Donnerstag, Oktober 3

Die Inflation in den USA hält sich hartnäckiger als erwartet, während sich weltweit Signale einer konjunkturellen Belebung zeigen. Dieses Umfeld begünstigt Aktien aus den Sektoren Energie und Rohstoffe. Meldet sich der «Dekaden-Trade» zurück?

«Einmal ist Pech. Zweimal ist Zufall. Dreimal ist feindliche Handlung.»
Ian Fleming, brit. Autor (1908–1964), aus: «Goldfinger»

An den Finanzmärkten findet eine Verlagerung statt. Das Umfeld, das die Börsen nahezu das ganze Jahr 2023 sowie das erste Quartal 2024 geprägt hat, wandelt sich. Der Wandel manifestiert sich in der Tatsache, dass die bisherigen Nachzügler unter den Sektoren, Energie und Grundstoffe, seit Ende Februar die Führung im MSCI World übernommen haben.

«Damit hat an den Aktienmärkten die produktivste Phase begonnen», urteilt der Marktbeobachter Alfons Cortés in seinem jüngsten Beitrag für The Market.

Der Trend stetig sinkender Inflation, der für Rückenwind an den Börsen gesorgt hatte ist – zumindest in den USA – ins Stocken geraten. Im März ist die Inflation in Amerika zum dritten Mal in Folge höher ausgefallen als von den Ökonomen erwartet. Damit ist die Perspektive baldiger Zinssenkungen durch die US-Notenbank (Fed) infrage gestellt. Noch im März hatte Fed-Chef Jerome Powell gesagt, die erhöhten Inflationsraten im Januar und Februar seien bloss «ein Schlagloch in der Strasse». Doch nun muss allmählich von einem neuen Trend gesprochen werden.

Damit stellt sich die Frage, inwiefern die seit einigen Wochen zu beobachtende Verlagerung der Beginn – oder besser gesagt die Fortsetzung – eines Regimewechsels ist, der an den Börsen in den kommenden Jahren Aktien aus den Bereichen Energie und Rohstoffe favorisieren dürfte.

Das dieswöchige «Big Picture» versucht, die Entwicklungen zu beleuchten.

Die Themen

  1. Zu heiss
  2. Das Dollar-Dilemma
  3. Inflationärer Boom
  4. «Hard Assets» als Dekaden-Trade?

1. Zu heiss

Die Publikation der Inflationsdaten für den Monat März in den USA (Consumer Price Index, CPI) sandte am Mittwoch eine kurze Schockwelle durch die Märkte. Die Teuerung der Konsumentenpreise erhöhte sich im Jahresvergleich wieder auf 3,5%, nach 3,2% im Vormonat (blaue Kurve). Die Kernrate der Inflation, ohne Energie und Nahrungsmittel (gelb), verharrte im März auf 3,8%.

Beide Werte lagen über den Erwartungen.

Abermals war es die Teuerung der Dienstleistungspreise (Services, grüne Kurve), die mit einer jährlichen Veränderung von 5,4% für hartnäckigen Inflationsdruck sorgte. Die Güterpreise (blau) haben sich dagegen im Jahresvergleich um 0,7% ermässigt.

Weil die Immobilienpreise (Housing; Mieten sowie Eigenmietwert für Immobilienbesitzer) die gewichtigste Komponente im CPI darstellen, bietet sich auch ein Blick auf die sogenannte Supercore-Inflationsrate an, die in den Dienstleistungspreisen die Housing-Komponente ausklammert. Diese ist im März auf 4,8% gestiegen und liegt damit mehr als einen Prozentpunkt über dem Wert vom Oktober 2023.

Auch die Teuerungsbarometer der Distriktnotenbanken von Cleveland und Atlanta, die die grössten statistischen Ausreisser ausklammern, sind auf ihrem Weg nach unten ins Stocken geraten und verharren zwischen 3,6 und 4,6%.

Der Bondmarkt reagierte mit einem kräftigen Zinsanstieg auf die Publikation der Daten. Die Rendite zehnjähriger Treasury Notes (blau) stieg um mehr als zwanzig Basispunkte auf über 4,55%. Die Rendite zweijähriger Treasuries (gelb) erreichte beinahe 5%.

Etwas Entlastung brachte erst der am Donnerstag publizierte Index der Produzentenpreise (PPI), der im März gegenüber dem Vorjahresmonat «nur» um 2,1% und damit marginal weniger als erwartet stieg.

Angesichts der hartnäckig hohen Inflation schwindet die Wahrscheinlichkeit, dass das Fed bereits an der Sitzung vom 12. Juni – wie bislang von den Märkten erwartet – beginnen kann, die Zinsen zu senken. Gegenwärtig wird diesem Termin für die erste Zinssenkung nur noch eine Wahrscheinlichkeit von 23% eingeräumt. Selbst das inoffizielle Fed-Sprachrohr Nick Timiraos vom «Wall Street Journal» meldet mittlerweile Zweifel an, ob das Fed 2024 überhaupt in der Lage sein wird, die Zinsen zu senken.

2. Das Dollar-Dilemma

Die Märkte müssen sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es so bald keine Zinssenkungen vom Fed geben wird. Anders sieht die Lage in Europa aus: Am Donnerstag hat die Europäische Zentralbank zwar wie erwartet die Leitzinsen unverändert gelassen, aber die Vorsitzende der EZB, Christine Lagarde, hat erneut durchblicken lassen, dass eine Zinssenkung im Juni angebracht sein dürfte.

Das Fed kann sich also noch nicht bewegen, während EZB und Bank of England erste Zinssenkungen aufgleisen und die Bank of Japan (BoJ) zwar die Leitzinsen im März marginal erhöht hat, insgesamt betrachtet aber immer noch eine enorm expansive Geldpolitik pflegt.

Das Resultat: Der Dollar wird stärker.

Der handelsgewichtete Dollar-Index (DXY), der den Wert des Greenback gegenüber Euro, Yen, Pfund, Kanada-Dollar, Franken und schwedische Krone misst, ist auf den höchsten Stand seit mehr als sechs Monaten geklettert.

3. Inflationärer Boom

Weltweit verdichten sich die Signale eines vom Industriesektor getriebenen Aufschwungs in der konjunkturellen Dynamik – in diesem Beitrag mit dem Titel «Grüne Knospen» ausführlich beschrieben.

Über weite Strecken der vergangenen zwölf Monate befanden sich die Märkte im Umfeld eines disinflationären Booms: Das Wirtschaftswachstum fiel überraschend robust aus, während gleichzeitig der Inflationsdruck schneller abnahm als erwartet. Wir verwenden zur Veranschaulichung des Umfelds dieses Schema von der Hongkonger Research-Boutique Gavekal.

Die Märkte standen während Monaten im unteren rechten Quadranten des Schemas; ein freundliches Umfeld für Aktien generell, an dieser Stelle beschrieben als «die beste aller Welten».

Doch mit der Evidenz hartnäckiger Inflation in den USA hat eine Verschiebung in den oberen rechten Quadranten stattgefunden. Derzeit fallen nicht nur die Konjunkturdaten, sondern auch die Teuerungsdaten robuster aus als erwartet. Statt von disinflationärem Boom muss nun eher von inflationärem Boom gesprochen werden – und dieses Umfeld begünstigt an den Aktienmärkten die Sektoren Energie und Grundstoffe, wobei im letzterem Sektor primär die Werte aus dem Bereich Rohstoffförderung (Metals & Mining) in den Fokus rücken.

Selbstredend ist das Schema stark vereinfacht und erlaubt keine exakte Klassifizierung des herrschenden Umfelds. Gegenwärtig sind es primär die Inflationsdaten in den USA, die enttäuschend hoch ausfallen. In Europa sowie in China sinkt der Inflationsdruck bis anhin immer noch schneller als erwartet, in der Volksrepublik herrscht weitgehend Deflation.

Dennoch signalisieren die Sektorverschiebungen an den Aktienmärkten und das Erwachen der Energie- und Rohstoffwerte – «Hard Assets» – den Start eines möglicherweise länger andauernden Trends. Die Aktienkurse diverser Ölkonzerne sind nach oben ausgebrochen und haben Mehrjahreshochs erreicht, hier als Beispiel Shell und TotalEnergies.

Rohstoffkonzerne wie Rio Tinto oder Glencore sind zwar noch ein gutes Stück von Rekordwerten entfernt, aber sie befinden sich ebenfalls auf Erholungskurs.

4. «Hard Assets» als Dekaden-Trade?

Die Börsen werden in der Regel von einem Leitnarrativ getrieben, einem überragenden Thema, das die Marktteilnehmer in seinen Bann zieht. Extrem vereinfacht dargestellt lässt sich für jede der vergangenen fünf Dekaden ein Leitnarrativ identifizieren, das sich in den jeweils zehn nach Marktkapitalisierung grössten Unternehmen der Welt manifestiert.

In den Siebzigerjahren beispielsweise, unter dem Eindruck der beiden Ölpreisschocks, war «Energie» das Leitnarrativ. 1980, zum Ende der Dekade, stammten sechs der zehn grössten Unternehmen der Welt aus dem Energiesektor: Exxon, Standard Oil, Schlumberger, Royal Dutch, Mobil und Atlantic Richfield.

Die Achtzigerjahre waren die Dekade Japans. Die Rangliste der zehn grössten Konzerne der Welt wurde Anfang 1990 deshalb von acht japanischen Firmen dominiert.

Grösste Unternehmen weltweit, jeweils zu Beginn der Dekade:

Die Neunzigerjahre wiederum waren die Dekade der «New Economy». Anfang 2000, zum Ende des Jahrzehnts, rangierten Microsoft, Cisco Systems, Intel, Lucent Technologies sowie die Telecomkonzerne NTT DoCoMo und Deutsche Telekom unter den globalen Top Ten.

Die Nullerjahre waren die Dekade des Booms in den BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China, der von einem enormen Bedarf an Infrastrukturinvestitionen und Rohstoffen begleitet wurde. Die zehn grössten Unternehmen Anfang 2010 stammten schwergewichtig aus dem Rohstoffsektor und aus Schwellenländern: ExxonMobil, Petrochina, BHP Billiton, ICBC, Petrobras, China Construction Bank und Royal Dutch Shell.

Die Zehnerjahre wiederum waren die Dekade der digitalen Disruption und der Plattformgesellschaften – mit Bannerträgern wie Microsoft, Amazon, Apple, Google, Facebook, Alibaba und Tencent.

In der Betrachtung der Liste der dominanten Unternehmen über die vergangenen fünfzig Jahre fallen zwei Dinge auf: Erstens sammeln sich zum Dekadenwechsel immer die Nutzniesser des jeweiligen Leitnarrativs in der Liste der Konzerne mit der weltweit grössten Marktkapitalisierung. Und zweitens gelingt es den Unternehmen – mit wenigen Ausnahmen wie Microsoft – in der Regel nie, in der Spitzengruppe zu bleiben. Stets hat im Verlauf der Dekade jeweils ein Regimewechsel stattgefunden, der andere Themen und anderen Unternehmen favorisiert hat.

Eine leicht andere Betrachtungsweise, ebenfalls stark vereinfacht, unterscheidet grundsätzlich zwischen zwei Arten von Leitnarrativen bzw. zwei Arten von Regimes: einem Technologie- oder einem Energie-/Rohstoffregime. Entweder sind an den Märkten Technologieaktien en vogue, oder es werden Rohstoffaktien favorisiert. Aber nicht beide zusammen.

Um bei der oben abgebildeten Übersicht zu bleiben – unter Ausblendung der Achtzigerjahre, die von einem geografischen Phänomen, Japan, überlagert wurden: Die Siebzigerjahre waren ein Rohstoffregime. Die Neunzigerjahre waren ein Tech-Regime, die Nullerjahre ein Rohstoffregime und die Zehnerjahre wiederum ein Tech-Regime.

Rohstoffregimes sind in der Regel von höherer Inflation und höheren Zinsen geprägt, während Tech-Regimes in einem Umfeld von Disinflation und sinkenden Zinsen florieren.

Die folgende Grafik zeigt das Wechselspiel der Regimes anhand der relativen Performance des Energiesektors (S&P 50o Energy) zum Technologiesektor (S&P 500 Information Technology) im Zeitraum der vergangenen 25 Jahre.

Sinkt die Kurve (gelbe Flächen), zeigen Tech-Aktien eine bessere Performance als Energieaktien. Es herrscht ein Tech-Regime. Steigt die Kurve (grün), herrscht ein Energie- bzw. Rohstoff-Regime: Energieaktien übertreffen Tech-Aktien.

Augenfällig ist die Bewegung am rechten Rand der Grafik, im Zeitraum ab Ende 2020, hier als Ausschnitt dargestellt.

Die Jahre 2021 und 2022 können eindeutig als Rohstoffregime charakterisiert werden. 2022, als Aktien aus dem Technologiesektor unter dem Eindruck hoher Inflation und steigender Zinsen einen brutalen Einbruch erlitten, zählten Öl- und Rohstoffaktien zu den wenigen Gewinnern an den Börsen.

2023 kam es allerdings zu einer überraschenden Kehrtwende, als das Thema künstliche Intelligenz die Fantasie der Märkte erfasste und der Technologiesektor, angeführt von Halbleiterwerten wie Nvidia, wieder die Führung übernahm.

Welcher Zeitraum war die Anomalie? 2021 und 2022, als die Rohstoffsektoren unter dem Eindruck der Rückkehr der Inflation die Führung übernahmen? Oder 2023, als das Thema künstliche Intelligenz alles überstrahlte?

Eine abschliessende Antwort ist nicht möglich. Wer jedoch an der These Gefallen findet, dass die kommenden Jahre weltweit von einem wiederholten Aufflammen der Inflation, von einer strukturell wachsenden Nachfrage nach Rohstoffen – unter anderem angetrieben von Investitionen zur Elektrifizierung der Weltwirtschaft – sowie von Knappheiten im Angebot geprägt sein werden, sollte sich auf ein Rohstoffregime einstellen.

«Namen wie Chevron, ExxonMobil, BHP oder Rio Tinto werden am Ende dieser Hausse unter den Top Ten der weltweit wertvollsten Unternehmen rangieren, wogegen es heute überwiegend Tech-Konzerne sind», sagt der New Yorker Marktbeobachter Larry McDonald in diesem Interview, in dem er den Beginn einer historischen Kapitalverschiebung hin zu «Hard Assets» erklärt.

Wege, auf diese These zu setzen, bieten nebst Einzelanlagen wie ExxonMobil, Chevron, TotalEnergies, Shell, BP, Eni oder Petrobras (Energie) sowie BHP, Rio Tinto, Freeport-McMoRan oder Glencore (Rohstoffe) unter anderen folgende Exchange Traded Funds (ETF):

  • Xtrackers MSCI World Energy UCITS ETF (Acc)
    ISIN: IE00BM67HM91, TER: 0,25%
  • iShares S&P 500 Energy Sector UCITS ETF (Acc)
    ISIN: IE00B42NKQ00, TER: 0,15%
  • SPDR MSCI World Energy UCITS ETF (Acc)
    ISIN: IE00BYTRR863, TER: 0,3%
  • iShares MSCI World Energy Sector UCITS ETF USD (Dist)
    ISIN: IE00BJ5JP105, TER: 0,18%
  • VanEck Global Mining UCITS ETF (Acc)
    ISIN: IE00BDFBTQ78, TER: 0,5%
  • iShares MSCI Global Metals & Mining Producers ETF
    NYSE, Tickersymbol: PICK, TER: 0,39%
  • Global X Copper Miners UCITS ETF USD (Acc)
    ISIN: IE0003Z9E2Y3, TER: 0,65%
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