Freitag, Oktober 18

Die Berner bringen 2024 die Nebengeräusche nicht weg. Nachdem der kommerzielle Leiter mit seiner Kündigung vorgeprescht ist, handelt der Klub radikal.

Als YB am letzten Sonntag Meister wird, sind die Berner Zeitungen zur Stelle. Am Montag publizieren sie das längst vorproduzierte «Meisterblatt». Der Klub wird auf 24 Seiten abgefeiert. Auch von Sponsoren. YB, der Verkaufshit. Das Produkt war wenig Risiko ausgesetzt, zu deutlich hatte sich der Titel abgezeichnet. Doch was wäre gewesen, wenn die Redaktion den YB-CEO Wanja Greuel interviewt hätte?

Vermutlich hätte die Beilage eingestampft werden müssen, weil Greuel das Arbeitsverhältnis Anfang Mai gekündigt hatte. Zu einem fragwürdigen Zeitpunkt, unmittelbar vor entscheidenden Spielen. Hätte er das nahende Saisonende abgewartet, hätte der Abgang weniger hohe Wellen geworfen. Als die Kündigung am 12. Mai in der «NZZ am Sonntag» publik wird, kann nicht mehr kaschiert werden, dass etwas Langjähriges abrupt zu Ende geht. Und vor allem: dass etwas zerschellt ist.

YB wirft Greuel Egoismus vor

Und es geht noch mehr kaputt, weil die YB-Führung dem abtretenden CEO vorwirft, sein Ego über das Wohl des Klubs gestellt zu haben. Von Greuel ist über den seltsamen Zeitpunkt seiner Kündigung nichts zu erfahren. Aber irgendetwas ist zu viel geworden. Zuerst für Greuel, danach für den Klub, dem die Kommunikation entgleitet. YB äussert sich zu den Umständen der Trennung nicht, bestätigt aber intern deren sofortige Wirkung.

Am Samstag feiert YB im Spiel gegen Winterthur. Volles Stadion, Pokalübergabe, nochmals Jubel und Queen mit «We are the Champions». Am Sonntag folgt die Meisterfeier auf dem Bundesplatz. Mit Tausenden in den Farben Gelb und Schwarz, aber ohne Greuel, der im YB-Haus zur Persona non grata geworden ist. Er ist nicht mehr erwünscht, weder im Büro noch im Stadion oder an der Feier. Die nächste YB-Episode, durchsetzt von Verletzungen.

Der aus Kaiserslautern stammende Wanja Greuel stieg im Herbst 2016 zum YB-CEO auf. Damals war der Klub in Turbulenzen. Die Geldgeber der Familie Rihs sprachen von den «über 50 Chischte», die YB sie gekostet habe. So nannten sie die Millionen Schweizerfranken. Im Moment der Orientierungslosigkeit gewann der Klub den Berner Christoph Spycher als Sportchef.

Greuel bleibt – und Spycher steigt die Treppe hoch

Der frühere Bundesliga-Spieler übernahm nicht leichtfertig, zu wirr war die Kompetenzregelung im Verein. Spycher bekam vom notleidenden Verein viel, pochte vorab auf Ordnung in der Kommunikation, hielt die Leitung zu den Geldgebern warm und bedingte sich aus, dass er als Sportchef nicht dem CEO unterstellt wird.

Nicht einmal zwei Jahre später wird YB Meister, wiederholt das bis 2024 sechs Mal, spielt drei Mal Champions League, transferiert Spieler und die Trainer Adi Hütter und Gerardo Seoane ins Ausland, nimmt die Uefa- und Transfer-Millionen wie im Reibach ein, steigert den Zuschauerschnitt und wird zur Nummer 1 im Schweizer Klubfussball.

Die von Spycher geleitete Sportabteilung lässt zur Erleichterung der Familie Rihs die YB-Kasse überquellen, die von Greuel geführte kommerzielle Seite nutzt den sportlichen Erfolg weidlich. Die beiden Abteilungen funktionieren über die Jahre gut, auch wenn bekannt ist, dass Spycher und Greuel nicht zusammen in die Ferien fahren würden.

Greuel sagte 2022 in einem «Bund»-Interview, dass eine Stärke des YB-Modells «die Trennung von Sport und Kommerz» sei. Man tausche sich aus, aber er müsse sich als CEO nicht mit der sportlichen Situation befassen, «das macht unser Sportchef, den ich für den besten der Schweiz halte». Während Greuel CEO bleibt, steigt Spycher die Stufen hoch. Mitte 2022 wird er Delegierter des Verwaltungsrats mit weitreichenden Kompetenzen, im Februar 2024 macht ihn die Familie Rihs schliesslich zum Miteigentümer.

Der YB-Chef ist «getroffen»

Der frühere Nationalspieler Spycher ist das YB-Gesicht, in seiner Person vereint sich viel. Er brachte mit seiner umsichtigen, gradlinigen und gescheiten Art den Erfolg. Ihn kennt man auch ausserhalb von Bern, den Verwaltungsratspräsidenten Hanspeter Kienberger hingegen weniger. Alles läuft über Spycher. Es ist anzunehmen, dass sich der ebenfalls weniger bekannte Greuel übergangen fühlte, obschon er im Sog von Spycher im Eiltempo zum Meister-CEO mutierte und wie viele andere eine Bühne erhielt.

In der «Sonntags-Zeitung» sagte Spycher, dass ihn die Darstellung eines Machtkampfs zwischen ihm und Greuel «getroffen» habe. Spycher spricht von «Abnützungserscheinungen» und von «unterschiedlichen Auffassungen in der Geschäftsleitung».

Was das auch immer heisst in einer Organisation, die Erfolg an Erfolg knüpft. Richtungsänderung? Undenkbar. Es heisst zum Beispiel, dass der Verkäufer Greuel Transfers auf den internen Kanälen forscher hatte propagieren wollen. Aber das kann kein Grund für eine Scheidung sein. Greuel gibt einen beachtlichen Lohn und einen Traumjob auf. Das Fass der Unverträglichkeit füllte sich über die Jahre – und lief über.

Es menschelt ohnehin bei YB. Drei Trennungen im Unfrieden lassen 2024 Spuren zurück: Sie betreffen den Topskorer Jean-Pierre Nsame, den entlassenen Trainer Raphael Wicky und Greuel. Das ist für ein Halbjahr in der Summe viel. Trotz den Meisterehren, die für die YB-Führung sprechen. Dass das zu viel ist, weiss auch Spycher, der in Bern den Ruf des Unantastbaren geniesst und weder Kritik noch Gegenwind ausgesetzt ist.

Mit ihm ist YB vom Sorgenfall zum Vorzeigeklub geworden. Spycher lehnt den Personenkult ab. Doch die YB-Erfolge und sein interner Aufstieg hieven gerade ihn auf einen Sockel – ob er die Personifizierung nun will oder nicht. Gegenüber der NZZ will sich Spycher derzeit nicht äussern. Wie auch Kienberger, gemäss dem Organigramm der Vorgesetzte Spychers.

Das YB-Personal berichtet von einer sonderbaren Stimmung in einer internen Orientierung nach dem Bruch mit Greuel, an der die Belegschaft von der Geschäftsleitung zu einer Standing Ovation für Spycher aufgefordert worden sei. Nicht alle seien dem nachgekommen.

Der verbannte CEO pflegte wichtige Kontakte

Greuel erhält nicht (mehr) bei YB, aber im Schweizer Fussball gute Noten. Jemand, der mit ihm zu tun hatte, reiht salbungsvolle Worte aneinander. Ein früherer Funktionär schränkt ein: «Greuel versteht viel vom Geschäft, aber wenig vom Fussball. Er ist opportunistisch, nicht immer fassbar. Wenn er Ja sagt, ist nicht klar, ob das so bleibt – oder sogar zu einem Nein wird.»

Greuel sitzt seit 2017 im Komitee der Swiss Football League und gehört dort zu den wenigen alten Hasen. Tempi passati. Er ist seit 2019 im Vorstand der European Club Association (ECA). Die Organisation, die über 600 Klubs vereint, traf sich Ende April in Madrid. Auf einem Gruppenbild im Stadion von Atlético Madrid sind in der Mitte der mächtige ECA-und Paris-Saint-Germain-Chef Nasser al-Khelaifi sowie der Atlético-CEO Miguel Ángel Gil zu sehen. Unmittelbar dahinter steht Greuel. Nicht zuvorderst, aber zentral.

Zumindest im Namen von YB sind solche Stelldicheins vorbei.

Mitarbeit: Fabian Ruch

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