Samstag, April 26

Anfang 2024 erwarteten nur wenige ein Jubeljahr für Aktien, wie es dann eintraf. Für 2025 sagen viele Auguren einen Anstieg des S&P 500 um weitere 15% auf mehr als 7000 Punkte voraus. Doch im zweiten Halbjahr dürfte es holprig werden.

Das Jahr 2024 endet mit dem grössten Aktienoptimismus seit langem. Die Hulbert-Umfrage nach den Aussichten des Nasdaq zeigte zuletzt bis zu 98,5% Optimisten – ein historischer Höchstwert.

Der heutige Überoptimismus steht im genauen Gegensatz zur Vorsicht vom Jahresanfang. Die Wahrscheinlichkeit für eine Rezession in den USA lag damals zumindest aus dem Zinsblickwinkel noch relativ hoch. Die Zinskurve war invers, was in der Vergangenheit ohne Ausnahme zu einer Rezession geführt hatte. Man war zwar selektiv optimistisch – für US-Technologie-Unternehmen – aber die Befürchtung, dass die schärfste und schnellste monetäre Bremsstrategie der US-Notenbank sich doch noch mit der üblichen Zeitverzögerung negativ auswirken würde, war gross.

Entsprechend wurde für 2024 eher vorsichtiger Optimismus für die Kursentwicklung von US-Anleihen gehegt, als dass man an eine starke Aktienhausse glaubte. Tatsächlich wurde 2024 dann gar kein gutes Anleihenjahr, aber eines der besten Jahre der US-Aktiengeschichte. Der November war sogar der beste November in der US-Geschichte. Insgesamt stiegen die Aktien auf Monatssicht in den USA um mehr als 5%, noch stärker legten kleinere und mittlere Aktien zu (Russell 2000 über 8% im Plus).

Das laufende Jahr ist auch gekennzeichnet durch Rekordzuflüsse in Aktienfonds. US-Aktienfondssparer legten mehr als 1 Bio. $ in passiven Aktienanlageinstrumenten wie US-Indexzertifikaten an. Inzwischen lässt nur noch eine Minderheit der US-Aktienfondssparer via aktiv gemanagtem Aktienfonds anlegen, mehr als 60% der Anlagegelder liegen in passiven Instrumenten. Dadurch kommen solche Gelder den Index-Schwergewichten zugute, was auch mit einer der Gründe für die Überbewertung von vielen grossen, indexbestimmenden US-Aktien sein dürfte.

Was sich jetzt kursmässig positiv auswirkt, könnte im Falle von Verkäufen solcher Passivprodukte auch gezielt negativ bei grossen Aktien wirken. Berücksichtigt man, dass die US-Bewertungen bezogen auf Gewinn (Kurs-Gewinn-Verhältnis: 23) und Substanz (Kurs-Buchwert-Verhältnis: 5,2) sowie Kurs-Umsatz-Verhältnis (3,1) nahe an historischen Rekordwerten liegen, erscheint das Chance-Risiko-Verhältnis bei solch überinvestierten und durch passive Strategien beeinflussten Aktien ungünstig.

Andererseits gibt es nicht nur in den USA, sondern besonders in Europa zahlreiche mittlere und kleinere Aktien mit niedriger Bewertung. Der Grund liegt darin, dass solche Aktien wegen ihrer geringen Gewichtung in den Indizes vom Kapitalzufluss passiver Indexfonds nicht oder nur sehr wenig profitieren. Aufgrund der bisher unterdurchschnittlichen Wertentwicklung solcher mittleren und kleineren Aktien gibt man solchen Titeln nur geringe Kurschancen. Aber vor einem Jahr glaubten auch die wenigsten an einen nur ansatzweise so freundlichen Aktienmarkt, wie er dann primär an Wallstreet zu beobachten war.

Blickt man auf die Wirtschaftsdaten, hat man den Eindruck, dass man nur in den USA investieren sollte und Europa, aber in weiten Teilen auch Asien meiden sollte. Allerdings gab es auch Haussen ausserhalb der USA wie in Hongkong (+21%) und beim Dax (+21%, jedoch anders als an anderen Börsen inklusive Dividenden).

Die Hürde für positive Überraschungen liegt aber in den USA auf ungewöhnlich hohem Niveau, im Rest der Welt auf sehr niedrigem Niveau. Obwohl die Wirtschaftsdaten nur für Amerika sprechen, kann es sein, dass die positive Entwicklung hier zumindest in den grossen Standardaktien weitgehend eingepreist ist, während besonders in Europa die Hürde für positive Überraschungen sehr niedrig liegt und aus dieser markttechnischen Optik das Chance-Risiko-Verhältnis besser ist als der reine Blick auf die Wirtschaft vermuten lassen würde.

Man fragt sich, was in Europa noch schlechter laufen könnte. Hier ist natürlich die Gefahr, dass Trump hauptsächlich gegen Europa mit hohen Zöllen vorgehen wird. Als Handelsobjekt können die USA im Wesentlichen Agrarprodukte und Waffen anbieten. Ein Deal bei Waffen wäre nur mit Europa möglich. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) hat hier bereits zur Besänftigung von Trump Milliardenkäufe an amerikanischen Waffen durch die Europäer vorgeschlagen, um sie dann in die Ukraine weiterzureichen.

Eigentlich widersprechen EU-Waffenkäufe in einem solchen Ausmass ganz klar den EU-Regeln, die Deutschland damals veranlassten, die eigene Währung aufzugeben. Durch die Einführung des Euro hatten die Deutschen schon ihre Möglichkeit aufgegeben, die Zinsen und den Wechselkurs selbst zu bestimmen. Weitere Abhängigkeiten bestehen in Deutschland im Zuge der erneuerbaren Energien, wo Wind- und Solarenergie stark von chinesischen Importen abhängen. Nicht wirklich selbständig ist Deutschland auch in der Luftfahrtindustrie und der Pharmabranche (obwohl das Land früher als «Apotheke der Welt» galt).

Durch die Einführung des Euro als Schwachwährung wurde Deutschland wettbewerbsfähiger und der Exportanteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) verdoppelte sich in etwa von einem Viertel auf die Hälfte der Wirtschaftsleistung. Andere exportstarke Länder wie China, Japan und die USA sind mit Sätzen von 10 bis 20% lange nicht so exportabhängig wie Deutschland. Mit der politisch bedingten Abschwächung der Globalisierung und der Einführung von Sanktionen ist Deutschland durch die Euro-Einführung verletzlicher geworden als jedes andere Land.

Im Zuge des Euro konnten wegen Euro-bedingt viel zu niedrigen Zinsen auch französische Unternehmen die Konkurrenz in den Nachbarländern aufkaufen und so Frankreich zum Land mit den höchsten Unternehmensschulden der Welt machen. Mit hohen französischen Franc-Zinsen wäre dies nicht möglich gewesen. Aber auch Frankreich als Staat macht Wirtschaftspolitik in diesem Sinne und ist das Land mit den absolut höchsten Staatsschulden in Europa (bezogen auf das BIP liegen Griechenland und Italien allerdings noch höher). Während Frankreich im Zuge einer Regierungskrise auf 6 bis 7% Neuverschuldung (vom BIP) zusteuert und seine Wirtschaft entsprechend ankurbelt (und trotzdem kaum wächst), macht Deutschland nur die Hälfte (bezogen aufs BIP) an neuen Schulden.

Die Frage ist, ob mit einer Neuwahl in Deutschland auch in Europa vermehrt auf Neuverschuldung als Konjunkturmittel gesetzt wird. In Deutschland ist allerdings eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat notwendig, um die Verfassung mit ihrer Schuldenbegrenzung zu ändern. Nicht alle Parteien und Parlamentarier sind für eine Aufhebung der Schuldengrenze und wenn, dann nur unter genauer Definierung der Verwendungszwecke.

Solange in der EU an der Neuverschuldungsgrenze von 3% festgehalten wird, dürften konjunkturell eher die bremsenden Effekte in Europa bedeutend sein. Dies gilt vor allem in Frankreich. Ohne Regierung kann Frankreich allerdings auch die angestrebten 60 Mrd. € Einsparungen im Staatshaushalt nur schwer realisieren. Ein neuer schuldenfinanzierter Wirtschaftsaufschwung wie in den USA erscheint für Europa unwahrscheinlich.

Während man sich im Zweifel um die französische Verschuldung nicht sorgen muss, denn Europa treibt auf die Zahlungs- beziehungsweise Transferunion zu mit Haftung durch Deutschland, fragt man sich, wie lange das Ausland die extrem hohen Defizite der USA finanziert. Es dürfte heute angesichts der Stärke des Dollars im Hinblick auf die höheren Zinsen kein Zweifel bestehen. Wenn aber Trump mit zu hohen Zöllen Unruhe in die Weltfinanzszene bringt und sich betroffene Länder mit Gegenmassnahmen (ebenfalls Zöllen) wehren, könnte auch das Vertrauen in den Dollar zurückgehen.

Nicht vergessen sollte man, dass sich die USA nicht erst unter Biden, sondern bereits unter Trump I und Obama mit Rekordbeträgen neu verschuldeten. Hier dürfte der Hauptgrund dafür liegen, dass die amerikanische Anti-Inflationspolitik der hohen Zinsen nicht zu einem Wirtschaft- und Börseneinbruch geführt hat.

Unter Trump II dürfte die Neuverschuldung noch grösser werden. Rekordneuverschuldung stimuliert aber nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Inflationsraten. Die Trump-Wirtschaftspolitik wird wegen neuer Schulden und neuer Zölle wahrscheinlich auch am Ende zu höherer Inflation in den USA führen.

Trump will versuchen, die Inflation zu bremsen durch rückläufige Öl-Preise und die Erlaubnis, auch dort nach Öl und Gas zu suchen, wo dies aus ökologischen Gründen umstritten ist. Wahrscheinlich führen die angekündigten niedrigeren Steuern über mehr Staatsdefizite und damit eine höhere Nachfrage per Saldo doch zu höheren Teuerungsraten.

Die Frage ist, wie die US-Bondmärkte auf solch eine inflationäre Entwicklung reagieren. Zunächst einmal dürften die Folgen gering sein, da mit erheblichen Zeitverzögerungen bei der Wirkung der Trump-Aktionen zu rechnen ist. Sollte aber später wirklich die Inflation in den USA stärker steigen und die Anleihenzinsen entsprechend anziehen, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit dem US-Wirtschafts- und Börsenboom vorbei.

Aus diesem Blickwinkel dürfte das neue Börsenjahr generell schwieriger werden. Wohl noch nicht im ersten Halbjahr, aber mit der üblichen Zeitverzögerung im zweiten Halbjahr.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus der «Finanzwoche», dem seit 1974 erscheinenden Investmentbulletin von Jens Ehrhardt.

Jens Ehrhardt

Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital. Nach fünfjähriger Partnerschaft in der seinerzeit grössten deutschen Wertpapier-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft promovierte er 1974 über «Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt». Im selben Jahr legte er den Grundstein für den Aufbau seiner Firmengruppe, die er von Beginn an leitet. Ehrhardt verantwortet neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender noch die Bereiche Risikomanagement und Unternehmens-/Anlagestrategie.

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