Das Modell Martin Mars war seit 1943 das grösste je in Serie gebaute Flugboot. In Kanada flog es immer noch regelmässige Einsätze. Bis jetzt zum furiosen Abschied.
Das Wasser der Patricia Bay glitzerte in der Sonne an diesem strahlenden Spätnachmittag im August. Gleich würde hier die «Hawaii Mars» zum letzten Mal ihren dicken Rumpf auf die seichten Wellen setzen, das grösste je in Serie gebaute Flugboot des Typs Martin Mars, Baujahr 1946.
Geschätzte 10 000 Schaulustige, die meisten in Familienstärke mit Campingstühlen und Kühlboxen angerückt, bevölkerten das Ufer. Hinter ihnen die Landebahnbefeuerung des Verkehrsflughafens von Victoria, der Hauptstadt der Provinz British Columbia in Westkanada, vor ihnen das Wasser. Anderswo standen weitere Zehntausende Zuschauer und starrten ebenfalls in den knallblauen Himmel, um ein einmaliges Schauspiel zu erleben.
Im gesamten Süden von Vancouver Island, der Vancouver vorgelagerten Pazifikinsel, die grösser ist als Belgien, reckten 200 000 Menschen ihre Hälse nach oben, schätzte ein Lokalsender. Sie waren gekommen, um den Formationsflug eines riesigen Flugboots mit vier Sternmotoren zu sehen. Der Flugsaurier wurde von neun Tutor-Trainingsjets der Snowbirds-Kunstflugstaffel flankiert, die zur kanadischen Luftwaffe gehört.
Es war ein Abschiedsflug, der den Menschen hier naheging. In der Provinzhauptstadt Victoria brach der Verkehr ebenso zusammen wie der Server mit der lokalen Online-Live-Übertragung. «Es ist bittersüss, dem Martin Mars auf Wiedersehen zu sagen», erklärte Wayne Coulson in einem TV-Interview. Er ist der Chef von Coulson Aviation, dem letzten Betreiber von zwei der historischen Giganten des Typs.
Waldbrände werden seit einigen Jahren im traditionell eher feuchtkühlen Westkanada durch die Klimaveränderung zum grossen Problem, und der Martin Mars war eine potente Waffe im Kampf gegen wütende Feuersbrünste.
«In 55 Jahren der Feuerbekämpfung hat allein die ‹Hawaii Mars› rund 190 Millionen Liter Wasser über Brandherde getragen, mehr als jedes andere einzelne Flugzeug irgendwo auf der Welt», sagt Wayne Coulson. Bis 2006, als sie zum Löschflugzeug umgebaut wurde, war die Mars die grösste fliegende Feuerwehr. Dann wurden drei Boeing 747 zu Löschflugzeugen umgebaut – sie sind inzwischen stillgelegt.
Die riesige Maschine konnte innerhalb von 25 Sekunden auf der Wasseroberfläche über ausfahrbare Einlaufstutzen bis zu 27 216 Liter Löschwasser in ihren Tank aus Sperrholz aufnehmen. Um sie dann im Nu aus nur 50 Metern Flughöhe über eine Fläche von 1,6 Hektaren auf die Flammen abzuwerfen.
Blitzangriff gegen die Flammen
«Eine Löschmission bestand aus zwei Flügen mit Abwürfen von zusammen gut 55 000 Litern», erklärt der Chef der Betreiberfirma. «Dies war die Erstangriffsstrategie, um einen Waldbrand gleich am Anfang so schnell und massiv zu bekämpfen wie möglich.»
Fast könnte man den Worten Coulsons entnehmen, der plötzliche Löschvorgang sollte den Brand überraschen, aber die Taktik hat praktische Gründe. «Das Feuer wurde dadurch schlagartig heruntergekühlt, so dass Feuerwehrleute am Boden eingreifen konnten.»
Das Wissen, dass stets zwei der riesigen Flugboot-Giganten in Bereitschaft lagen, liess die Menschen in Vancouver Island ruhiger schlafen. «Der Martin Mars hat Millionen von Dollar an Besitz gerettet, er hat Leben gerettet», sagt Richard Mosdell, der sich für den Erhalt der Veteraninnen als Museumsstücke engagiert. «Es gibt einen Satz, den hier jeder kennt: ‹Wenn du am Himmel die Mars hörst, dann fühlst du dich sicher›», so Mosdell. Er schwärmt vom tiefen, rauen Klang der alten Kolbenmotoren, «den man in der Brust spürt. Wie viele andere Flugzeuge gibt es, über die man das sagt?»
Diese Zuneigung erklärt die grosse Anteilnahme der Bevölkerung an der letzten Reise der «Hawaii Mars». Sie hatte schon seit 2017 keine Feuer mehr bekämpft. Jetzt wird sie – dank privater Initiative und mit finanzieller Hilfe der Provinzregierung – nur etwa 170 Kilometer von der bisherigen Basis entfernt ihren letzten Platz finden: im British Columbia Aviation Museum am Flughafen von Victoria – genau dort, wo sie 1959 vom Transport-Flugboot der US Navy zum Löschflugzeug umgebaut wurde, gemeinsam mit drei verbliebenen Schwestermaschinen.
Seit 1962 gab es nur noch zwei der Gigantinnen, neben der «Hawaii Mars» die «Philippine Mars». Letztere hat die finale Reise für diesen Flugzeugtyp noch vor sich: Bis Jahresende soll sie von Vancouver Island nach Arizona fliegen und auf dem Lake Roosevelt landen. Dann wird sie zerlegt und schliesslich 400 Kilometer auf dem Landweg ins Pima Air & Space Museum nach Tucson gebracht. Alle sieben gebauten Mars waren nach Pazifikinseln benannt, auf denen der Typ als Löschflugzeug eingesetzt wurde.
Emotionaler Abschied von der Lebensretterin
Die Abschiedslandung der «Hawaii Mars» in der Patricia Bay unweit vom Flughafen Victoria und dem Museum jedenfalls hätte Hollywood nicht besser inszenieren können: Der Rumpf glitt um 18.33 Uhr an diesem Sommerabend aufs geradezu silbern schimmernde Wasser. Kein Spritzer, kein Holpern störte die Szene.
Die Veteranin war eindeutig in ihrem Element, als sie nach ihrem Abschiedsflug von 72 Minuten zum letzten Mal in ihrem langen Flugzeugleben unter tosendem Beifall sanft aufsetzte. «Es war ein guter Flug, es fühlte sich an, als wollte das Flugzeug wieder an die Arbeit gehen», sagte der Pilot Peter Kilian, ein extra für diesen Flug reaktivierter Pensionär.
«Ich werde die Mars nie wieder fliegen, aber es war grossartig, zur letzten Crew zu gehören», sagte ein bewegter Kilian. «Wir waren einfach überwältigt, wie viele Leute überall gekommen sind entlang der Strecke und uns zugewinkt haben.»
Genauso begeistert zeigte sich der Pilot über den Formationsflug mit den Snowbirds: «Noch nie sind wir so dicht mit anderen Flugzeugen geflogen, aber das war perfekt, um dem letzten Mars-Flug die Ehre zu erweisen.»
Erste Rekorde brach die Mars schon im Zweiten Weltkrieg
Schon in ihrem früheren Leben konnte die knapp 36 Meter lange Mars, deren 61 Meter Spannweite jener einer Boeing 787 entsprechen, etliche Rekorde einheimsen: Sie war das grösste Flugboot der Alliierten, ab 1943 im Einsatz, brach 1948 mit 31 Tonnen Nutzlast einen Frachtrekord und erreichte 1949 mit 263 beförderten Menschen eine Passagier-Höchstmarke. Im Koreakrieg diente sie als Ambulanzflugzeug und konnte bis zu 120 Verwundete auf Tragen plus Personal befördern.
Der letzte Betreiber Coulson Aviation hatte sie noch modernisiert, unter anderem ein sogenanntes Glascockpit eingebaut, also ein modernes elektronisches Fluginstrumentensystem. Doch Versuche, sie zur Weiternutzung zu verkaufen, scheiterten. Der Betrieb war sehr aufwendig geworden – die Flugstunde kostete etwa 5000 US-Dollar, für jede einzelne waren jeweils fünf Stunden Wartung fällig.
Gerade einmal zwölf der vierreihigen luftgekühlten Sternmotoren des Typs Pratt & Whitney Wasp Major waren für beide Flugzeuge noch vorhanden und wurden alle zwei Wochen ausgetauscht, um sie gleichmässig abzunutzen. Die Zeit der grossen Flugboote, auch moderner Militärvarianten, scheint zu Ende zu gehen.
«Die Evolution in der Luftfahrt und bei der Brandbekämpfung hat zu ihrem Ende geführt», sagt Wayne Coulson über die Mars. «Aber es wird nie ein besseres Löschflugzeug geben.» Bei Coulson Aviation behilft man sich jetzt mit umgerüsteten Boeing 737-300. Diese haben ein Fassungsvermögen von 15 000 Litern Wasser, etwas über die Hälfte des Volumens der Mars.