Montag, November 18

Für die baltischen Staaten ist die Nato eine Lebensversicherung. Im Interview erklärt der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur, warum Trumps Wahl für Estland sogar ein Vorteil sein könnte.

Estland, drei Tage nach der Wahl von Donald Trump. Politiker und Nato-Truppen haben sich auf dem Luftwaffenstützpunkt Ämari versammelt, um eine neue Startbahn einzuweihen. 200 Kilometer von der russischen Grenze entfernt werden Hände geschüttelt, es wird die Solidarität beschworen. Auch die US Air Force ist präsent. Wie lange noch?

Abseits der offiziellen Reden ist die Stimmung nachdenklich. Als direkte Nachbarn von Russland fürchten die baltischen Staaten um ihre Sicherheit. Doch in Tallinn ist man bemüht, die Möglichkeit eines amerikanischen Kurswechsels herunterzuspielen. Gerade weil man weiss: Sollten die USA ihre Alliierten im Stich lassen, könnten die Folgen zuerst für Estland, Lettland und Litauen fatal sein.

Herr Pevkur, was bedeutet die Wahl von Donald Trump für die Sicherheit der baltischen Staaten?

Dasselbe wie für Deutschland, Frankreich und ganz Europa. Ich bin überzeugt davon, dass die Administration von Trump dasselbe fordern wird wie vor fünf Jahren: dass Europa mehr für seine Sicherheit tun muss. Die Bedrohungslage hat sich nicht geändert: Wir werden weiter noch exzellente Beziehungen zu den USA haben.

Sie sind optimistisch. Trump hat mehrfach gedroht, die Nato zu verlassen. Auch wenn die USA das nicht tun sollten, ist zu erwarten, dass sie weniger zur Sicherheit Europas beitragen werden.

Ich will nicht spekulieren. Vor zehn Jahren gab es ähnliche Befürchtungen vor seinem Amtsantritt. Stattdessen kamen in der ersten Amtszeit von Trump mehr amerikanische Truppen nach Estland. Wir sollten abwarten, wer im Pentagon die Führung übernimmt. Realpolitik ist etwas anderes als Wahlkampf.

Estland gibt bereits heute 3,4 Prozent seines Bruttoinlandproduktes (BIP) für die Verteidigung aus. Ist es überhaupt möglich, noch mehr in die Verteidigung zu investieren?

Wir streben bis 2026 einen Anteil von 3,7 Prozent an, und ich kann nicht ausschliessen, dass er noch höher wird. Das hängt von der Sicherheitslage in Europa ab. Meine Botschaft am nächsten Nato-Gipfel in Den Haag wird sein, dass wir alle noch mehr tun müssen. Das gilt auch für Estland.

Die estnische Regierung hat Steuererhöhungen angekündigt. Die Bevölkerung ist nicht begeistert, vielen Estinnen und Esten geht es finanziell schlecht. Ist diese Politik tragbar?

Während des Kalten Kriegs gaben europäische Länder im Durchschnitt 4 Prozent ihres BIP für die Verteidigung aus, und die Abschreckung hat sich ausgezahlt. Es kostet immer noch weniger als ein Krieg in der Nachbarschaft. Es geht darum, den Frieden, die Freiheit und die Unabhängigkeit zu schützen. Wir müssen so viel dafür tun, wie wir nur können.

Egal, wie viel Estland investiert: Als kleines Land kann es sich unmöglich allein verteidigen. Wie abhängig ist es von den USA?

Der absolute Beitrag der USA zum Verteidigungshaushalt der Allianz ist natürlich am grössten. Aber es geht nicht um Abhängigkeit, sondern um Kooperation. Die Nato hat sich darauf geeinigt, dass alle Staaten 2 Prozent ihres BIP in die Verteidigung investieren sollten. Estland gibt prozentual sogar mehr aus als die USA. Wir sind gute Partner, auch Trump versteht das. Wieso sollten wir also ein Ende der Kooperation fürchten?

Nicht alle Nato-Mitglieder erreichen das Ziel. Was erwarten Sie von Ihren europäischen Partnern?

Wenn man Mitglied im Klub ist, muss man den Mitgliederbeitrag bezahlen. Die Entwicklung ist gut, im Schnitt erreicht die Nato das Ziel. Aber noch immer gibt etwa ein Drittel der Länder zu wenig aus. Ich bin mir sicher, dass Trump weiter Druck ausüben wird. 2 Prozent sind das absolute Minimum. Estland würde den Beitrag gerne erhöhen.

Trump hat angekündigt, den Krieg in der Ukraine in 24 Stunden zu beenden. Nähern wir uns seinem Ende?

Es ist noch zu früh, das zu sagen. Diese Aussage ist natürlich ein politischer Slogan im Wahlkampf und praktisch nicht umsetzbar. Es ist wichtig, ein klares Signal an Russland zu senden, dass die USA hinter der Ukraine stehen. Ich denke, das wird weiterhin der Fall sein.

Wie könnte ein realistischer Weg zum Waffenstillstand aussehen?

Ich weiss, dass Wolodimir Selenski seinen Friedensplan bereits Trump vorgestellt hat. In erster Linie muss die Ukraine mit den Bedingungen für einen Waffenstillstand zufrieden sein. Aber das scheint derzeit auch aus russischer Sicht nicht möglich, denn Russland will die Region Kursk zurückerobern. Es gibt derzeit zu viele offene Fragen.

Im Frühling sagten Sie, dass nach Ende des Krieges innerhalb von drei bis fünf Jahren mit einem nächsten Angriff Russlands zu rechnen sei, wenn der Kreml wieder aufgerüstet habe. Ein naheliegendes Ziel wäre das Baltikum. Was bedeutet es für die Sicherheitslage in Estland, wenn Trump einen Frieden erzwingt?

Es kommt darauf an, wie der Krieg beendet wird. Wichtig ist, dass wir alle in der Nato unsere Pflichten erfüllen. Wir sollten auch nicht die ganze Zeit davon sprechen, dass die Ukraine nicht mehr kämpfen kann. Wenn wir sie unterstützen, kann sie weiterkämpfen. Die Lage ist auch für Russland schwierig, und deshalb müssen wir den Druck aufrechterhalten. Wir müssen Moskau in eine Situation bringen, in der es nicht anders kann, als zu kapitulieren.

Wie sehen Sie die Nachbarschaft mit Russland in Zukunft?

Die Prognose ist die gleiche wie im Frühling. Sie stützt sich auf die russischen Pläne für den Wiederaufbau nach dem Krieg. Diese beinhalten die Stationierung eines neuen Armeekorps mit moderner Ausrüstung in der Nähe der estnischen und der finnischen Grenze. Und wenn der Krieg zu Ende ist, wird es in Russland Hunderttausende Männer mit Kriegserfahrung geben. Sie wollen ganz bestimmt nicht zurück nach Jakutien in die Provinz, um 200 Dollar zu verdienen, wenn sie heute als Soldaten 2500 bekommen.

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