Mittwoch, April 2

Die Rettungsaktion vor fünf Jahrzehnten lief grundsätzlich anders als jene beim Untergang der Credit Suisse.

«Die Credit Suisse muss und wird überleben; die SNB verfügt über die Mittel, dafür gegebenenfalls zu sorgen.» Nein, das hat die Nationalbank-Spitze im Herbst 2022 nicht gesagt. Wird «Credit Suisse» durch «SKA» ersetzt, fiel dieser Satz am 5. Mai 1977. Gesagt hat ihn der damalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) Fritz Leutwiler an einem Pressegespräch in Zürich, das ganz im Zeichen der sogenannten «Chiasso-Affäre» der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) stand.

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Kein «Whatever it takes» für die Credit Suisse

Ein solches «Whatever it takes» kam auf dem Höhepunkt des Kundengelderschwunds bei der Credit Suisse (CS) weder über die Lippen des SNB-Präsidenten Thomas Jordan noch über jene der Finma-Chefin Marlene Amstad oder des Finanzministers Ueli Maurer. Damit drehte sich die Todesspirale der Grossbank weiter.

Wie inzwischen bekannt ist, gab es im Oktober und November 2022 bei den für den Finanzplatz zuständigen Behörden durchaus Diskussionen über das Aufspannen eines behördlichen Rettungsschirms für die CS. Und zwar in Form eines Public Liquidity Backstop (PLB), der es der Nationalbank ermöglicht hätte, der schlingernden CS Liquiditätsspritzen über die geltenden Regeln hinaus mit einer Bundesgarantie zu verabreichen.

Ein vom Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) vorbereiteter und vom Bundesamt für Justiz (BJ) genehmigter Notrechtserlass lag für die Bundesratssitzung vom 16. November 2022 beschlussreif vor. Nach Diskussionen innerhalb der Behörden und wegen angeblichen Widerstands der CS selber wurde aber im letzten Moment auf einen solchen Rettungsring verzichtet.

Anders die Ereignisse im April 1977, als die SKA überraschend einen voraussichtlich «erheblichen Verlust» in der Filiale Chiasso ankündigte. Die Direktion in der schweizerisch-italienischen Grenzstadt hatte während fünfzehn Jahren Kundengelder – vor allem Steuerfluchtgelder aus Italien – in der Höhe von 2,2 Milliarden Franken in eine Briefkastenfirma im Fürstentum Liechtenstein geschleust, die Texon-Finanzanstalt. Als «Bank in der Bank» gewährte Texon Kredite und erwarb – vorwiegend in Italien – bankfremde Beteiligungen. Das liechtensteinische Vehikel war auch Auffangbecken für faule Kredite der Filiale Chiasso und für Verluste aus Wertschriften-Spekulationen von deren leitenden Mitarbeitern.

Leutwiler trommelt die Grossbanken zusammen

Zwölf Tage nach der ersten dürren Mitteilung der Bank über die voraussichtlichen Verluste, am 26. April kurz nach Mitternacht, gab die Schweizerische Nationalbank bekannt, sie werde die SKA zusammen mit den beiden Grossbanken Bankverein und Bankgesellschaft notfalls mit bis zu 3 Milliarden Franken stützen. Diese höchst ungewöhnliche Kreditzusage, die nie beansprucht wurde, sorgte über die Schweiz hinaus für grosses Aufsehen.

Dem Protokoll über die Direktoriumssitzung der SNB vom 27. April ist zu entnehmen, dass das von Leutwiler geführte I. Departement von der SKA von wesentlich grösseren Verlusten als den ursprünglich genannten 250 Millionen Franken erfuhr: «Aufgrund der für die SKA sehr schlechten Presse bestand die Gefahr eines Kurseinbruches nicht nur der SKA-Aktien, sondern aller Grossbankenwerte», heisst es weiter.

Ferner habe die Nationalbank die Möglichkeit von Liquiditätsengpässen, eines Runs auf die SKA sowie eines Schwächeanfalls des Frankens bedenken müssen. «In dieser Situation entschloss sich das I. Departement in vollem Einvernehmen mit dem Präsidenten des Verwaltungsrats der SKA, das Direktorium (. . .) sowie die Spitzen der drei Grossbanken zu einer Lagebesprechung am Montagabend einzuladen», so das Protokoll.

Eine Solidaritätsaktion der Grossbanken

Dabei einigten sich die drei Grossbanken auf ein solidarisches Verhalten im Sinne koordinierter Interventionen am Aktienmarkt. Nach sorgfältigem Abwägen der positiven und negativen psychologischen Aspekte kam sodann auf Wunsch der SKA ein grosszügiger Beistandskredit der SNB sowie der SBG und des SBV von insgesamt 3 Milliarden Franken zustande. Die beiden Grossbanken räumten Blankokredite ein; die auf die SNB entfallende Milliarde könne von der SKA im üblichen Rahmen – Dollar/Franken-Swaps, Diskont- oder Lombardkredit – benützt werden.

Zum in der Nacht zuvor verbreiteten Communiqué der SNB heisst es im Direktoriumsprotokoll weiter: «Obwohl dieses Communiqué insbesondere im Zusammenhang mit einer Falschmeldung, der Kredit sei gegen den Willen der SKA offeriert worden, vielfach als kontraproduktiv bezeichnet wurde, scheint es seinen Zweck erfüllt zu haben. Die Kurse der Aktien der SKA und der anderen Grossbanken sanken am Dienstag weniger stark als erwartet, und die Reaktionen am Geld- und am Devisenmarkt hielten sich in engen Grenzen. Es gab auch keine Anzeichen für einen Run auf die Kreditanstalt.»

Zu dem aus der SKA gestreuten Gerücht, der Beistandskredit sei gegen den Willen der SKA organisiert worden, doppelte Leutwiler an der SNB-Generalversammlung vom 28. April wie folgt nach: «Was die erwähnte Beteiligung der Nationalbank an einer Kreditzusage von insgesamt drei Milliarden Franken zugunsten der Kreditanstalt betrifft, so ist die absurde Vermutung zu korrigieren, das Angebot sei ohne Wissen der Kreditanstalt gemacht worden. Die entsprechende Bereitschaftserklärung wurde unter Mitwirkung der obersten Geschäftsleitung der Kreditanstalt formuliert; sie ist vor allem Ausdruck einer begrüssenswerten Solidarität der drei grössten Handelsbanken.»

Im Herbst 2022 fehlte ein beherztes Eingreifen der Behörden

Fast fünf Jahrzehnte später mochte sich kein Behördenmitglied zu einem ähnlich beherzten Eingreifen bewegen. Es fehlte auch an einer Figur vom Format Leutwilers. Am ehesten wäre dies Thomas Jordan zuzutrauen gewesen. Der damalige SNB-Präsident stand aber im Herbst seiner äusserst erfolgreichen Karriere als Geldpolitiker (er kündigte anderthalb Jahre später seinen Rücktritt an). Zudem waren Struktur und Zuständigkeiten der Finanzmarktaufsicht nicht mit der Situation in den siebziger Jahren vergleichbar.

Das Sekretariat der für die Aufsicht über die Banken zuständigen Eidgenössischen Bankenkommission (EBK) war damals ein zehnköpfiges Büro, wovon die Hälfte Sekretärinnen. Die Brisanz der Chiasso-Affäre wurde aber durchaus erkannt. «Die EBK flog gleich mit einem Militärhelikopter und nachher mit dem Bundesratsflugzeug ins Katastrophengebiet ein», erinnert sich Daniel Zuberbühler, der ein Jahr zuvor als junger Jurist ins EBK-Sekretariat eingetreten war. 2022 beschäftigte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) rund 600 Mitarbeitende. Die Zuständigkeit der Nationalbank beschränkt sich heute auf die Sicherung der Finanzstabilität.

Die Zurückhaltung der Nationalbank – sie hatte mehr politisches Gewicht als die unter Finanzminister Ueli Maurer zurückgebundene Finma – mag auch im Umstand begründet gewesen sein, dass der für die Finanzstabilität zuständige Vizepräsident Martin Schlegel diese Funktion erst im August 2022 angetreten hatte.

An der Medienkonferenz vom 19. März 2023 zur Übernahme der CS durch die UBS begründete Jordan den Verzicht auf den PLB-Rettungsschirm im vorangegangenen Herbst 2022 damit, dass die Massnahme in der damaligen Situation destabilisierend statt stabilisierend gewirkt hätte.

Geld allein hätte das Vertrauensproblem der CS nicht gelöst

Die Nationalbank will dies aber nicht als grundsätzliche Skepsis gegenüber diesem Instrument verstanden wissen, das andere Finanzplätze schon lange kennen, das in der Schweiz aber von der Politik auf die lange Bank geschoben wurde. «Der PLB ist ein zentrales Instrument zur Stärkung der Stabilität des Finanzsektors, dessen Einführung die SNB vehement befürwortet hat», erklärte die SNB im Herbst 2023 auf Anfrage.

Und weiter: «Weder in der Krise der Credit Suisse noch in vorangehenden Krisen hat es je eine Situation gegeben, in der die SNB ausserordentliche Liquiditätshilfe nicht zur Verfügung gestellt hätte, wenn diese von einer Bank gewünscht worden war oder es für den Erhalt der Finanzstabilität notwendig gewesen wäre.» Die SNB habe aber bei verschiedenen Gelegenheiten betont, dass Liquidität allein, ohne weiterführende Massnahmen, die Vertrauens- und Rentabilitätsprobleme der CS nicht hätte lösen können.

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