Die Stadt findet: Das ist machbar. Kritikerinnen sprechen von einer Sonderbehandlung der eigenen Klientel.
Am Sonntag wird die Rad-Welt gebannt nach Zürich schauen. Denn am 22. September findet dort der erste Höhepunkt der diesjährigen Weltmeisterschaft statt: das Einzelzeitfahren. Hunderttausende Rad-Fans werden erwartet, viele von ihnen aus den Niederlanden und Belgien, wo der Radsport einen hohen Stellenwert geniesst. Am Mittag starten die Frauen, knapp drei Stunden später die Männer. Start ist in Zürich-Oerlikon, Wendepunkt in Oetwil am See. Das Ziel befindet sich am Sechseläutenplatz.
Eines ist klar: Einschränkungen für den Verkehr wird es geben, und das wohl nicht zu knapp. Im Seefeld ist die Bellerivestrasse gesperrt. Die Auswirkungen werden allerdings auch weit über die Stadt hinausreichen. So dürfte sich der Durchgangsverkehr bereits bei Reichenburg, Kanton Schwyz, von der rechten auf die linke Seeseite verlagern. Die Verkehrswege dürften allgemein überlastet sein.
Und doch hat die Stadtzürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) entschieden, an diesem Tag auch noch eine Velo-Demo zu bewilligen.
An Sonntagen darf nicht demonstriert werden – eigentlich
Die Demonstration läuft unter dem Motto «Vision Zero für Züri – Mobilität nicht auf Kosten von Menschenleben!» Organisiert wird sie von Pro Velo Kanton Zürich, den «Velo Mänsche Züri» und den Grünen. Anlass ist der internationale autofreie Tag.
Die Demo ist auf 14 Uhr angesetzt – also genau auf dann, wenn die Einzelzeitfahren stattfinden. Gestartet wird auf dem Helvetiaplatz im Zürcher Kreis 4.
Dem Vernehmen nach hatten die Velo-Aktivisten erst eine Routenwahl vorgeschlagen, die den Rennstrecken der Velo-WM in die Quere gekommen wäre. Deshalb ging es lange, bis die Bewilligung vorlag. Auf ihrer Homepage hatten die Organisatoren den Anlass schon vor Wochen angekündigt, und zwar als bewilligten Event – offensichtlich etwas vorschnell.
Nun liegt die Bewilligung tatsächlich vor. Dass sie erteilt wurde, ist aussergewöhnlich. Denn eigentlich dürfen an Sonntagen gar keine Demonstrationen stattfinden. Im Reglement der Stadt Zürich über die Benutzung des öffentlichen Grunds heisst es: «An öffentlichen Ruhetagen, mit Ausnahme des 1. Mai und des 1. August, steht der öffentliche Grund für politische Zwecke nicht zur Verfügung.»
Rykart hat also eine Ausnahmeregelung verfügt. Dies kann sie gemäss dem Reglement bei «aktuellen Ereignissen» tun. Die Regelung hat den Sinn, dass Demonstrationen möglich sein sollten, wenn eine Gruppierung ihre Ansicht unmittelbar äussern wollen. Ein typisches Beispiel sind Protestkundgebungen nach Wahl- oder Abstimmungssonntagen. Ob die Rad-WM allerdings in die Kategorie «aktuelle Ereignisse» fällt, bleibt zumindest zweifelhaft.
Weshalb wird die Demo bewilligt – zu einem Zeitpunkt, da das Verkehrssystem ohnehin am Anschlag sein wird?
Auf Anfrage begründet dies Mathias Ninck, Sprecher des Sicherheitsdepartements, so: «Es ist machbar. Wir haben eine Route bewilligt, die weit weg ist von der Innenstadt und den Verkehr auch sonst nicht zu sehr tangiert.» Der Termin sei gesetzt, da es sich beim 22. September um einen seit Jahren wiederkehrenden Event zum internationalen autofreien Tag handle.
FDP-Gemeinderätin Martina Zürcher, Mitglied der Verkehrskommission, kann mit der Begründung der Stadt wenig anfangen. Sie sagt: «Es ist eine Sonderbehandlung der eigenen Klientel durch die grüne Sicherheitsvorsteherin.»
Ohnehin könne man sich fragen, ob man ausgerechnet während der WM fürs Velo demonstrieren müsse. «Das wäre vergleichbar mit einer Demo für mehr Partys während der Street Parade.» Nur in einem Punkt kann Zürcher dem Ganzen etwas Positives abgewinnen: «Wenigstens das Gewerbe wird am Sonntag nicht belastet.»
Kein Pardon bei der Critical Mass
Fast wäre es noch dicker gekommen. Die nun bewilligte Velo-Demo ist nämlich nicht die einzige, die während der Rad-WM geplant war. Bloss fünf Tage nach der «Vision Zero» hätte am letzten Freitag des Monats auch die «Critical Mass» stattfinden sollen, die monatliche Velo-Protestaktion, die immer wieder zu Verkehrsblockaden führt.
Doch hier bleibt die Stadt hart: Karin Rykart hat für die Veranstaltung keine Bewilligung erteilt, jedenfalls nicht an dem von den Organisatoren gewünschten Datum.
Das Gesuch der Critical-Mass-Organisatoren für den 27. September sei erst gerade bei der Stadt eingegangen, sagt Mathias Ninck. Dieses werde die Stadt jedoch nicht während der Rad-WM bewilligen, es werde ein Ersatzdatum gesucht. Ninck sagt, man könne die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Critical Mass nicht während der Rad-WM in der Innenstadt auffahren lassen. «Dass das nicht funktioniert, ist selbsterklärend. Deshalb hat die Sicherheitsvorsteherin das Gesuch an diesem Datum abgelehnt.»
Tatsächlich hätte die Critical Mass wohl zu einer massiven zusätzlichen Belastung für das Verkehrssystem geführt. Denn sie hätte in jener Phase der Velo-WM stattgefunden, in der die Einschränkungen für den Verkehr am grössten sind. Ab dem Mittwoch, dem 25. September, werden das Seefeld und Teile der Innenstadt wegen der Rennen abgeriegelt sein.
Zwar hätten die Strassensperrungen jeweils um 19 Uhr geendet, und die Critical Mass hätte später stattgefunden. Aber Nachwirkungen auf das Verkehrssystem in Form von Staus und Verspätungen beim öV wären trotzdem zu erwarten gewesen, und zwar in der ganzen Stadt.
Ein zweiter Anlass in den Seegemeinden
Eine von zwei Velo-Demos findet aber statt, und damit nicht genug. Der Zürcher Bevölkerung steht während der Rad-WM noch ein dritter vergleichbarer Anlass bevor. In diesem Fall betrifft es nicht die Stadt, sondern die Seegemeinden, die die Einschränkungen der Velo-WM ebenfalls stark spüren. Am Sonntag, 29. September, findet am rechten Seeufer nämlich der Anlass «slowUp Zürichsee» statt.
Auf 27 Kilometern hätten dabei alle auf Velos, Inline-Skates oder Kickboards «freie Bahn entlang des rechten Zürichseeufers», schreiben die Organisatoren. Das heisst für Automobilisten: nochmals Strassensperrungen, dieses Mal von 9 bis 18 Uhr.
Dabei ist der fragliche Tag auch der letzte der Velo-WM. Mit dem Herren-Strassenrennen steht dann ein weiterer sportlicher Höhepunkt auf dem Programm, erneut mit Hunderttausenden Zuschauenden und Einschränkungen für den Verkehr. Am gleichen Tag wird zwischen Rapperswil und der Region Meilen der Autoverkehr ausgesperrt.
Erst am Montag, dem 30. September, sollte verkehrsmässig alles wieder in gewohnten Bahnen verlaufen. Bis dahin hat das Velo Stadt und Kanton Zürich fest im Griff.