Freitag, November 29

Wachstumsaktien sind teuer, heisst es. Das hohe Kurs-Gewinn-Verhältnis schreckt manche Anleger ab. Doch wird es ins Verhältnis zum Wachstum gesetzt, können Titel wie die des Chipherstellers Nvidia oder des Halbleiterzulieferers Comet preiswert erscheinen.

Die PEG Ratio gibt Anlegern eine Kennzahl an die Hand, um Wachstumsaktien zu bewerten. Sie zielt darauf ab, eine Schwäche des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV oder PE) auszugleichen. Dieser traditionelle Bewertungsmassstab berücksichtigt nämlich das Gewinnwachstum nicht.

Dazu setzt die PEG Ratio (Price/Earnings to Growth) das KGV in Relation zum erwarteten Gewinnwachstum eines Unternehmens. Veranschaulichen lässt sich das Prinzip anhand des bei Anlegern zurzeit populären US-Chipkonzerns Nvidia, der vom Hype um künstliche Intelligenz (KI) profitiert. Er scheint hoch bewertet zu sein, angesichts eines KGV von 36, dies basierend auf dem geschätzten Gewinn für das laufende Jahr. Wird dieser Wert aber ins Verhältnis zum erwarteten durchschnittlichen Gewinnwachstum über zwei Jahre von gut 58% gesetzt, resultiert ein PEG von 0,6. Ein Wert unter 1 gilt als günstig.

Wer ist teuer, Nvidia oder Nestlé?

Die Aktien des Schweizer Börsenschwergewichts Nestlé weisen ein KGV 2024 von über 18 auf. Angesichts eines geschätzten Gewinnwachstums über zwei Jahre von weniger als 7% pro anno errechnet sich daraus ein PEG-Verhältnis von 2,8. Das heisst, anhand dieser Kennzahl ist Nestlé teurer als Nvidia.

In Mode kam das PEG zu Zeiten des Internetbooms Ende der Neunzigerjahre. Damals waren besonders Technologieaktien anhand des traditionellen Massstabs KGV ausserordentlich teuer. Mit der Anwendung des PEG relativierten sich die hohen Bewertungen, da den Unternehmen sehr hohe Gewinnwachstumsraten vorhergesagt wurden – mit dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 verflüchtigen sich allerdings auch hochtrabende Wachstumsfantasien.

Heute sind erneut viele Titel aus verheissungsvollen Branchen sehr hoch bewertet, gemessen am KGV. Das trifft auch für Schweizer Werte zu, insbesondere für die Valoren von Halbleiterausrüstern, Pharmazulieferern sowie von Unternehmen aus der Medizinaltechnik. The Market zeigt auf, inwieweit sich diese hohen Bewertungen in Anbetracht des erwarteten durchschnittlichen Gewinnwachstums im laufenden und im nächsten Jahr relativieren.

Halbleiterzulieferer: neuer Zyklus

Der Investitionszyklus der Halbleiterindustrie unterliegt sehr starken Schwankungen. 2023 hatte er ein Tief ausgebildet, weshalb die Schweizer Halbleiterzulieferer ein schwieriges Jahr hinter sich haben. Doch nun ist ein neuer Zyklus gestartet – Comet gab im November am Capital Markets Day ihrer Erwartung Ausdruck, dass er sein Hoch gar erst 2027 erreichen könnte.

Die Unternehmen verzeichneten zwar einen langsamen Start ins Jahr 2024, doch damit hatten sie gerechnet: Im ersten Quartal büssten VAT, Comet und Inficon allesamt Umsatz ein, aber sie haben ihren Ausblick bestätigt. Auch wenn Zeitpunkt und Ausmass der Erholung schwierig vorherzusagen sind, wird für das zweite Halbjahr eine deutliche Beschleunigung der Nachfrage erwartet. 2025 dürften sich die Investitionen in Halbleiterfertigungsanlagen weiter beschleunigen.

Halbleiterzulieferer

Davon werden die erwähnten drei Zulieferer profitieren. Aus Anlegersicht unterscheiden sich ihre Charakteristiken deutlich. Die beste Qualität bietet VAT. Der Hersteller von Vakuumventilen ist in seinem Segment mit einem Anteil um 70% der dominierende Anbieter und erreicht die höchsten Margen.

Für eine hohe Qualität steht auch Inficon. Der Anbieter von Vakuuminstrumenten, Sensortechnologie und Prozesssteuerungssoftware erzielt indessen weniger als die Hälfte des Umsatzes mit der Halbleiterindustrie und ist dank dieser breiteren Abstützung weniger zyklisch. Daher fallen die Kursschwankungen seiner Aktien nicht ganz so heftig aus, aber Inficon wird auch nicht so stark vom Aufschwung im neuen Halbleiterinvestitionszyklus profitieren wie andere Zulieferer.

Comet mit Aufholpotenzial

Comet Group hatte sich in der Vergangenheit immer wieder verzettelt. Inzwischen hat sie aber einen klaren Fokus auf die Halbleiterindustrie: Ihre Hochfrequenzsystemlösungen steuern kritische Plasmaprozesse innerhalb der Herstellung von Halbleitern. Und mit dem neuen RF-Generator, der zur Plasmaanregung dient, verfügt sie über einen zusätzlichen Wachstumstrumpf. Comet ist das grösste Aufholpotenzial zu bescheinigen.

Am Anfang eines Aufschwungs im Halbleiterzyklus, wenn die Gewinne noch vergleichsweise tief ausfallen, ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis der Zulieferer besonders hoch: Anhand des geschätzten Gewinns für 2024 stellt sich das KGV für die Aktien von Inficon auf 31, von Comet auf 53 und von VAT gar auf 59.

Ins Verhältnis gesetzt zum durchschnittlichen Gewinnwachstum je Titel über zwei Jahre ergibt sich folgendes Bild: Comet weist ein tiefes PEG von 0,4 auf. Inficon und VAT sind dagegen auch gemessen am PEG von 3,6 resp. 2 nicht günstig bewertet – für die sehr hohe Qualität dieser Valoren sind die Anleger bereit, auch eine hohe Prämie zu bezahlen.

Auftragsfertiger: einmalige Stellung

Hervorragende Marktpositionen haben sich auch die Schweizer Pharmaauftragsfertiger erschaffen. Das Flaggschiff bildet Lonza, deren Aktien seit 2017 im Schweizer Leitindex SMI figurieren. Ihr Höchst erreichten sie im September 2021 mit 785.40 Fr., danach brachen sie bis Oktober 2023 um rund 60% bis auf 308.60 Fr. ein.

Das letzte Jahr war schwierig für den Basler Konzern: Im Juli gab er eine Gewinnwarnung heraus. Im dritten Quartal musste er die Produktion des Covid-Impfstoffs für Moderna einstellen – dank ihr war in der Pandemie die Bewertung seiner Titel in luftige Höhen geklettert. Dazu kam der Abgang von Pierre-Alain Ruffieux, in gut vier Jahren der dritte CEO, der hinauskomplimentiert wurde. Und im Oktober enttäuschte Lonza die Anleger mit den neuen Mittelfristzielen.

Inzwischen haben sich die Papiere aber in nur einem halben Jahr fast 70% auf 522 Fr. erholt, wodurch die Bewertung wieder gestiegen ist: Das KGV 2024 beträgt hohe 42. In jüngster Zeit hat der grösste Auftragsfertiger für die Pharma- und die Biotech-Industrie auch wieder für positive Nachrichten gesorgt. Im März kündigte er an, von Roche für 1,2 Mrd. $ eine Produktionsstätte für Biologika in den USA zu erwerben – «eine clevere Transaktion», schrieb die Helvetische Bank. Die strategische Positionierung von Lonza sei bereits einmalig und werde dadurch nochmals verstärkt.

Lonza holt Erfolgs-CEO von Siegfried

Positiv beurteilt wurde auch, dass Lonza Anfang April Wolfgang Wienand zum neuen CEO ernannt hat. Er löst im Sommer den erneut ad interim eingesprungenen Albert Baehny ab.

Wienand kommt von einem Mitbewerber, vom kleineren Auftragsfertiger Siegfried aus Zofingen. Dieser zählt zu den Konsolidierern in der Branche: 2023 machte er bereits 1,27 Mrd. Fr. Umsatz, gut viermal so viel wie im Jahr 2014. Damit verbunden ist auch eine beeindruckende Kursentwicklung. Dennoch werden die Aktien von Siegfried zu einem KGV 2024 von 25 und damit deutlich tiefer als die von Lonza gehandelt.

In Relation gesetzt zum geschätzten durchschnittlichen Gewinnwachstum je Aktie über zwei Jahre verflüchtigt sich diese Bewertungsdifferenz allerdings fast: Siegfried weist ein PEG von 1,1 auf und Lonza von 1,2.

Pharmaauftragsfertiger

Bachem baut Kapazitäten stark aus

Eine spezielle Rolle in der Auftragsfertigung füllt Bachem aus. Sie konzentriert sich auf die komplexe Herstellung von Peptiden und inzwischen auch Oligonukleotiden. Der Bedarf an diesen Wirkstoffen steigt, sie finden Anwendung in Medikamenten etwa gegen die Volkskrankheit Diabetes, in Krebs- oder Gentherapien. Zuletzt hat Bachem stark vom Boom der neuen Abnehmspritzen profitiert.

Der Auftragsfertiger hält in seinen hohe Margen erlaubenden Märkten die führende Stellung, und er baut seine Kapazitäten auf Hochtouren aus. Die Wachstumsfantasien, die das auslöst, schlagen sich in einer anspruchsvollen Aktienbewertung nieder: Das KGV 2024 liegt mit 54 klar höher als das von Lonza. Da die kurzfristigen Wachstumserwartungen relativ gedämpft sind, ist auch das PEG anhand der Gewinnprognosen über zwei Jahre mit 3,4 hoch – wer die Valoren kauft, setzt auf die längerfristigen Perspektiven, wenn Bachem die Früchte des Kapazitätsausbaus ernten wird.

PolyPeptide ist die Nummer zwei unter den Peptidherstellern. Ihre Aktien sind erst seit 2021 kotiert, auf den anfänglichen Kursaufschwung ist Ernüchterung gefolgt. PolyPeptide steht qualitativ nicht auf der Höhe von Bachem und hinkt auch beim Kapazitätsausbau, der wegen der enormen Nachfrage nötig ist, hinterher. Sie dürfte in diesem Jahr, wie im letzten, Verlust schreiben, sodass sich weder ein KGV noch ein PEG errechnen lassen.

Medtech: keine Schnäppchen

In attraktiven Märkten sind auch die Schweizer Medizinaltechnikunternehmen tätig. Ihre grosse Beliebtheit bei den Anlegern manifestiert sich in einer anspruchsvollen Bewertung ihrer Aktien.

Nach guter Kursentwicklung fanden die Titel von Sonova 2022 Aufnahme im Leitindex SMI. Zurzeit macht die Nummer eins im Markt für Hörgeräte indes eine schwierige Phase durch: Eine verfehlte, aggressive Preispolitik hat zuletzt Wachstum gekostet, und Sonova verlor gegenüber der Konkurrenz wie der dänischen Demant Marktanteile.

Das vorausschauende KGV für die Sonova-Papiere erscheint mit 23 denn auch relativ tief. Nachdem der Gewinn des Hörgeräteherstellers im Geschäftsjahr 2023/24, das Ende März schloss, um eine zweistellige Rate gesunken sein dürfte, sollte er nun wieder steigen. Das PEG von 1,7 deutet indes noch nicht auf eine Kaufgelegenheit hin.

Jede Enttäuschung wird bestraft

Ein Börsenstar ist Straumann. Der Dentalimplantathersteller hat einen 20% höheren Marktwert als Sonova, und seine Aktien sind mit einem KGV 2024 von 39 viel teurer. Bei einer so anspruchsvollen Bewertung duldet es aber auch nicht die leiseste Enttäuschung: Am Dienstag letzter Woche meldete Straumann für das erste Quartal 2024 ein organisches Umsatzwachstum von gut 15%, was besser war als vom Markt erwartet.

Doch vor allem in Nordamerika, der zweitwichtigsten der Region, fiel der Umsatz enttäuschend aus – daran haben sich Analysten von amerikanischen Banken wie Citi festgebissen. Sie befürchten, dass die Markterwartungen korrigiert werden müssen. Der Kurs der Straumann-Titel ist gleichentags um mehr als 11% eingebrochen. Auf Basis der aktuellen Konsensgewinnschätzungen errechnet sich damit ein PEG von 2: Die Ansprüche an Straumann bleiben hoch.

Medtech-Aktien

Ypsomed profitiert von Hype

Ebenfalls sehr hoch bewertet sind Ypsomed. Sie weisen ein vorausschauendes KGV von 42 auf. Wie Bachem profitiert das Medtech-Unternehmen aus Burgdorf vom Boom um die Abnehmspritzen. Es hat mit der dänischen Novo Nordisk, die neben Eli Lilly diese Medikamente gegen Fettleibigkeit anbietet, im September einen langfristigen Liefervertrag für grosse Mengen von Autoinjektoren abgeschlossen.

Am 22. Mai orientiert Ypsomed über das Geschäftsjahr 2023/24, das Ende März schloss, und über die Aussichten. Auf Basis der aktuellen Konsensschätzungen lässt sich für das angelaufene und das darauffolgende Geschäftsjahr ein durchschnittliches Gewinnwachstum je Aktie von knapp 30% ableiten. Damit ergibt sich ein PEG von 1,4, womit auch diese Valoren kein Schnäppchen sind.

Die PEG Ratio ist kein allein seligmachender Bewertungsmassstab. Sie gibt jedoch Hinweise, ob ein Wachstumstitel, der auf den ersten Blick resp. gemessen am KGV teuer erscheint, seinen Preis doch wert sein könnte. Je deutlicher sie aber über 1 liegt, umso mehr ist Vorsicht geboten: Dann ist die Gefahr gegeben, dass die Aktie für den perfekten Lauf bewertet – oder schlicht überbewertet ist.

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