Sonntag, November 24

Im zweitgrössten Bundesland Österreichs gewinnen die Rechtspopulisten erdrutschartig und könnten den ersten Landeshauptmann seit Jörg Haider stellen. Das Resultat ist wohl auch eine Quittung für die Ausgrenzung auf Bundesebene.

Zwei Monate nach ihrem Sieg bei der österreichischen Nationalratswahl gelingt der FPÖ ein weiterer historischer Triumph. Sie erreicht bei der Landtagswahl in der Steiermark laut Hochrechnungen über 35 Prozent der Stimmen und landet damit erstmals auf Platz eins. Das zweitgrösste Bundesland ist erst das zweite überhaupt, in dem die Rechtspopulisten stärkste Kraft werden und damit den Anspruch auf das Amt des Landeshauptmanns stellen können. Zuvor war ihnen das nur in Kärnten gelungen, wo der Erfinder der FPÖ als Massenpartei, Jörg Haider, jahrelang regierte und seine Hochburg hatte.

Derweil stürzt ebenfalls wie vor acht Wochen auf Bundesebene die konservative ÖVP ab und erreicht nur noch knapp 27 Prozent der Stimmen. Die SPÖ, die in den vergangenen Jahren gemeinsam mit den Konservativen in einer grossen Koalition regierte, kommt nur auf den dritten Platz – auch das ist eine Premiere.

Die FPÖ ist mit einem Finanzskandal konfrontiert

Der Erfolg der FPÖ kommt nur in seinem Ausmass überraschend. Umfragen hatten ein Resultat über 30 Prozent erahnen lassen, und auch bei der Nationalratswahl waren die Rechtspopulisten in der Steiermark schon stärkste Kraft. Das Bundesland gilt als Österreichs «Swing State». Anders als etwa in Wien oder Niederösterreich, wo in der Nachkriegszeit stets dieselbe Partei obsiegte und die Landeshauptleute stellte, lagen hier die grossen Parteien oft Kopf an Kopf. Die FPÖ ist traditionell stark und kam schon 2015 auf 27 Prozent der Stimmen.

Die erdrutschartigen Verschiebungen vom Sonntag liegen denn auch an der speziellen Konstellation der Wahl vor fünf Jahren: Sie fand ein halbes Jahr nach dem Platzen des Ibiza-Skandals statt, für den die FPÖ abgestraft wurde. Die ÖVP profitierte und schaffte ein Glanzresultat, das sie auch dem damaligen nationalen Zugpferd Sebastian Kurz verdankte.

Dennoch ist das Ergebnis ein weiteres Erdbeben, zumal die steirische FPÖ seit Jahren mit Vorwürfen von mutmasslich veruntreuten Parteigeldern im Umfang von 1,8 Millionen Euro konfrontiert ist. Seit drei Jahren wird wegen schwerwiegender Delikte gegen 18 Personen ermittelt, unter ihnen auch der Landesparteichef und möglicherweise künftige Landeshauptmann Mario Kunasek. Laut einer anonymen Anzeige soll er die Steuergelder auch für den Bau seines Privathauses missbraucht haben.

Offenbar spielte dieser Skandal für die Wähler keine Rolle. Beobachter hatten im Vorfeld auf die Komplexität des Korruptionsfalls hingewiesen sowie die lange Untersuchung ohne Anklage. Kunasek selbst meinte in einer ORF-Diskussion lapidar, die Wähler hätten andere Sorgen.

Die Erschütterung wird bis nach Wien zu spüren sein, wo nach einer langen Sondierungsphase seit knapp einer Woche die ÖVP, die SPÖ und die liberale Partei Neos offiziell Koalitionsverhandlungen führen. Ein Zusammengehen mit der von Herbert Kickl geführten FPÖ lehnten alle anderen Parteien ab, weshalb erstmals ein Dreierbündnis Österreich regieren könnte – oder eine «Koalition der Verlierer», wie die Rechtspopulisten seit Wochen höhnen.

Dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht wie üblich den Chef der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragte, wird nicht nur von der FPÖ als undemokratisch bezeichnet. Obwohl Van der Bellen Gespräche anordnete und sich dabei bestätigte, dass Kickl keinen Partner findet, inszeniert sich die Partei seither als Opfer eines von ihr stets kritisierten «Systems».

Ob das zu ihrem Erfolg in der Steiermark beitrug, ist unklar. Die FPÖ lag in dem Bundesland schon seit Monaten weit voraus in den Umfragen. Möglich ist es aber durchaus: In den wenigen nationalen Befragungen seit der Wahl konnte die Partei nochmals deutlich zulegen und kommt derzeit im von der Agentur APA ermittelten Durchschnitt ebenfalls auf klar über 30 Prozent.

Ob die Dreierkoalition gelingt, ist offen

Das setzt die insgesamt fast 250 Verhandler in Wien zusätzlich unter Druck. Aus den drei Parteien heisst es unisono, das Wahlergebnis habe gezeigt, dass es kein «weiter wie bisher» geben dürfe. Weniger Einigkeit herrscht aber in der Frage, welche Reformen nötig sind und wie sie aussehen sollen. Ein Problem sind ohnehin die leeren Kassen: Die scheidende schwarz-grüne Regierung hinterlässt ein riesiges Budgetloch. Brüssel verlangt schon für das nächste Jahr Einsparungen von mehreren Milliarden, was die künftige Koalition zu unpopulären Einschnitten zwingen wird.

Ob die Gespräche zu einem Übereinkommen führen werden, ist deshalb nicht garantiert – und noch viel weniger, dass eine so heterogene Regierung lange hält. Im Falle eines Scheiterns wäre die FPÖ wieder im Spiel. In der ÖVP gibt es ohnehin Stimmen, die lieber mit den Blauen koalieren würden, so wie es die Konservativen in vier der neun Bundesländer bereits tun.

Ob die Steiermark dazukommt, ist offen. Hier regelt die Landesverfassung, dass der Wahlsieger zu Koalitionsgesprächen lädt. Allerdings heisst dies nicht, dass es Kunasek am Ende nicht gleich ergeht wie Kickl. Der amtierende Landeshauptmann Christopher Drexler von der ÖVP und die SPÖ haben im Wahlkampf betont, ihr Bündnis fortsetzen zu wollen. Dafür fehlt eine Mehrheit, aber auch in der Steiermark ist eine Erweiterung um einen dritten Partner denkbar. Die FPÖ könnte also trotz ihrem Triumph in der Opposition bleiben.

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