den Fabrikkosten 25 bis 50 Prozent über dem, was wir uns vorgenommen haben», hiess es in der Mitteilung. Damit seien einzelne deutsche Werke «doppelt so teuer wie der Wettbewerb». Besonders die Arbeitskosten seien im internen Vergleich wie auch im Vergleich mit dem Branchendurchschnitt deutlich zu hoch.

Betriebsratschefin Cavallo kündigt erbitterten Widerstand an

Wie die Gewerkschafter und Mitarbeiter auf die Pläne des Managements reagieren werden, ist derzeit noch unklar. Aufgrund einer bestehenden Friedenspflicht sind Streiks erst ab dem 1. Dezember möglich. Cavallo hatte bereits zu Beginn der Tarifgespräche erbitterten Widerstand gegen mögliche Werksschliessungen und Entlassungen angekündigt.

Eine wichtige Rolle spielt hinter den Kulissen auch das Land Niedersachsen, das 20 Prozent der Stimmrechte beim Volkswagen-Konzern hält. Im Interview mit der NZZ hatte Ministerpräsident Stephan Weil vor knapp zwei Wochen gesagt, er habe die klare Erwartung, dass in den Verhandlungen Lösungen herauskämen, die intelligenter seien als die schlichte Schliessung von Standorten. Beobachter gehen davon aus, dass Weil angestrebte Werksschliessungen notfalls auch mit einem Veto im Aufsichtsrat verhindern würde.

In der Politik herrscht jedenfalls auch Alarmstimmung aufgrund der Krise bei VW. Man müsse noch abwarten, was Volkswagen selbst zu den Sparplänen erkläre, sagte ein Regierungssprecher. Die Haltung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) sei aber klar – «nämlich, dass mögliche falsche Managemententscheidungen aus der Vergangenheit nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen dürfen». Es gehe darum, Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern, sagte der Sprecher.

Der Absatz in der Autobranche hat sich nach der Corona-Pandemie nie auf das vorhergehende Niveau erholt. Derzeit werden in der EU rund 2 Millionen Fahrzeuge weniger verkauft als im Jahr 2019. Da VW einen Marktanteil von 25 Prozent hat, fehlen dem Konzern Verkäufe über rund 500 000 Autos, wovon 300 000 auf die Marke VW entfallen sollen. Die Gesamtzahl entspreche ungefähr zwei Werken, hatte Finanzvorstand Arno Antlitz vor einigen Wochen vorgerechnet.

Der Konzern strebt laut Medienberichten bei der Marke VW weitere Einsparungen über rund 4 Milliarden Euro an, um die von Konzernchef Blume für 2026 vorgegebene Umsatzrendite von 6,5 Prozent zu erreichen. Im vergangenen Dezember waren einvernehmlich Kostenreduktionen über 10 Milliarden Euro vereinbart worden.

Doch seitdem hat sich das Umfeld weiter eingetrübt. Das Problemkind im Konzern ist die Kernmarke VW, die im ersten Halbjahr nur noch auf eine Umsatzrendite von 2,3 Prozent gekommen ist. Das ist der schlechteste Wert aller rund zwölf Konzernmarken. Sogar die spanische Marke Seat/Cupra schafft mit 5,2 Prozent eine mehr als doppelt so hohe Rendite, Škoda kommt auf 8,4 Prozent. Eine Ursache dafür sind die auch im internen Vergleich herausragenden Arbeits- und Lohnbedingungen bei VW in Deutschland.

Bereits zwei VW-Gewinnwarnungen im Jahr 2024

Während Weltmarktführer Toyota im vergangenen Jahr mit 380 000 Mitarbeitern 11,2 Millionen Fahrzeuge herstellte, benötigte Volkswagen für 9,2 Millionen rund 680 000 Beschäftigte. Davon arbeiten rund 120 000 Mitarbeiter in Deutschland, etwa die Hälfte am Stammsitz in Wolfsburg. Die Marke VW betreibt zehn Werke hierzulande, davon sechs in Niedersachsen, drei in Sachsen und eines in Nordhessen.

Als besonders gefährdet für eine Werksschliessung gilt laut Betriebsrat die Fabrik in Osnabrück. Dort produziert der Konzern derzeit den T-Roc-Cabrio von VW sowie den Cayman 718 und Boxster von Porsche. Ein bis vor kurzem erhoffter Folgeauftrag der Konzernmarke Porsche hat sich nicht realisiert. Als stark gefährdet gilt zudem die Gläserne Manufaktur in Dresden. Die Werke in Osnabrück und Dresden sind jedoch kleinere Standorte. Beobachter bezweifeln, dass das dortige Einsparpotenzial ausreichen wird, um VW in Deutschland auf ein solides Fundament zu stellen. In Szenarien spielt laut Medienberichten daher auch die Schliessung grösserer Standorte wie Emden oder Zwickau eine Rolle.

Am Mittwoch gehen nicht nur die Tarifgespräche in die zweite Runde, sondern der Konzern wird nach zwei Gewinnwarnungen in den vergangenen Monaten auch die Geschäftszahlen für das dritte Quartal vorlegen. Erst Ende September hatte Volkswagen mitgeteilt, für 2024 lediglich noch mit einer Konzern-Marge von 5,6 Prozent statt wie zuvor von 6,5 bis 7 Prozent zu rechnen. Die Korrektur hatte das Unternehmen mit der schwachen Performance der Marke VW, bei den leichten Nutzfahrzeugen sowie in der Komponentensparte begründet.

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