Mittwoch, November 12

Venezuelas Diktator Nicolás Maduro hat für den 28. Juli Präsidentschaftswahlen angesetzt. Es wird kein demokratischer Urnengang sein. Trotzdem ergibt es Sinn, dass die Opposition antritt.

Am 14. April 2013 wurde Nicolás Maduro mit einem knappen und umstrittenen Wahlresultat zum Nachfolger des verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez gekürt. Im Wahlkampf hatte er erzählt, Chávez sei ihm als Vögelchen erschienen. Er habe den Geist von Chávez gespürt. Es sei gewesen, als habe der Comandante ihm den Segen geben wollen. Obwohl sich seine Gegner über seine Erzählung lustig machten, sprach Maduro später von neuen solchen Begegnungen.

Es entzieht sich unserer Kenntnis, ob das Vögelchen Maduro auch heute noch besucht. Falls es das aber tut, dürfte es kaum begeistert sein von dem, was es sieht. Maduro hat die venezolanische Wirtschaft in den letzten elf Jahren regelrecht an die Wand gefahren. Das Land mit den grössten weltweit bekannten Erdölreserven hat unter ihm drei Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren. Die Erdölförderung ist von 2,9 Millionen Fass pro Tag auf heute 0,8 Millionen Fass gesunken, zwischendurch war sie sogar bis auf 0,4 Millionen Fass gefallen. 7,7 Millionen Venezolaner sind vor dem Hunger und der Repression ins Ausland geflohen. Das ist rund ein Viertel der Bevölkerung.

Maduro konsolidiert seine Macht

Was dem Vögelchen allerdings gefallen dürfte: Maduro hat es geschafft, trotz diesem katastrophalen «Erfolgsausweis» das von Chávez aufgebaute autoritäre Regime bis heute an der Macht zu erhalten. Elf Jahre nach seinem Amtsantritt scheint er fester im Sattel zu sitzen denn je. Mit Repression gegen Andersdenkende, Kontrolle über die traditionellen Medien, massivem Einsatz staatlicher Mittel in den Wahlkämpfen, willkürlicher Disqualifikation von Herausforderern und Wahlfälschung hat Maduro die Demokratie ausgehebelt.

Auch die Hoffnung, dass sich die Armee angesichts der katastrophalen Zustände gegen Maduro auflehnen könnte, hat sich zerschlagen. Dies spätestens nachdem der Aufstand des von zahlreichen Staaten anerkannten Gegenpräsidenten Juan Guaidó 2019 kläglich gescheitert war. Die Armeeführung hält zu Maduro. Geschickt hat es dieser verstanden, deren Interessen an das Überleben des Regimes zu binden. Das Militär ist an der verbreiteten Korruption der Chavisten beteiligt. Es verdient leidlich mit und ist auch – von der Regierung geschützt – in den Drogenhandel verwickelt. Bei einem Sturz des Regimes droht den Militärs deshalb nicht nur der Verlust ihrer Privilegien, sondern sogar die Verurteilung zu langen Haftstrafen.

Auch die Sanktionen der Amerikaner und der Europäer gegen die venezolanische Erdölwirtschaft haben das Regime nicht zu Fall bringen können. Es gelang Maduro mithilfe von Russland, China und anderen Ländern, sein Erdöl weiterhin auf den Markt zu bringen. Der uncharismatische und von vielen lang unterschätzte frühere Buschauffeur hat es verstanden, seine Macht gegen alle Herausforderungen abzusichern.

So ist in Venezuela eine Pattsituation zwischen Maduros Regime und einer grossteils unzufriedenen Bevölkerung entstanden. Als Folge davon bewegt sich wenig im Land. Die Opposition hatte 2018 die letzte Präsidentschaftswahl boykottiert, nachdem Maduro ihre wichtigsten Kandidaten ausgeschlossen hatte. Doch für die diesjährige Präsidentschaftswahl ergibt sich eine neue Ausgangslage.

Einigung auf «freie und faire Wahlen»

Alle Seiten besitzen ein Interesse an einer Überwindung der politischen Blockade. Die Opposition will endlich wieder auf die politische Bühne zurückkehren. Die Amerikaner sind wegen der Energiekrise als Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine wieder an venezolanischem Erdöl interessiert. Ausserdem wollen sie ein besseres Einvernehmen mit dem Regime, um abgewiesene venezolanische Asylsuchende zurückführen zu können. Deren Zahl wächst laufend. Und schliesslich erhofft sich Maduro von Kompromissen mit der Opposition eine Lockerung der Sanktionen.

Deshalb einigten sich im letzten Oktober die drei Seiten auf ein Abkommen im Hinblick auf die in diesem Jahr anstehende Präsidentschaftswahl. Die Opposition erklärte sich zur Teilnahme bereit, während Maduro versprach, deren Kandidaten zuzulassen und zu erlauben, dass internationale Beobachter den Urnengang überwachen. Die führende Rolle spielen sollten dabei die EU, die Uno und das Carter-Center, eine vom früheren amerikanischen Präsidenten gegründete Organisation, die unter anderem Wahlen beobachtet. Washington erklärte sich als Reaktion auf die Versprechen Maduros bereit, die Sanktionen gegen Venezuela zu lockern.

Wenig überraschend zeigte sich schon wenige Tage darauf, dass Maduro keineswegs bereit war, die versprochene freie und faire Wahl zuzulassen. Die Opposition hielt am 22. Oktober eine Primärwahl ab, um ihren Präsidentschaftskandidaten zu bestimmen. Trotz verzweifelten Versuchen der Regierung, diese zu verhindern, nahmen rund zweieinhalb Millionen Bürger daran teil. María Corina Machado, die Tochter eines von Chávez enteigneten Unternehmers und eine scharfe Kritikerin Maduros, wurde mit über 92 Prozent der Stimmen zur Oppositionskandidatin gewählt. Doch das Regime erklärte die Primärwahl für null und nichtig, es liess Machado nicht zur Wahl zu.

Das altbekannte Muster von Schikanen und Repression gegen Oppositionelle wurde fortgesetzt. Eine Ersatzkandidatin für Machado wurde im März für die Registrierung im Online-System gesperrt. Im letzten Moment gelang es dem Oppositionsbündnis, den kaum bekannten 74-jährigen früheren Karrierediplomaten Edmundo González zu registrieren. Maduro hatte ihm offenbar keine Chancen eingeräumt, doch nach kurzer Zeit lag er in den Umfragen über 20 Prozentpunkte vor dem Präsidenten.

Kein Wunder, dass nun für Maduro die internationale Wahlbeobachtung zu riskant wurde. Ende Mai annullierte er die Einladung an die für ihn gefährlichste Mission, diejenige der EU. Die Linksregierungen von Brasilien und Kolumbien, die eine lateinamerikanische Beobachterdelegation hätten anführen sollen, zogen sich angesichts der anhaltenden Repression aus eigenem Antrieb zurück.

Es verbleiben nur noch ein Expertenpanel der Uno und das Carter-Center. Eine effektive Überprüfung der Wahl ist damit nicht mehr möglich. Das Uno-Panel besteht aus lediglich vier Beobachtern, die zudem nur einen vertraulichen Bericht abliefern dürfen. Auch das Carter-Center hat bereits bekanntgegeben, dass ihm die Ressourcen fehlen, um eine umfassende Bewertung des Urnengangs vornehmen zu können.

Warum die Opposition trotzdem antreten sollte

Maduros Gebaren macht deutlich: Es ist unrealistisch, anzunehmen, dass der Präsident seinen Posten räumen wird, sollte er am 28. Juli die Wahl tatsächlich verlieren. Ergibt es deshalb überhaupt Sinn für die Opposition, gegen ihn anzutreten? Sollte diese den Urnengang nicht besser wieder boykottieren?

Ein Regimewechsel durch Wahlen scheint zurzeit trotz allem die erfolgversprechendste Option für die Opposition. Die Entwicklung der letzten elf Jahre zeigt, dass ein Sturz des Regimes unwahrscheinlich ist, solange die Armee und die Sicherheitskräfte Maduro stützen. 2014 und 2017 versuchte die Opposition mit monatelangen Massenprotesten auf der Strasse einen Machtwechsel zu erreichen. Die brutale Niederschlagung der Demonstrationen forderte damals mehr als 120 Todesopfer, ohne dass damit etwas erreicht werden konnte. Das Resultat war ein Scherbenhaufen.

Auch von den Amerikanern kann die Opposition nur bedingt Hilfe erwarten. Präsident Biden will nicht alle Brücken zu Maduro abbrechen. Ein völliges Versiegen der venezolanischen Erdöllieferungen würde die Treibstoffpreise im Wahljahr ansteigen lassen und damit die Chancen der Demokraten weiter beeinträchtigen. Auch ist Washington auf eine Zusammenarbeit angewiesen wegen der Migrationsfrage. Und schliesslich wollen die USA wohl auch vermeiden, dass bei voller Konfrontation in ihrem «Hinterhof» in Venezuela eine russische Militärbasis entsteht.

Die Teilnahme an Wahlen ist trotz Maduros Intransigenz nicht sinnlos. Nicht in jedem Fall wird er einen Erfolg der Opposition verhindern können. So musste er etwa 2022 ausgerechnet im Heimatstaat von Hugo Chávez bei der Gouverneurswahl eine Niederlage hinnehmen, nachdem dieser Gliedstaat seit 23 Jahren von Verwandten von Chávez regiert worden war. Der Boykott früherer Wahlen hat die Opposition hingegen in den Augen vieler Venezolaner als wirkungslos und zerstritten erscheinen lassen. Dies hat zu verbreiteter politischer Apathie geführt.

Indem die Opposition nun im Wahlkampf mitmacht, kann sie sich profilieren und in Stellung bringen für den Moment, in dem das Regime einmal schwächelt. Obwohl María Machado für die jetzigen Wahlen gesperrt ist, kann sie einen schonungslosen Wahlkampf betreiben. Maduro hat bisher nicht gewagt, sie einzusperren. Denn solche Repressionsmassnahmen gegen populäre Gegner haben immer auch Kosten für den Diktator zur Folge. Die Opposition zeigt sich dieses Jahr wesentlich cleverer und geschlossener als früher. Dies wird sie für die Zukunft stärken, unabhängig davon, welche Mittel Maduro in den nächsten Wochen einsetzt, um an der Macht zu bleiben.

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