Dienstag, März 4

Fast zehn Jahre lang hat die Bundesanwaltschaft gegen die einstigen Fussballfürsten Michel Platini und Joseph Blatter ermittelt. Doch nun ist es ein Artikel in «Le Monde», der alles auf den Kopf stellt.

Bis am frühen Nachmittag plätscherte am Montag die Berufungsverhandlung in Muttenz vor sich hin, mit den ehemaligen Präsidenten der zwei grössten Fussballverbände Uefa und Fifa, Michel Platini und Joseph Blatter, auf der Anklagebank. Doch dann, als sich zwischen der Einvernahme Platinis und der Befragung des früheren Fifa-Finanzdirektors Markus Kattner ein halbstündiges Zeitfenster auftat, war der Gerichtssaal plötzlich wie elektrisiert.

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Thomas Hildbrand, der bald 70-jährige Staatsanwalt des Bundes, fragte das Gericht, ob er die Pause nutzen dürfe, um ein zusätzliches Beweismittel zu beantragen. Der Gerichtsvorsitzende war nicht begeistert von dieser Idee, das sei eigentlich erst am Schluss der Berufungsverhandlung vorgesehen. Auf die Uhr blickend, willigte er trotzdem ein, unter dem Vorbehalt, dass es allenfalls nicht mehr reiche, gleich über den Antrag zu befinden.

Die fehlenden Puzzleteile

Also beantragte Bundesstaatsanwalt Hildbrand, einen Artikel der französischen Tageszeitung «Le Monde» vom vergangenen Freitag als Beweismittel in die Akten zu nehmen. Darin habe der Autor, Rémi Dupré, exakt jene Puzzleteile zusammengetragen, die ihm bis anhin zur Beweisführung gefehlt hätten. Dupré, der als Journalist im Gerichtssaal sitze, solle gleichentags als Zeuge befragt werden.

Die Reaktionen der zwei Verteidiger fielen vernichtend aus. Ob das tatsächlich sein Ernst sei, fragte Rechtsanwalt Lorenz Erni, Blatters Verteidiger, rhetorisch an die Adresse des Bundesstaatsanwalts – «einen Zeitungsartikel als Beweismittel»? Ob denn dieser Journalist, der vornehmlich mit anonymen Quellen arbeite, der neue Hilfs-Sheriff der Bundesanwaltschaft sei? Falls man tatsächlich damit anfange wolle, könnte er, Erni, Hunderte, wenn nicht Tausende andere Artikel als Beweismittel beantragen.

Rechtsanwalt Dominic Nellen doppelte nach. Bei diesem Antrag handle es sich wohl um einen Akt der Verzweiflung, mutmasste der Verteidiger von Platini. Fast zehn Jahre lang habe die Bundesanwaltschaft erfolglos ermittelt, und nun ziehe sie im letzten Moment ausgerechnet einen Zeitungsartikel als Beweismittel heran.

Platinis Anwalt ging noch einen Schritt weiter und sagte, von ihm aus könne man den Artikel von «Le Monde» gerne in die Akten nehmen, schliesslich spreche er für sich. Er wolle aber alle warnen, dass er sich in diesem Fall lustig über die Bundesanwaltschaft machen werde.

Antworten auf drei Kernfragen

Was hat die Gemüter im Gerichtssaal von Muttenz derart erregt? Nun, der Artikel von «Le Monde» gibt mögliche Antworten auf exakt jene drei Fragen, die im Verfahren gegen Michel Platini und Joseph Blatter seit Jahren im Raum stehen:

Für was genau kassierte Platini Anfang 2011 zwei Millionen Franken von der Fifa?

Wieso machte er seine Forderung, die auf ein Beratermandat um das Jahr 2000 zurückgeht, erst zehn Jahre später geltend?

Und: Wer gab der Bundesanwaltschaft am 27. Mai 2015 den entscheidenden Tipp zur bis dahin geheim gehaltenen Zwei-Millionen-Zahlung?

Vorab ist festzuhalten, dass es sich bei Dupré um einen akribisch recherchierenden Journalisten handelt, der in den verschiedenen Fifa-Affären oft über exklusive Informationen verfügt. Für seine Puzzleteile zitiert er vier Quellen namentlich. Zwei weitere Quellen hätten ihm anonym Auskunft gegeben, sagte er am Montag im Gespräch.

«Le Monde» bringt die zwei Millionen Franken, welche die Fifa Anfang 2011 an Platini überweisen liess, in Zusammenhang mit einem Streit zwischen dem Franzosen und Blatter. Der Schweizer versprach Platini seit Jahren, einst dessen Nachfolge als Fifa-Präsident antreten zu können. Als sich aber abzeichnete, dass Blatter 2011 ein viertes Mal für das Präsidium kandidieren würde, erregte das den Zorn Platinis.

Zwei Millionen als Abfindung

Um ihn zu besänftigen, soll ihm Blatter aus der Fifa-Kasse die ominösen zwei Millionen Franken ausbezahlt haben. Diese Abfindung begründete man mit der Beratertätigkeit Platinis in den Jahren 1998 bis 2002. Bloss: für diese Beratertätigkeit soll Platini schon längst vollumfänglich entschädigt worden sein.

Gemäss «Le Monde» entschädigte Blatter seinen Kontrahenten mit den zwei Millionen Franken vielmehr für seinen Verzicht auf eine Gegenkandidatur. Mit der Rechnung, die Platini für seine fiktive, weil bereits abgegoltene Beratertätigkeit an die Fifa geschickt hatte, habe Blatter gleichzeitig etwas Belastendes in der Hand gehabt, falls ihm Platini je wieder gefährlich werden sollte.

«Eine Bananenschale» sei das gewesen, wird im Zeitungsartikel ein ehemaliger Fifa-Mitarbeiter anonym zitiert, im Sinne von: damit kann jemand zum Ausrutschen gebracht werden – worüber sich Blatter diebisch gefreut habe.

Belastungszeuge Christian Constantin

Eine etwas überraschende Quelle, die «Le Monde» namentlich nennt, ist Christian Constantin, der ebenso langjährige wie schillernde Präsident des FC Sion. Constantin wird als enger Vertrauter Blatters eingeführt. Blatter habe den von Platini geforderten Betrag sogar von vier auf zwei Millionen Franken heruntergehandelt, wird Constantin im Artikel zitiert – ein Umstand, den Platini umgehend bestreitet.

Wie der Zahlungsbeleg 2015 in die Hände der Bundesanwaltschaft gelangte, ist bis heute strittig. Olivier Thormann, der damals für die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen führte, nennt Markus Kattner als Hinweisgeber, den einstigen Finanzdirektor der Fifa. Doch dieser bestritt das am Montag bei seiner Befragung als Zeuge erneut.

Thormann, der inzwischen die Berufungskammer des Bundesstrafgerichts präsidiert, wird dazu am Dienstagvormittag befragt. Wegen Thormanns Befangenheit ist die Berufungsverhandlung nach Muttenz verlegt worden.

Jérôme Valcke legt eine neue Spur

Eine neue Spur legt Jérôme Valcke, der ehemalige Generalsekretär der Fifa, im Artikel von «Le Monde». Als Blatter 2015 seinen Rücktritt angekündigt hatte, schien der Weg für Platini auf den Fifa-Thron endlich frei zu sein. Doch damit war Blatter nicht einverstanden – unter anderem soll er es dem Franzosen übel genommen haben, für Katar als Austragungsort für die Fussball-WM 2018 gestimmt zu haben.

Deshalb soll Blatter, laut Aussagen von Valcke, im Sommer 2015 angeregt haben, die von ihm seit 2011 aufbewahrte, «vergiftete» Rechnung Platinis offenzulegen. Auf welchem Weg, wird im Zeitungsartikel offengelassen.

Gegenüber «Le Monde» bestritt Blatter sämtliche Vorwürfe, er halte an allen seinen bisherigen Darstellungen fest. Weiter wolle er sich vorläufig nicht dazu äussern, liess er am Montag auf Anfrage ausrichten.

Schliesslich hielt das Gericht den Beweisantrag der Bundesanwaltschaft teilweise gut: der Zeitungsartikel wird als Beweismittel in die Akten genommen. Ob der Autor als Zeuge befragt wird, soll später entschieden werden.

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