Donnerstag, Oktober 24

Die Lage im Nahen Osten ist brandgefährlich, eine weitere Eskalation nicht auszuschliessen. Auch der Ukrainekrieg könnte für böse Überraschungen sorgen. Vor diesem Hintergrund erstaunt die Schwäche des Ölpreises. Was steckt dahinter?

Erfahrene Anleger erinnern sich: Immer dann, wenn es in der Vergangenheit im Nahen Osten brenzlig wurde, schoss der Ölpreis in die Höhe. Wenig erstaunlich, wird in der Region doch ein grosser Teil des globalen Erdöls gefördert. 2023 produzierte Saudi-Arabien knapp unter 10 Mio. Fass pro Tag, womit das Land hinter den USA und Russland drittgrösster Anbieter war. Der Irak (4,3 Mio. Fass), Iran (3,6 Mio. Fass), das Vereinigte Arabische Emirat (3,4 Mio. Fass) sowie Kuwait (2,7 Mio. Fass) gehören ebenfalls zu den zehn grössten Förderern weltweit.

Dieses Mal aber – nach der Terrorattacke durch die Hamas am 7. Oktober 2023 auf Israel und der darauffolgenden Eskalation, die zu Israels Angriff auf Gaza, iranischen Raketen auf Israel, und zum Einmarsch Israels in den Libanon führte – lässt der Rohölpreis nur bedingt Nervosität erkennen.

Üppiges Angebot

Befürchtungen, Israel könnte die iranische Ölinfrastruktur angreifen, sorgten zwar für einen Preisschub und liessen die Notierungen für ein Fass der Sorte Brent kurzfristig auf über 80 $ klettern. Kurz darauf folgten allerdings Medienberichte, die ein solches Szenario dementierten, worauf die Notierung wieder unter 75 $ fiel. Derzeit kostet ein Fass weniger als am Vorabend des Hamas-Anschlags. Weshalb reagiert der Ölpreis kaum auf die geopolitischen Spannungen?

Entscheidend ist, inwiefern eine Eskalation im Nahen Osten das Potenzial hat, das Rohölangebot nachhaltig zu stören oder zu unterbrechen. Und derzeit sind das Angebot und die Reservekapazitäten üppig. «Die freie Kapazität ist global mit 6 Mio. Fass pro Tag sehr hoch», schätzt Rohstoffanalyst Daan Struyven von Goldman Sachs. Die Marktbeobachter des Analysehauses Alpine Research kommen ebenfalls zum Schluss, dass die ölreichen Länder über beträchtlichen Spielraum verfügen, die Produktion auszuweiten und weisen ähnliche Zahlen aus.

Erdöl: beträchtliche ungenutzte Kapazität
Mio. Fass pro Tag

Die Organisation erdölexportierender Länder inkl. Russland (Opec+) hat seit Ende 2022 wiederholt ihre Produktion gedrosselt, um die Ölnotierungen nach oben zu treiben oder sie zumindest zu stabilisieren. Um das Haushaltsbudget auszugleichen, benötigt Saudi-Arabien nämlich einen Ölpreis von rund 100 $ pro Fass.

Da die Massnahmen nur bedingt Wirkung zu entfalten scheinen, ist die Gefahr nicht zu unterschätzen, dass die wichtigsten Mitglieder der OPEC+ ihre Förderung ausweiten werden, um nicht weiter Marktanteile einzubüssen. Gemäss Daten der US-amerikanischen Energy Information Administration (EIA) ist der Marktanteil der Opec+ innerhalb von zehn Jahren um rund 8 Prozentpunkte auf bloss noch knapp über 41% gefallen, Saudi-Arabien erreicht noch einen Anteil von knapp über 10%.

Schrumpfender Marktanteil der OPEC+-Produzenten

Der Hauptgrund sind die USA, die in den vergangenen Jahren ihre Förderung markant ausgebaut haben und mittlerweile zum wichtigsten Produzenten aufgestiegen sind. Derzeit fördert das Land etwas mehr als 13 Mio. Fass pro Tag.

Doch die Saudis scheinen langsam die Geduld zu verlieren. Gemäss einem Bericht des «Wall Street Journal» habe der saudische Ölminister kürzlich an einer Telefonkonferenz erklärt, der Ölpreis könne auf bis zu 50 $ pro Barrel fallen, sollten sich die Abweichler innerhalb der Opec+ nicht an die vereinbarten Produktionslimiten halten. Das darf durchaus als Warnung verstanden werden, dass Saudi-Arabien nicht länger gewillt ist, die Hauptlast der Preisstützung zu tragen. Während die Saudis ihre Förderung gedrosselt haben, haben etwa der Irak, Kasachstan und Russland ihre Rohölproduktion aufrechterhalten.

Die jüngsten Äusserungen Saudi-Arabiens lassen darauf schliessen, dass das Land nicht mehr auf einen Mindestölpreis zielt, sondern künftig seinen Marktanteil verteidigen will. Marktbeobachter erinnern sich, wie die Saudis 2014 den Markt fluteten, um die US-Schieferölproduzenten aus dem Markt zu drängen. In der Folge brach der Preis für ein Fass der Sorte Brent von 115 auf rund 30 $ ein. Bereits in den Achtzigerjahren, als die Konkurrenz in der Nordsee aufkam, erhöhte Saudi-Arabien die Förderung substanziell. In der Folge sackte der Preis vorübergehend unter 10 $.

Und Saudi-Arabien verfügt über substanzielle freie Kapazitäten: Derzeit produziert das Land 8,9 Mio. Fass täglich, könnte aber 12,5 Mio. Fass pumpen. Wenn der Ölpreis schon jetzt, trotz selbstauferlegter Förderkürzungen, schwach tendiert, besteht grundsätzlicher Abwärtsdruck. Ab Dezember sollen die von der Opec beschlossenen Massnahmen zudem auslaufen – eigentlich hätte die Produktion bereits im Oktober normalisiert werden sollen, doch angesichts der Preisschwäche verständigten sich die Opec+-Länder auf eine zweimonatige Verlängerung der Kürzung. Wird diese rückgängig gemacht, dürfte Saudi-Arabien bis im Dezember 2025 die Produktion sukzessive um 1 Mio. Fass erhöhen.

Die Märkte beginnen, Trump 2.0 einzupreisen

Ein weiterer Faktor, der auf dem Ölpreis lastet, sind die nahenden US-Präsidentschaftswahlen und die zuletzt wieder gestiegenen Chancen Donald Trumps auf den Wahlsieg.

Lag die Kandidatin der Demokraten, Kamala Harris, im August und im September noch in Führung, haben sich ihre Aussichten auf den Wahlsieg zuletzt deutlich eingetrübt. Mittlerweile schätzen viele Wettbörsen wie PredictIt die Chancen von Trump wieder höher ein. Dieser vermochte den Vorsprung zuletzt sogar noch zu auszubauen – sein schwacher Auftritt im TV-Duell vom 9. September ist vergessen.

Am Markt scheint die Meinung vorzuherrschen, dass sich die Wahl Donald Trumps negativ auf den Ölpreis auswirken dürfte. Einerseits verspricht er, es den Energiekonzernen zu erleichtern, nach Ölvorkommen zu bohren und neue Pipelines zu bauen. Andererseits besteht die Erwartung, dass er Druck auf den ukrainischen Präsidenten ausüben werde, den Krieg möglichst rasch zu beenden, indem er russische Forderungen akzeptiert. Beides würde zu einer weiteren Entspannung am Ölmarkt führen.

Von der Angebotsseite her spricht also einiges dafür, dass das Angebot derzeit mehr als ausreichend ist.

Zaghafte Nachfrage

Hinzu kommt die Nachfragekomponente, die unter den Erwartungen bleibt. Einerseits verläuft die Konjunktur insbesondere in Europa – Deutschland befindet sich seit rund zwei Jahren in einer Rezession – und in China schleppend, was den Bedarf an Erdöl dämpft. So notiert der globale Industrie-Einkaufsmanagerindex seit drei Monaten unter der Wachstumsschwelle von 50. Die wenig konkreten Konjunkturmassnahmen, die China bislang angekündigt hat, wecken bislang ebenfalls kaum Wachstumsfantasie.

Die Opec selbst hat vor etwas mehr als einer Woche ihre Nachfrageprognose für 2024 und 2025 gesenkt, und auch die International Energy Agency hat mit gedämpften Prognosen die Stimmung gedrückt.

Weitere Schwäche zu erwarten?

Die Einschätzung am Markt ist also relativ klar: Die Abwärtsrisiken beim Rohöl dominieren. Angesichts des derzeitigen Überangebots und der schleppenden Weltwirtschaft ist es tatsächlich schwierig, einen höheren Ölpreis zu prognostizieren.

Allerdings gibt es Risikofaktoren, die zu Aufwärtsdruck führen könnten, allen voran die Geopolitik. Anscheinend hält die derzeitige Détente zwischen Iran und Saudi-Arabien, und alle wichtigen Akteure im Nahen Osten sind sich einig, dass Angriffe auf die Ölanlagen in der Region tabu sind.

In einem Krieg können sich die Ereignisse jedoch rasch überschlagen. Was, wenn Donald Trump dem israelischen Präsidenten Benjamin Netanyahu grünes Licht für einen Angriff auf die iranische Energieindustrie erteilt? In einem solchen Fall steigt die Gefahr rapide, dass Iran als Vergeltung die Strasse von Hormuz blockiert – durch sie werden 20% des weltweiten Flüssigölverbrauchs transportiert. In einem solchen Szenario würden die Ölnotierungen in die Höhe schiessen.

Auch im Ukrainekrieg könnte es zu unbeabsichtigten Folgen kommen. Bislang wurde Wolodimir Selenski von der Biden-Regierung von Angriffen auf die russische Ölindustrie abgehalten. «Wenn aber Kamala Harris am 5. November verliert und Selenski zum Schluss gelangt, er werde von Trump bald im Stich gelassen, wird er dann nicht versucht sein, ‹All-in› zu gehen und die Beschränkungen einer lahmen Biden-Regierung zu ignorieren?», fragte Louis-Vincent Gave kürzlich in einem Research-Bericht. Auch in diesem Fall dürfte der Ölpreis einen Schub nach oben erfahren.

Die Zeit zwischen den Wahlen und der Amtseinführung des neuen Präsidenten am 20. Januar könnte demnach erhöhte Unsicherheit mit sich bringen. Auch die Meldungen, dass nordkoreanische Soldaten in Russland eingetroffen seien, um das Land im Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen, ist beunruhigend. Eine solche Entwicklung könnte ungeahnte Konsequenzen haben.

Schliesslich könnte aber auch China griffige Stimulusmassnahmen ergreifen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Auch das könnte den Ölpreis beflügeln.

ETF auf Energieaktien als Absicherung

Wie sollen Anleger mit dieser Situation umgehen? Die Wahrscheinlichkeit, dass Rohöl schwächer tendiert, ist gross, die Gefahr eines Preisschubes ist indes nicht zu vernachlässigen.

Eine attraktive Absicherung bieten Energieaktien. Wer den Sektor im Portfoliokontext übergewichtet, ist gegen eine Eskalation im Nahen Osten gewappnet. Wie ein Blick auf die jüngsten Bewertungszahlen zeigen, ist Energie der günstigste der elf globalen Sektoren.

Am einfachsten geht das mit einem ETF auf den MSCI World Energy Sector, wie ihn etwa State Street anbietet:

Der SPDR MSCI World Energy UCITS ETF 📈 (ISIN: IE00BYTRR863, Valorennummer: 30782159) ist an der Schweizer Börse SIX kotiert und reinvestiert die Dividenden – die Rendite beträgt derzeit fast 4% – jeweils umgehend wieder. Der Sektor handelt zu einem niedrigen Kurs-Gewinn-Verhältnis für das laufende Jahr von weniger als 12. Auch ohne Ölpreisschock ist die Branche aus einer Bewertungsoptik attraktiv.

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