Sonntag, September 29

In Österreich findet am Sonntag die Nationalratswahl statt. Die FPÖ mit dem Parteichef Herbert Kickl könnte erstmals stärkste Kraft werden. Doch ob Kickl auch Chancen auf eine Regierungsbeteiligung hat, ist offen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Österreich wählt am Sonntag einen neuen Nationalrat, die grosse Kammer im Parlament. Die Freiheitlichen (FPÖ) könnten erstmals seit ihrer Gründung auf nationaler Ebene am meisten Stimmen erzielen, wie die Umfragen seit bald zwei Jahren zeigen.

Dennoch ist der Ausgang der Wahl offen. Die Abstände sind klein. Und es ist keinesfalls gesichert, dass die FPÖ im Falle eines Sieges an der neuen Regierung beteiligt sein würde. Die ersten Hochrechnungen werden kurz nach 17 Uhr erwartet, das vorläufige Ergebnis am späten Abend.

Wo liegen die Parteien in den Umfragen?

Die FPÖ führt die Umfragen relativ konstant mit 27 Prozent der Stimmen an. Dies wären 10 Prozentpunkte mehr als bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren. Die derzeitige Kanzlerpartei ÖVP liegt mit 25 Prozent auf dem zweiten Platz. In den vergangenen Wochen konnte sie den Rückstand auf die FPÖ allerdings verringern.

Die linke SPÖ folgt mit 21 Prozent der Stimmen auf Platz drei, dann folgen die liberale Partei Neos mit 11 und die Grünen mit 9 Prozent. Offen ist, ob die Bierpartei und die Kommunisten (KPÖ) die Hürde von 4 Prozent überwinden werden, um in den Nationalrat einzuziehen. Sie liegen beide bei knapp 3 Prozent.

Wer sind die wichtigsten Personen im Wahlkampf?

Die Nationalratswahl ist eine Listenwahl, die Wählerinnen und Wähler entscheiden sich grundsätzlich für eine Partei. Die Parteien treten jedoch mit Spitzenkandidaten an, meistens ist es die Parteichefin oder der Parteichef.

Sie sind das Gesicht ihrer Partei, prägen den nationalen Wahlkampf und gelten als theoretische Kanzlerkandidaten. Denn: Der Bundespräsident beauftragt nach der Wahl traditionell die wählerstärkste Partei mit der Regierungsbildung. Steht eine mehrheitsfähige Koalition, ernennt er auch den Bundeskanzler.

Der amtierende Bundeskanzler Karl Nehammer hat die Nationalratswahl deshalb auch zur «Kanzlerwahl» erklärt. Die grössten Chancen auf das Amt haben drei Parteichefs:

FPÖ und Herbert Kickl

Der FPÖ-Chef Herbert Kickl ist die prägendste Figur des Wahlkampfes. Dies liegt nebst den Umfragewerten auch an seiner Art zu politisieren. Kickl hat die Partei radikalisiert. Er gilt als aggressiv, er provoziert bewusst und scheut sich nicht, seine ideologischen und politischen Ziele offen zu benennen.

Als Kickl 2021 Parteichef der FPÖ wurde, nutzte er die Corona-Pandemie, um durch Polarisierung und Stimmungsmache gegen Corona-Massnahmen und Impfung neue Wählerschichten zu erobern. Kickl lehnte etwa Impfung ab und empfahl die Behandlung mit einem Entwurmungsmittel für Pferde.

Kickl politisiert gegen die illegale Migration, Waffenlieferungen an die Ukraine, die linke Gender-Politik. Anders als die AfD-Spitze in Deutschland distanziert er sich nicht vom Begriff der «Remigration». Bei einer Wahlveranstaltung sagte er zudem, unter seiner Führung werde Österreich keine Asylanträge mehr annehmen. In seinem Programm steht, das Asylrecht solle per Notgesetz ausgesetzt werden. Zudem soll es möglich werden, Regierungen per Volksentscheid abzuberufen.

Zum Porträt von Herbert Kickl.

ÖVP und Karl Nehammer

Karl Nehammer hat im Dezember 2021, drei Monate nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz, das Amt des Bundeskanzlers übernommen. Bei der Wahl 2024 tritt er erstmals für die konservative ÖVP als Spitzenkandidat an.

Doch Nehammer ist in der Bevölkerung weniger beliebt als sein Vorgänger. Zudem kämpft er noch immer mit den Korruptionsvorwürfen aus der Ära Kurz. Nehammer hofft als amtierender Regierungschef auf einen Amtsbonus und wirbt damit, dass er für Stabilität im Land stehe.

Die ÖVP präsentiert sich im Wahlkampf als «die starke Mitte» zwischen den Polparteien. In ihrem Programm propagiert sie konservative Werte: Leistung, Familie und Sicherheit.

Zum Interview der NZZ mit Karl Nehammer.

SPÖ und Andreas Babler

Andreas Babler ist seit einem Jahr Parteichef der Sozialdemokraten. In den Umfragen hat seine Partei im Vergleich zur ÖVP in den vergangenen Monaten zwar leicht verloren, sie gilt jedoch noch immer als mögliche Zweite hinter der FPÖ.

Babler spricht im Wahlkampf von einer «Reformkanzlerschaft» und einem «Neustart für Österreich». Er fordert unter anderem eine Viertagewoche bei vollem Lohn, höhere Steuern für «Superreiche», eine Erbschafts- und Schenkungssteuer, ein Verbot von Privatjets, tiefere Mieten, kostenlose Abgabe von Periodenprodukten für Frauen, kostenfreie Sport- und Bewegungsprogramme.

Mit Babler ist die SPÖ weiter nach links gerückt, selbst einigen Parteikollegen ist das Wahlprogramm zu weit links. Babler wird kritisiert, die Partei könne damit kaum Stimmen ausserhalb der traditionellen SPÖ-Wählerbasis gewinnen.

Zum ausführlichen Porträt von Andreas Babler.

Weitere Parteien und Persönlichkeiten

Die liberale Partei Neos («Neues Österreich») wird von der Parteichefin Beate Meinl-Reisinger angeführt. Neos wurde 2o12 von ehemaligen ÖVP-Mitgliedern gegründet, die Partei plädiert für wenig Staat im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft. Meinl-Reisinger und Neos könnten in der Regierungsbildung eine entscheidende Rolle spielen.

Der Punk-Musiker Dominik Wlazny überraschte bei der Bundespräsidentenwahl 2022 mit dem dritten Platz. Nun will er mit seiner Bierpartei, einst ein Satireprojekt, in den Nationalrat. Die Partei muss dazu jedoch mindestens 4 Prozent der Stimmen gewinnen.

Welche Koalitionen sind realistisch?

Es ist möglich, dass die FPÖ zwar die Wahl gewinnt, aber nicht in der Regierung vertreten sein wird. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat angedeutet, dass er die FPÖ nicht mit der Bildung einer Regierung beauftragen werde. «Eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, werde ich nicht durch meine Massnahmen noch zu befördern versuchen», sagte er in einem Interview vor einem Jahr.

Van der Bellen hat die Aussage nie konkretisiert. Doch laut Verfassung entscheidet er, wen er zum Bundeskanzler ernennt. Er kann auch mit der Tradition brechen und den Auftrag zur Regierungsbildung einer anderen als der stimmenstärksten Partei vergeben. Die Verfassung gibt nur eine stabile Regierung als Ziel vor.

Ob eine FPÖ-Regierung zustande käme, ist unabhängig vom Entscheid des Bundespräsidenten unklar. Die anderen Parteien schliessen eine Zusammenarbeit aus, auch die ÖVP. Nehammer sagte im Interview mit der NZZ jedoch, dass er sich eine Koalition mit der FPÖ vorstellen könne, sofern Kickl daran nicht beteiligt sei.

Für die Koalition zwischen FPÖ und ÖVP spricht, dass sich ihre Wahlprogramme ähneln: in der Wirtschaftspolitik, der Klimapolitik, der Asylpolitik. Einzig bei der Aussenpolitik gibt es deutliche Unterschiede. Die FPÖ bemüht sich um Allianzen mit rechtspopulistisch regierten Ländern wie Ungarn, sie lehnt die Russland-Sanktionen ab und sieht internationale Organisationen skeptisch. Die ÖVP hingegen ist proeuropäisch, bekennt sich zu internationaler Zusammenarbeit und den Ukraine-Hilfen.

Möglich ist auch eine Neuauflage der grossen Koalition von ÖVP und SPÖ. Doch die inhaltlichen Differenzen, vor allem bei der Wirtschaftspolitik, sind gross. Eine Koalition wäre nach den aktuellen Umfragewerten zudem nur mit einer dritten Partei möglich. Die ÖVP hat sich in der gegenwärtigen Regierung mit den Grünen überworfen. Die Chancen, dass es die beiden Parteien nochmals miteinander versuchen, sind gering.

Die Partei Neos gilt deshalb als mögliche Königsmacherin. Doch auch ihre Positionen unterscheiden sich deutlich von jenen der SPÖ. Einig ist man sich nur, dass eine Koalition FPÖ-ÖVP verhindert werden soll.

Welche Themen dominierten den Wahlkampf?

Lange dominierten die Folgen der hohen Zuwanderung und die steigenden Preise den Wahlkampf. Die FPÖ profitierte von der aufgeheizten Migrationsdebatte. Die SPÖ warb damit, dass sie die Preise und die Mieten senken werde.

Doch das desaströse Hochwasser von Mitte September in Niederösterreich hat den Wahlkampf verändert. Die Parteien sagten ihre Veranstaltungen grossteils ab, die TV-Debatten wurden verschoben, die Folgen des Unwetters und das Thema Klimawandel dominierten die Berichterstattung.

Bundeskanzler Karl Nehammer wurde zum Krisenmanager, erhielt eine Bühne, sprach für die betroffenen Gebiete Geld. Themen wie Migration und Inflation rückten in den Hintergrund.

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