Dienstag, April 22

Die Versicherungskonzerne Baloise und Helvetia wollen durch eine Fusion ein neues Schwergewicht im Schweizer Markt formen – mit Ambitionen auch über die Landesgrenzen hinaus. Ob das Vorhaben gelingt, hängt von der Zustimmung der Aktionäre und der Reaktion der Konkurrenz ab.

Die Versicherungskonzerne Helvetia und Baloise wollen fusionieren – das gaben die beiden Unternehmen am Dienstagmorgen bekannt. Damit bestätigen sich Marktgerüchte, über die die Nachrichtenagentur Bloomberg bereits im November 2024 und zuletzt Mitte März 2025 berichtet hatte.

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Mit der Fusion würde in der Schweiz ein neuer Versicherungsriese entstehen. Ziel des Zusammenschlusses ist es, die starke Stellung im Heimmarkt weiter auszubauen und gleichzeitig eine bedeutendere Rolle auf europäischer Ebene zu spielen. Die Aktien beider Unternehmen reagieren mit Kursgewinnen von über 2%.

Zusätzlich zu den bereits laufenden Effizienzprogrammen werden durch die Fusion Kostensynergien von rund 350 Mio. Fr. vor Steuern und vor Beteiligung der Versicherten erwartet, davon rund 80% bis 2028. Um diese Synergien zu heben, rechnen die Unternehmen mit Integrationskosten von 500 bis 600 Mio. Fr., der Grossteil davon soll ebenfalls bis 2028 anfallen.

Zudem soll das fusionierte Unternehmen deutlich mehr Cash generieren. Die Dividendenfähigkeit dürfte bis 2029 um rund 20% steigen. Die neue Gruppe verfügt über eine starke Kapitalbasis mit einer geschätzten SST-Quote von über 240% per 1. Januar 2025.

«Das sind wichtige Neuigkeiten. Ich halte den Zusammenschluss für strategisch sinnvoll – die beiden Unternehmen verfügen über komplementäre Geschäftsmodelle und geografische Präsenz, insbesondere mit nur geringen Überschneidungen in den internationalen Märkten», sagt Marc Strub, Fondsmanager bei Reichmuth & Co.

Die angestrebten Synergien von rund 350 Mio. Fr. bis 2029 entsprechen rund 25% des heutigen Vorsteuergewinns beider Unternehmen – ein deutliches Potenzial zur Margenverbesserung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit.

Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen als Gewinner?

Es handelt sich um eine Fusion unter Gleichen, einen so genannten «Merger of Equals». Die neue Gruppe wird künftig unter dem Namen Helvetia Baloise Holding AG, kurz Helvetia Baloise, firmieren. Grundlage der Transaktion ist ein festgelegtes Umtauschverhältnis: Für eine Baloise-Aktie erhalten die Aktionärinnen und Aktionäre 1,0119 Helvetia-Aktien. Die Baloise wird in die Helvetia integriert. Die Aktien der neuen Gruppe werden an der SIX Swiss Exchange unter dem Tickersymbol «HBAN» gehandelt.

Mit einem gemeinsamen Marktanteil von rund 20% wird die Helvetia Baloise zur zweitgrössten Versicherungsgruppe der Schweiz – und zum grössten Arbeitgeber der Branche. Auch in Europa verfolgt das künftige Unternehmen ehrgeizige Wachstumsziele. Die Gruppe wird künftig über 22’000 Mitarbeitende beschäftigen und ein Bruttoprämienvolumen von 8,6 Mrd. Fr. im Leben- und 11,5 Mrd. Fr. im Nichtlebengeschäft vereinen. Das kombinierte Geschäftsvolumen beträgt rund 20 Mrd. Fr. und verteilt sich auf acht Länder.

Die Hauptlast der Fusion dürften voraussichtlich die Schweizer Mitarbeitenden tragen – ein signifikanter Stellenabbau steht im Raum. Der Hauptsitz der neuen Gruppe wird in Basel liegen, St. Gallen bleibt ein wichtiger Standort.

Im Gegensatz zu einer klassischen Übernahme bleiben Verwaltungsräte und Geschäftsleitungen beider Häuser im neuen Konzern eingebunden. Der Verwaltungsrat wird aus 14 Mitgliedern bestehen, je zur Hälfte von Helvetia und Baloise gestellt. Zum Präsidenten ist Thomas von Planta vorgesehen, bisher Verwaltungsratspräsident der Baloise – ein Hinweis darauf, dass Thomas von Planta eine zentrale Rolle bei der Initiierung der Fusion gespielt haben dürfte.

CEO der neuen Gruppe wird Helvetia-Chef Fabian Rupprecht, CFO wird Baloise-Finanzchef Matthias Henny. Für Irritationen bei Marktbeobachtern sorgt der Abgang der bisherigen, angesehenen Helvetia-Finanzchefin Annelis Lüscher Hämmerli.

Tempo und Timing sprechen für sich

Das hohe Tempo der angestrebten Fusion lässt aufhorchen: Die ausserordentliche Generalversammlung ist für den 23. Mai 2025 angesetzt – unter Einhaltung der gesetzlichen Frist von mindestens 30 Tagen. Damit bleibt potenziellen Konkurrenten wie Zurich Insurance, Axa oder Generali nur ein enges Zeitfenster für allfällige Gegenofferten. Ein Bieterkampf ist nicht ausgeschlossen: Zurich-CEO Mario Greco hatte bereits öffentlich Interesse an der Baloise bekundet – für den Fall eines Verkaufs.

Der Vollzug der Transaktion ist für das vierte Quartal 2025 geplant. Voraussetzung ist die Zustimmung der Aktionärinnen und Aktionäre beider Gesellschaften – darunter eine qualifizierte Zweidrittelmehrheit an der ausserordentlichen Generalversammlung. Die Patria Genossenschaft, mit 34,1% grösster Einzelaktionär der Helvetia, hat ihre Zustimmung bereits angekündigt.

Noch offen ist hingegen die Haltung von Cevian, dem mit 9,4% grössten Einzelaktionär der Baloise. Der aktivistische Investor aus Schweden ist bislang nicht im Verwaltungsrat vertreten, strebt aber an der Generalversammlung vom 25. April mit Robert Schuchna den Einzug in das Gremium an.

Strategische Flucht nach vorn?

Im Gegensatz zur Patria Genossenschaft dürfte Cevian von der Fusionsankündigung überrascht worden sein. Umso entscheidender wird nun sein, wie sich der schwedische Investor positioniert – er hatte sich bislang für eine eigenständige Baloise mit klarer Effizienzstrategie und renditeorientierter Kapitalallokation stark gemacht.

Die mit 350 Mio. Fr. bezifferten Synergien dürften auch als politisches Signal an das Baloise-Aktionariat zu verstehen sein – ambitioniert kalkuliert, um die notwendige Zustimmung zu sichern.

Die mangelnde Rückendeckung für den Verwaltungsrat zeigte sich bereits 2024, als die Aktionäre entgegen dessen Willen die Vinkulierung aufhoben. Spätestens seit dem Einstieg von Cevian steht das Gremium um Präsident Thomas von Planta unter Druck. Die Fusion mit Helvetia erscheint nun als strategische Reaktion auf diese Entwicklung.

Mit dem Zusammenschluss werden zudem die Aktien der Helvetia Baloise wieder vinkuliert: Die Übertragung der Stimmrechte ist bei Helvetia-Aktien formell beschränkt – auf maximal 5% pro Aktionär, für Nominees sogar nur 3%, sofern bestimmte Bedingungen nicht erfüllt sind. Das bedeutet: Der Verwaltungsrat behält sich das Recht vor, Einfluss auf die Stimmrechtsverteilung zu nehmen – etwa zur Abwehr unerwünschter Grossaktionäre.

Für viele Aktionärinnen und Aktionäre der Baloise dürfte sich damit – trotz Synergiepotenzial – das unattraktivste von drei denkbaren Szenarien realisieren:

  1. Umsetzung der Forderungen von Grossaktionär Cevian: Fokussierung auf Kernmärkte, höhere Kapitalrendite, stärkere Ausschüttungen.
  2. Übernahme mit Prämie: Verkauf der Baloise an einen strategischen Käufer.
  3. Fusion mit Helvetia: Ein Zusammenschluss unter Gleichen – ohne Übernahmeprämie, aber mit Machtteilung. Das volle Synergiepotenzial auszuschöpfen, wird ein langfristiger Prozess – verbunden mit nicht unerheblichen Ausführungsrisiken.

Auch wenn formal noch nichts entschieden ist, dürfte eines klar sein: Die Eigenständigkeit der Baloise steht vor dem Aus – und zugleich bestätigt die geplante Fusion, dass Cevian mit seiner Diagnose von ungenutztem Effizienzpotenzial nicht falsch lag.

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