Dienstag, Oktober 1

Erstmals seit dem Sturz von Präsident Rajapaksa vor zwei Jahren wird in Sri Lanka wieder gewählt. Die Wirtschaft hat sich stabilisiert, doch die Wut auf das Establishment bleibt gross. Profitieren könnte davon ein Kandidat, der radikalen Wandel verspricht.

«Aragalaya», den Kampf, nannten die Sri Lanker den Volksaufstand gegen die Rajapaksa-Regierung vor zwei Jahren. Auslöser der Proteste war eine tiefe Finanz- und Wirtschaftskrise, die den Staat an den Rand des Bankrotts gebracht hatte. Im Juli 2022 zwang die Protestbewegung Präsident Gotabaya Rajapaksa zum Rücktritt. Nun finden erstmals wieder Wahlen statt. Die Wirtschaft hat sich stabilisiert, doch der Unmut bleibt gross. Viele Wähler wünschen sich bei der Präsidentschaftswahl am Samstag einen radikalen Systemwechsel.

«Die politische Situation hat sich seit 2022 verändert, und keiner der drei Hauptkandidaten entstammt der Protestbewegung», sagt der Politikexperte Paikiasothy Saravanamuttu vom Centre for Policy Alternatives (CPA) in Colombo. Doch die Anliegen der Demonstranten blieben unverändert aktuell und würden die Wahlen prägen: der Kampf gegen Korruption und Klientelismus und die Forderung nach einer Reform des politischen Systems, das diese Missstände ermöglicht.

Die Wut über das Establishment, welche die Massen vor zwei Jahren auf die Strassen getrieben habe, sei nicht verschwunden, sagt Saravanamuttu. Die Lage der Wirtschaft bleibe prekär, der Staat sei auf die Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) angewiesen. Der Spielraum für Reformen sei gering, Geld für neue Sozialleistungen gebe es nicht. Die Optionen des künftigen Präsidenten seien daher begrenzt, und die Gefahr sei gross, dass die Wähler enttäuscht würden.

Angefangen hatte die Krise mit der Corona-Pandemie

Angefangen hatte der Aragalaya-Aufstand im April 2022 mit Protesten der Bauern. Sie wehrten sich gegen die plötzliche Verhängung eines Einfuhrstopps für Kunstdünger und die erzwungene Umstellung auf biologische Landwirtschaft. Mit der Importbeschränkung hoffte die Regierung von Präsident Gotabaya Rajapaksa, das ausufernde Handelsbilanzdefizit in den Griff zu bekommen, das zu einem bedrohlichen Mangel an Devisen auf der Insel geführt hatte.

Doch der abrupte Wechsel zur biologischen Landwirtschaft verschärfte die Wirtschaftskrise nur noch, die zwei Jahre zuvor mit der Corona-Pandemie und dem Einbruch des Tourismus begonnen hatte. Selbst für die wichtigsten Importgüter fehlte das Geld. Benzin und Gas wurden knapp, vor den Tankstellen bildeten sich lange Schlangen, in den Städten fiel stundenlang der Strom aus. Die Wirtschaft stand vor dem Kollaps, und dem überschuldeten Staat drohte der Bankrott.

Trotz dem rücksichtslosen Einsatz von Gewalt durch regierungsnahe Schlägertrupps gelang es Präsident Rajapaksa nicht, die Proteste in den Griff zu bekommen. Als sich die Massenkundgebungen am Rande des Regierungsviertels in Colombo bedrohlich zuspitzten, floh Rajapaksa am 13. Juli 2022 ins Ausland und reichte kurz darauf seinen Rücktritt ein. Wenige Tage später wurde Premierminister Ranil Wickremesinghe vom Parlament zum neuen Präsidenten gewählt.

Die Rajapaksas sind auf absehbare Zeit diskreditiert

«Die Proteste waren ausgelöst worden durch das Gefühl einer akuten Krise», sagt der Ökonom Nishan de Mel von der Denkfabrik Verité Research in Colombo. Die Wähler hätten das Vertrauen in Präsident Rajapaksa verloren, der als inkompetent und korrupt gegolten habe. Er hatte vor seiner Wahl 2019 versprochen, die Korruption auszumerzen, doch habe er in dieser Hinsicht enttäuscht, sagt de Mel. Das oberste Ziel der Demonstranten sei daher der Sturz des Präsidenten und die Entmachtung seines Familienclans gewesen.

Gotabaya Rajapaksa entstammt einer mächtigen Politikerdynastie. Schon sein Vater war in der Politik gewesen, und sein Bruder Mahinda war von 2005 bis 2015 Präsident. Als Gotabaya 2019 selber das oberste Staatsamt übernahm, ernannte er Mahinda zum Premierminister. Sein älterer Bruder Chamal wurde Minister für Bewässerung, sein jüngerer Bruder Basil erhielt das Finanzdossier, und sein Neffe Namal, ein Sohn von Mahinda, wurde Sport- und Jugendminister.

Diese Zeit ist vorbei: Gotabaya und Mahinda sind durch ihr wirtschaftliches Missmanagement und ihr gewaltsames Vorgehen gegen die Protestbewegung diskreditiert. Eine Rückkehr in die Politik sei auf absehbare Zeit unwahrscheinlich, sagt de Mel. Zwar tritt Namal als Vertreter des Rajapaksa-Clans zur Wahl an, doch werden dem 38-Jährigen kaum Chancen eingeräumt. Sein eigentliches Ziel sei es wohl auch, sich für die nächste Wahl in Position zu bringen, sagt de Mel.

Dissanayake steht für den Bruch mit dem Status quo

Es wird erwartet, dass das Rennen zwischen dem Amtsinhaber Ranil Wickremesinghe sowie Sajith Premadasa und Anura Kumara Dissanayake entschieden wird. Wickremesinghe ist ein 75-jähriger Politikveteran, der seit den neunziger Jahren sechs Mal Premierminister war und schon drei Mal zur Präsidentenwahl angetreten ist. Er hat viel Erfahrung und gute internationale Verbindungen. Ihm wird zugutegehalten, die Wirtschaft stabilisiert zu haben, doch gilt er als wenig charismatisch und als ein Mann des politischen Establishments.

Mehr Chancen werden Premadasa zugerechnet. Auch er stehe eher für Kontinuität und könne ein erfahrenes, kompetentes Team vorweisen, sagt Saravanamuttu. Sein wichtigster Gegner Dissanayake sei dagegen ein Kandidat des Wandels. Zwar habe auch er versprochen, sich an die Vereinbarung mit dem IWF zu halten, doch verkörpere er am ehesten den Wunsch nach einem Bruch mit dem Status quo, der vor zwei Jahren im Aragalaya-Aufstand zum Ausdruck gekommen sei, sagt der Politikexperte.

Viele Beobachter halten Dissanayake für den wahrscheinlichen Sieger der Wahl am Samstag. Der Kandidat der kommunistischen Volksbefreiungsfront (JVP), die 1971 und 1987 zwei blutige Guerillakriege gegen den Staat angeführt hat, löst in Teilen der Bevölkerung aber auch Sorge aus. Während Premadasa eher berechenbar sei, sei mit Dissanayake eine grosse Ungewissheit verbunden, sagt de Mel. Viele Wähler seien aber so unzufrieden mit der jetzigen Situation, dass sie bereit seien, dieses Risiko einzugehen.

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