Samstag, April 19

Der Einsatz wirft ein Schlaglicht auf ein wiederkehrendes Problem. Die Schweiz tut sich seit langem schwer damit, genügend Stellplätze für Fahrende zu finden.

Die Walliser Kantonspolizei ist am Dienstag mit einem Grossaufgebot gegen einen Konvoi von ausländischen Fahrenden vorgegangen. Eine Gruppe, mutmasslich aus Frankreich, reiste gemäss Angaben der Polizei mit fünfzig Wohnwagen von Neuenburg über die Waadt in Richtung Wallis. Die Polizei stoppte sie bei St. Maurice und sperrte die A 9 vorübergehend in beide Richtungen. Grund: Die Behörden fürchteten eine wilde Ansiedlung.

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Die Gruppe habe sich nicht angemeldet, heisst es in einer Mitteilung der Kantonspolizei. Der einzige offizielle Platz im Wallis, jener in Martigny, ist gegenwärtig vollständig belegt. Die Gruppe hatte vorab Kontakt mit einem Landbesitzer in Gampel. Der Gemeinderat verweigerte aber die Bewilligung für die Pläne, sich dort niederzulassen. Über die Gründe schweigen sich die lokalen Behörden aus. Da die Pässe im Wallis noch geschlossen sind, musste die Polizei gemäss Angaben der Sprecherin Adrienne Bellwald davon ausgehen, dass die Fahrenden trotzdem zum Platz in Gampel fahren wollten.

Das unterband die Polizei. Denn wilde Ansiedlungen würden nicht toleriert. Man habe die Gruppe angewiesen, die Autobahnausfahrten ab Villeneuve zu benutzen. Dem seien die Fahrenden nicht nachgekommen.

Daraufhin aktivierte die Walliser Polizei den sogenannten Cobra-Plan. Damit werden alle Einheiten der Kantonspolizei mobilisiert. Bis zu 200 Polizisten seien im Einsatz gestanden.

Nun fragt sich: Ist das verhältnismässig?

Einsatzdispositiv wie bei einem Bombenalarm

Normalerweise kommt dieses Einsatzdispositiv bei Grossereignissen der Polizei zum Zug, sagt die Mediensprecherin Adrienne Bellwald. «Das können zum Beispiel Naturereignisse sein, Delikte gegen Leib und Leben, Amokläufe, Drohungen mit Bombenalarm.»

Obwohl die ausländischen Fahrenden am Dienstag nichts Vergleichbares im Sinn hatten, rechtfertigt die Polizei den Grosseinsatz. «Man kann ausrechnen, wie viele Personen in den fünfzig Wohnwagen unterwegs waren. Die schiere Masse an Menschen und Fahrzeugen bedingt ein gewisses Aufgebot seitens der Polizei, um das Recht durchzusetzen und die Sicherheit für alle zu gewährleisten», sagt Bellwald. Zumal nebst den Polizisten an der Front auch viel Personal im Hintergrund, etwa für Logistik und Technik, nötig war.

Auch wenn ein solches Dispositiv gegen eine Gruppe von Fahrenden sehr selten aufgeboten wird, sagt Bellwald: «Der Einsatz war angesichts des Ausmasses verhältnismässig.»

Zu wenig Transitplätze in der Schweiz

Simon Röthlisberger ist Geschäftsführer der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende. Ob der Walliser Polizeieinsatz am Dienstag verhältnismässig gewesen sei, sei eine offene Frage, die er nicht beantworten könne. Und Röthlisberger sagt: «Negative Schlagzeilen mit Gruppen ausländischer Fahrender schaden dem Image der anerkannten Minderheit der Jenischen und Sinti in der Schweiz.» In der Schweiz leben laut Schätzungen des Bundes rund 30 000 Jenische und Sinti, 2000 bis 3000 von ihnen pflegen eine nomadische Lebensweise.

Der Vorfall im Wallis wirft ein Schlaglicht auf ein wiederkehrendes Problem. 2024 versperrten französische Roma das Dorfzentrum von Morrens, die Waadtländer Behörden zwang sie mit einem Ultimatum zur Weiterfahrt. Ein Jahr zuvor installierten sich zeitweise über hundert Wohnwagen auf einem Parkplatz am Stadtrand von Lausanne.

In der Schweiz fehlt es an Halteplätzen für Fahrende, deren Lebensweise und damit ihr Recht auf angemessene Halteplätze vom Bundesgericht 2003 ausdrücklich anerkannt wurde. Besonders im Sommer machen sich die Engpässe bemerkbar. Sind die offiziellen Stellplätze voll, weichen manche ausländische Gruppen, oft Roma, auf andere Grundstücke oder Plätze für Fahrende aus der Schweiz aus. Das führt regelmässig zu Auseinandersetzungen, insbesondere in der Romandie.

Laut Simon Röthlisberger gibt es in der Schweiz derzeit 24 Durchgangsplätze für Schweizer Fahrende. Nötig wären doppelt so viele. Für ausländische Fahrende existieren 8 Halteplätze, hier läge der Bedarf laut Bund bei 14 bis 18 Plätzen. Die Lücke ist im Grundsatz anerkannt. Der Bund hat 2024 ein neues Konzept erarbeitet, um mehr Transitplätze zu schaffen. Doch geht es darum, konkrete Standorte zu finden, schieben sich Bund, Kantone und Gemeinden oft gegenseitig die Verantwortung zu.

Zwar gibt es immer wieder Erfolgsmeldungen. So hat zum Beispiel der Kanton Bern kürzlich beim Autobahnrastplatz Wileroltigen 36 Stellplätze für ausländische Fahrende geschaffen. Auch Solothurn hat nach jahrelanger Suche zwei Halteplätze für Jenische und Sinti gefunden. Doch regelmässig stossen die Pläne der Behörden, ähnlich wie bei Asylzentren, bei Teilen der Bevölkerung auf Widerstand.

Es gehe zwar vorwärts, aber nur sehr schleppend, sagt Simon Röthlisberger von der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende. Für ihn spricht das Vorgehen bei St. Maurice am Dienstag Bände: «Wenn jeder Kanton an der eigenen Grenze abblockt und die heisse Kartoffel weiterreicht, spitzt sich die Situation nur noch mehr zu. Der Fall im Wallis zeigt exemplarisch, dass eine Koordination zwischen den Kantonen nötig ist.»

Gutes Einvernehmen mit den Fahrenden

Kurzfristig wird sich daran kaum etwas ändern. Auch diesen Sommer, in der Hauptsaison der Fahrenden, dürfte der Platz an den offiziellen Halteorten knapp werden. Adrienne Bellwald von der Walliser Kantonspolizei betont aber, das Einvernehmen mit den ausländischen Fahrenden sei in der Regel sehr gut und sei von gegenseitigem Respekt geprägt. Die Gruppen kommen jeweils ab März, melden sich für den Stellplatz an und zahlen die Miete im Voraus. Familien, die regelmässig kämen, kenne man.

Der Einsatz am Dienstag, so die Bilanz im Wallis, sei gut verlaufen, die Stimmung sei weder aggressiv noch emotional gewesen, sagt Bellwald. Nach 19 Uhr verliessen die Fahrenden St. Maurice und damit den Kanton Wallis. Wo sie sich niederliessen, ist unklar.

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