Dienstag, April 29

Obwohl die Quartalszahlen durchweg überzeugen, reagiert die Börse mit einem Achselzucken. Novartis hat es momentan schwer bei den Investoren. Das hat Gründe.

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Es ist fast schon tragisch: Da erhöht Novartis das neunte Quartal in Folge ihre Jahresprognose und übertrifft auch im abgelaufenen Quartal die Umsatz- und Gewinnschätzungen der Analysten deutlich – und was machen die Aktien? Sie reagieren mit einem Achselzucken. Am Dienstagnachmittag notieren die Novartis-Titel in einem freundlichen Gesamtmarkt nahezu unverändert.

Gleichzeitig ziehen die Aktien von Konkurrentin Roche um fast 2% an. Für gute Stimmung sorgt dort die Nachricht, dass ein KI-gesteuertes Diagnostikgerät für Lungenkrebs von der US-Arzneimittelbehörde FDA den Status als «Breakthrough Device» erhalten hat.

Dass Novartis heute an der Börse nicht mithalten kann, erstaunt angesichts der Zahlenpräsentation zum ersten Quartal: Mit 13,2 Mrd. $ (+12% ggü. dem Vorjahresquartal) lag der Umsatz 2% höher als die Konsensschätzung, der für Analysten wichtige Kerngewinn je Aktie lag mit 2,28 $ sogar 8% über den Erwartungen. Auch die Prognoseerhöhung für das laufende Jahr haben die Experten nicht kommen sehen, wie ich den ersten Kommentaren entnehme.

Neu peilt der Konzern ein Umsatzwachstum im hohen einstelligen Prozentbereich an (zuvor: mittlerer bis hoher einstelliger Bereich). Der operative Gewinn soll im tiefen zweistelligen Prozentbereich wachsen (vorher: hoher einstelliger bis tiefer zweistelliger Bereich).

Was missfällt der Börse?

Warum goutiert der Markt bei Novartis die guten Zahlen nicht mit stärkeren Kursavancen – ein Phänomen, das in den vergangenen Quartalen häufiger zu beobachten war? Ich sehe hier vor allem zwei Gründe.

Erstens blickt der Markt kritisch auf die kommenden Patentabläufe im Produktportfolio. Voraussichtlich im Sommer werden Generika für drei umsatzträchtige Medikamente in der wichtigen Region USA auf den Markt kommen. Neben der Leukämietherapie Tasigna (Umsatz 2024: 1,7 Mrd. $) und Promacta (2,2 Mrd. $), das gegen die Blutkrankheit Thrombozytopenie eingesetzt wird, verliert auch das Herzmittel Entresto den Patentschutz in den USA. Mit einem Jahreserlös von knapp 8 Mrd. $ – gut die Hälfte davon werden in den USA erzielt – ist Entresto das umsatzstärkste Produkt von Novartis.

Die drohende Umsatzerosion infolge der Patentabläufe ist auch einer der Gründe, warum wir Roche kurz- bis mittelfristig gegenüber Novartis bevorzugen (mehr zum Investment Case von Novartis und Roche hier). Alle drei Medikamente sind chemisch synthetisierte Wirkstoffe. Das bedeutet, dass sie – anders als komplexe Biopharmazeutika – vergleichsweise leicht nachgeahmt werden können. In solchen Fällen kommen Generika oft schnell auf den Markt, was die Umsätze rascher unter Druck setzt

Dass Novartis die Jahresprognose dennoch angehoben hat, ist vor diesem Hintergrund durchaus beachtlich. Bei früheren Guidance-Erhöhungen hatten viele Analysten bereits im Vorfeld damit gerechnet. Das scheint diesmal nicht der Fall gewesen zu sein. Wie gesagt: In ersten Analystenreaktionen lese ich Erstaunen über die Anhebung.

Leidet Novartis unter ihrer Historie?

Umso bemerkenswerter ist es aus meiner Sicht, dass die Aktien heute kaum reagieren, was mich zum zweiten Grund bringt: Der Markt tut sich offenbar grundsätzlich schwer damit, den Aussagen von Novartis-CEO Vasant Narasimhan Vertrauen zu schenken. Seit Jahren überrascht das Unternehmen bei seinen Zahlenpräsentationen immer wieder positiv, sodass die Analysten ihre Schätzungen im Nachgang regelmässig nach oben anpassen müssen. Ich erinnere mich gut, als Narasimhan 2022 für die Periode bis 2027 ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 4% anpeilte, trauten die Analysten dem Unternehmen lediglich ein Wachstum zwischen 1 und 2% zu. Später, als die Prognose auf 5% erhöht wurde, zogen die Analysten langsam nach.

Warum ist das so? Ein Marktteilnehmer, der die Geschäftsentwicklung von Novartis seit vielen Jahren eng verfolgt und nicht namentlich zitiert werden möchte, erklärt die Kluft zwischen dem Marktkonsens und den Prognosen von Novartis mit der Historie von Novartis. Narasimhan, der seit seinem Amtsantritt 2018 seine Versprechen stets gehalten habe, leide unter dem Vertrauensverlust, den seine Vorgänger verursacht hätten. Vor der Zeit von Narasimhan sei viel versprochen worden, was letztendlich nicht erreicht worden sei, zum Beispiel beim Thema Profitabilität, so der Marktteilnehmer.

Der Markt bleibt also skeptisch bei Novartis. Viele Investoren stellen sich offenbar die Frage, warum sie ausgerechnet in einer Phase einsteigen sollten, in der wichtige Patentabläufe bevorstehen. Im schlimmsten Fall könnte diese Skepsis so lange anhalten, bis die ab dem zweiten Halbjahr 2025 einsetzende Umsatzerosion durch Basiseffekte herausgewaschen ist. Das dürfte frühestens im zweiten Halbjahr 2026 der Fall sein, also etwa ein Jahr nach dem Markteintritt von potenziellen Generika. Schon aus diesem Grund bevorzuge ich bis auf weiteres die Roche-Valoren.

Freundlich grüsst im Namen von Mr Market

Henning Hölder

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