Donnerstag, Oktober 10

Bei der Parlamentswahl ist es den österreichischen Rechtspopulisten erstmals gelungen, gleich viele Frauen wie Männer anzusprechen. Eine Politikwissenschafterin erklärt, wie ausgerechnet der radikale FPÖ-Chef Herbert Kickl bei Frauen punktet.

Bei der Nationalratswahl Ende September wurde die FPÖ erstmals von praktisch gleich vielen Frauen wie Männern gewählt. 2019 betrug der Unterschied zwischen den Geschlechtern noch zehn Prozentpunkte. Frau Stainer-Hämmerle, was sind die Gründe für diesen Erfolg der Partei nun auch bei Frauen?

Ich sehe vor allem drei Gründe. Es gab kurz vor der Wahl eine breite Diskussion über die Schulen vor allem in Wien, in denen viele Kinder kaum oder nur schlecht Deutsch sprechen. Bildungspolitik betrifft Frauen in ihrer Lebensrealität stark. Auch das Thema Corona-Massnahmen und Impfungen bewegte viele an Homöopathie und Naturheilmethoden interessierte Frauen. Dazu kam die sehr lange Schliessung der Schulen während der Pandemie, durch die oft vor allem Mütter mehr Aufgaben parallel erfüllen mussten. Viele dieser Frauen waren möglicherweise zuvor eher links orientiert und fanden sich damals in ihrem Protest plötzlich im gleichen Lager wie Rechtsextreme und Querdenker. Politisch repräsentierte nur die FPÖ diese Bewegung. Und schliesslich machten in den vergangenen Monaten Messerstechereien und Gewalt im öffentlichen Raum Schlagzeilen, was Frauen verunsichert. Für Recht und Ordnung steht zwar auch die konservative ÖVP, aber als Regierungspartei konnte sie für die Situation mitverantwortlich gemacht werden.

Die FPÖ propagiert ein sehr traditionelles Frauenbild und kritisiert etwa den «Gender-Wahn». Offenbar spricht das Frauen genauso an wie Männer.

Die FPÖ verlangt mehr Respekt auch für Frauen, die zu Hause bleiben und die Kinder betreuen wollen. Der Parteichef Herbert Kickl behauptet, dass alles besser war, als die Mütter noch zu Hause waren. Das weckt nostalgische Gefühle bei Frauen in höherem Alter oder bei solchen, die sich für eine traditionelle Rolle entscheiden. Die ÖVP stand auch stets für die Wahlfreiheit bei der Kinderbetreuung. Wegen der schlechten Wirtschaftslage und des Fachkräftemangels propagierte sie nun aber stark, dass Frauen mehr arbeiten. Das ist eine Erwartungshaltung, die wohl viele Frauen ablehnen – auch weil der Eindruck entsteht, nur Erwerbsarbeit sei richtige Arbeit. Die FPÖ war die einzige Partei, die nicht darauf drängte, dass Frauen dem Arbeitsmarkt vollzeitlich zur Verfügung stehen. Die Erzählung ist: Wir lassen uns nicht bevormunden – was wir denken, wie wir reden, was wir tun.

Früher hiess es jeweils, die Aggressivität der FPÖ schrecke Frauen ab. Ausgerechnet mit Herbert Kickl, dem schärfsten Rhetoriker an der Parteispitze seit Jahrzehnten, scheint das nicht mehr der Fall zu sein.

Die Kampagne war nicht negativ oder dystopisch – anders als oft in der Vergangenheit. Kickl lächelte freundlich auf den Plakaten und der Slogan war: Ich stehe als «Volkskanzler» auf eurer Seite. Im EU-Wahlkampf waren noch Panzer und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski abgebildet. Nun war es eine positive Kampagne, in der die FPÖ «fünf gute Jahre» versprach. Kickl wollte den anderen Parteien keine Argumente liefern, die FPÖ von künftigen Koalitionsverhandlungen auszuschliessen. Aber es löste offenbar auch bei Frauen nicht die frühere Ablehnung aus.

Kickls Vorgänger Heinz-Christian Strache inszenierte sich gerne mit seiner damaligen Frau und als Familienvater – auch um eine «weiche» Seite zu zeigen. Kickl schottet sein Privatleben dagegen völlig ab. Spielt das für Frauen gar nicht die Rolle, die man meinen könnte?

Kickl zeigt sich privat tatsächlich nur beim Sport, beim Wandern und Bergsteigen. Aber anders als einst Strache oder Jörg Haider ist er auch nie bei Promi-Anlässen oder ausschweifenden Feiern. Damit erscheint er nicht anfällig für Verlockungen wie Alkohol, Drogen, Frauen oder russische Oligarchinnen. Kickl ist diesbezüglich komplett konträr zu Strache – ein asketischer, einsamer Wolf. Er fährt kein luxuriöses Auto und trägt keine teuren Anzüge. Er sagt damit: Ich bin einer von euch und nicht korrumpierbar. Das nutzt ihm nach dem Party-Politiker Strache, der auf Ibiza im Rausch leichtsinnig wurde.

Waren die sozialen Netzwerke für die Mobilisierung weiblicher Wählerinnen von spezieller Bedeutung?

Während der Pandemie hat man gesehen, dass gerade auch Frauen auf Social Media für alternative Meinungen empfänglich wurden – und einige sind in dieser Echokammer vermutlich hängen geblieben.

Für diese Wahl stellte die FPÖ auf der Bundesliste erstmals zur Hälfte Frauen auf, und Exponentinnen der Partei waren im Wahlkampf stärker präsent als auch schon. Ist das den Wählerinnen wichtig?

Das war eher ein Marketing-Gag, auf den Landeslisten waren vorwiegend Männer auf den besten Plätzen. Unter den gewählten FPÖ-Mandataren beträgt der Frauenanteil deshalb auch nur zwanzig Prozent. Im Wahlkampf spielten sie eher in der zweiten Reihe eine Rolle, eigenständige Positionen nehmen sie nicht ein. Weibliche Kandidatinnen haben aber ohnehin keinen grossen Effekt. Just unter ihrer ersten weiblichen Vorsitzenden, Pamela Rendi-Wagner, verlor die SPÖ ihren Vorsprung bei den Frauen.

Glauben Sie, dass der zugeschüttete Geschlechtergraben bei der FPÖ nachhaltig ist, oder war das eine Ausnahmesituation bei dieser Wahl?

Ich nehme bei den Frauen eine stärkere Polarisierung wahr zwischen denjenigen, die traditionelle Vorstellungen haben von Familie und Geschlechterrollen, sowie denjenigen, die in diesen Fragen eine progressive Haltung einnehmen. Solange Themen wie Geschlechtervielfalt, Queerness und die Art der Kinderbetreuung Teil der politischen Debatte bleiben, wird diese Spaltung anhalten. Und die FPÖ hat das klarste Angebot für Frauen mit einer traditionellen Sichtweise.

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