Dienstag, Oktober 22

Schweizer Arbeitnehmende wünschen sich laut einer neuen Studie mehr Flexibilität in ihrem Arbeitsalltag. Ist das ein Argument, die Spanne der Arbeitszeit auszuweiten? Arbeitgeberverband und Gewerkschaften sind sich uneinig.

Viele Eltern kennen die Situation: Man fährt morgens vor der Arbeit die Kinder in die Krippe und nachmittags zum Arzt, dafür beantwortet man abends noch E-Mails oder bereitet ein Meeting vor.

Familien- und Berufsleben zu vereinbaren, ist oft stressig und nur möglich, weil man flexibel arbeiten kann.

Eine am Montag veröffentlichte Studie, die der Arbeitgeberverband bei der Forschungseinrichtung Sotomo in Auftrag gegeben hat, zeigt: Diese Flexibilität ist den Schweizer Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen wichtig.

Sie wollen entscheiden, wann sie arbeiten und wo sie arbeiten.

Die Frage des Arbeitsortes ist aber ein Streitpunkt.

Privates und Berufliches darf sich vermischen

Rund die Hälfte der Befragten ist zufrieden mit ihren Arbeitszeitmodellen. 39 Prozent derjenigen, deren Beruf flexible Arbeitszeiten ermöglicht, wollen jedoch noch flexibler arbeiten können als in ihrem bisherigen Arbeitsmodell.

Die Gründe dafür sind neben Freizeitaktivitäten insbesondere familiäre Verpflichtungen: Gerade Paare, die berufstätig sind, können in flexibleren Arbeitsverhältnissen die Pflichten der Kinderbetreuung besser aufteilen. Die Präferenzen haben stark mit der jeweiligen Lebensphase zu tun.

Das Überraschende daran: Die meisten der 1670 befragten Personen empfinden die Verschmelzung von Privatem und Beruflichem, die sich durch die grössere zeitliche Flexibilität ergibt, nicht als stressig.

Im Gegenteil: Die Flexibilität bei der Arbeitszeit wirke als Entlastung. 81 Prozent sagten, mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit wirke sich positiv aus, senke also das Stressniveau.

Das widerspricht der oft gehörten Kritik der Gewerkschaften: Sie befürchten, dass die Vermischung von Privat- und Berufsleben zu mehr persönlicher Belastung führe.

«Der Arbeitgeberverband schiesst sich ins eigene Knie»

Die Studie hat auch einen politischen Hintergrund. Der Arbeitgeberverband befürwortet, das Arbeitszeitfenster auszudehnen – also, dass man auch frühmorgens und spätabends noch legal arbeiten darf.

Auch in einer Motion von FDP-Präsident Thierry Burkart, die von den Räten angenommen wurde und sich nun in der Vernehmlassung befindet, wird eine Ausdehnung der maximalen Zeitspanne für die tägliche Arbeitszeit gefordert. Nämlich auf 17 Stunden, mit einer Reduktion der Mindestruhezeit von 11 auf 9 Stunden. Das würde das Gesetz an die gelebte Praxis anpassen, so das Argument.

Die Gewerkschaften wehren sich gegen die Vorlage und finden in der Sotomo-Erhebung Argumente für ihre Position.

Die Ergebnisse zeigten nämlich: Die Leute wollten abends gar nicht mehr arbeiten. «Der Arbeitgeberverband schiesst sich mit dieser Studie ins eigene Knie», sagt Luca Cirigliano. Er ist Verantwortlicher für Arbeitsbedingungen beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SBG).

Den Beginn oder das Ende eines Arbeitstags flexibel gestalten oder die Mittagspause verlängern zu können, werten die Arbeitnehmenden laut der Sotomo-Erhebung positiv. So können private Verpflichtungen flexibel nachgeholt werden. Die Option, den Arbeits-Laptop spätabends nochmals aufzuklappen, wollen jedoch nur zwei von fünf Befragten.

Fehlende Autonomie

Punkto flexibler Arbeitszeit eint die Studie aber die beiden Seiten des Arbeitsmarkts, also Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Der SGB schreibt, er könne «sich mit einer gewissen Ironie den Forderungen des Arbeitgeberverbandes nach flexiblen Arbeitszeitmodellen anschliessen».

Die Studie zeige, dass viele Arbeitnehmer Wünsche gegenüber ihren Arbeitgebern hätten, die nicht erfüllt würden, sagt Cirigliano vom SGB. Die Arbeitnehmenden in der Schweiz seien zu wenig autonom. Das müssten die Arbeitgeber ändern, wenn sie attraktiv bleiben wollten. «Man muss den Leuten erlauben, flexibel zu entscheiden, wann sie frei machen und wann sie von zu Hause aus arbeiten.»

Auch Stefan Heini, zuständig für die Kommunikation beim Arbeitgeberverband, sagt: «Die Ergebnisse zeigen, dass die Arbeitnehmenden eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf schätzen.» Das beziehe sich neben der Arbeitszeit auch auf den Arbeitsort.

Genau da gibt es aber Widerstände vonseiten der Unternehmen.

Home-Office polarisiert

Die von Sotomo durchgeführte Studie zeigt: Gegenwärtig kann die Mehrheit der Befragten in der Schweiz zumindest teilweise remote, also von zu Hause oder von unterwegs aus, arbeiten und nimmt diese Möglichkeit auch in Anspruch. Drei Viertel wünschen sich diese Flexibilität ausdrücklich.

Viele Unternehmen tun sich jedoch inzwischen schwerer mit dem Home-Office als während und kurz nach der Corona-Pandemie. Sowohl in der Schweiz wie auch in anderen Ländern üben die Firmen zunehmend Druck auf ihre Mitarbeitenden aus, wieder vermehrt ins Büro zu kommen.

Beispiele sind der Liftbauer Schindler, der Anfang Mai die Home-Office-Möglichkeit an strengere Bedingungen geknüpft hat, oder der Industriekonzern Sulzer. Er hat im September für mehrere hundert Mitarbeitende die Präsenzpflicht verschärft, wie der «Blick» berichtete.

Mögliche Gründe für diese Entwicklung sind Befürchtungen, dass das Arbeiten nur simuliert wird und die Mitarbeitenden weniger produktiv sind als im Büro. Stefan Heini vom Arbeitgeberverband sagt dazu: «Es ist eine Frage der Tätigkeit, der Führung und des Vertrauens, ob und inwiefern man flexibles Arbeiten zulässt.»

Wenn sie die Möglichkeiten für Home-Office reduzierten, machten sich die Unternehmen unattraktiver für jene Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, denen das wichtig sei, sagt Heini. Das sei gerade in Zeiten des Arbeitskräftemangels ein klarer Nachteil.

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