Dienstag, November 11

Die Republikaner machen weiterhin gegen reproduktive Rechte mobil, entgegen dem Willen einer Mehrheit ihrer Wählerinnen und Wähler. Die Demokraten wittern eine grosse Chance.

In den USA steht der weibliche Körper gegenwärtig im Zentrum zahlreicher politischer Auseinandersetzungen. Die Demokraten brachten im Juni gleich zwei Vorstösse zur Abstimmung im Senat: Sie wollten den Zugang zu Verhütungsmitteln und zur künstlichen Befruchtung gesetzlich garantieren. Denn in einigen konservativen Gliedstaaten gibt es Bestrebungen, nach Abtreibungsverboten auch die In-vitro-Fertilisation (IVF) sowie Verhütungsmittel einzuschränken.

Die Republikaner im Senat haben beide Vorhaben abgelehnt und zum Scheitern gebracht. Sie warfen dem demokratischen Mehrheitsführer Chuck Schumer vor, bloss ein taktisches «show vote» zu erzwingen: Er wolle den Wählern lediglich zeigen, wie die einzelnen Senatoren zu diesen brisanten Fragen stehen.

Realpolitiker contra Fundamentalisten

Tatsächlich brachte Schumer viele republikanische Parlamentarier in eine Zwickmühle. Denn diese wissen, dass man sich mit ultrakonservativen Positionen in diesen Fragen unbeliebt macht. Die Mehrheit der Amerikaner befürwortet IVF, Verhütungsmittel und ein weitgehendes Recht auf Abtreibung. Deshalb haben die Demokraten ein Interesse, die Republikaner und ihre unpopulären Einstellungen öffentlich vorzuführen. Umgekehrt sind die Republikaner für die Präsidentschaftswahl im Herbst auf die Stimmen der Evangelikalen angewiesen.

Aus der Nähe betrachtet ist allerdings deren Position nicht ganz klar. Zwar hat sich die grösste protestantische Kirche im Land, die der Southern Baptists, am 12. Juni gegen IVF ausgesprochen, aber viele Evangelikale wie zum Beispiel der frühere Vizepräsident Mike Pence sind dafür. Entschiedener als die Evangelikalen stellen sich die Katholiken gegen IVF.

Donald Trump weiss, wie brisant diese Fragen sind, und positioniert sich deshalb nicht eindeutig – im Gegensatz zu religiös oder weltanschaulich motivierten Republikanern, die aus Überzeugung agieren. Offensichtlich aus wahltaktischen Überlegungen hat der frühere Präsident laut amerikanischen Medien seine Partei angewiesen, in diesen Fragen vorsichtig zu argumentieren und sich im Falle von Vergewaltigung, Inzest und einer Gefährdung des Lebens der Mutter für das Recht auf Abtreibung auszusprechen.

Auch konservative Amerikaner sind für IVF und Verhütung

Wie wichtig das Thema für die Präsidentschaftswahl im November sein dürfte, zeigt eine Gallup-Umfrage: 32 Prozent der registrierten Wählerinnen und Wähler sagen, dass sie nur einen Kandidaten wählen, der ihre Ansicht zur Abtreibungsfrage teilt. Die grosse Mehrheit dieser Gruppe befürwortet das Recht auf Abtreibung.

Im Februar hat das Oberste Gericht von Alabama entschieden, Embryonen seien Menschen. Die Zerstörung im Zusammenhang mit IVF kann deshalb als Mord qualifiziert werden. Zwar sicherte der Kongress des Gliedstaats den entsprechenden Kliniken und ihren Angestellten inzwischen Straffreiheit zu, aber eine rechtliche Unsicherheit bleibt.

Auch in diesem Fall ist die Mehrheitsmeinung klar. Eine weitere Gallup-Erhebung zeigt, dass 82 Prozent der Amerikaner IVF «moralisch akzeptieren». Unter ihnen sind 89 Prozent der Demokraten, 84 Prozent der Unabhängigen und 72 Prozent der Republikaner.

Noch klarer ist die Situation bei der Geburtenkontrolle: Ebenfalls laut einer Gallup-Umfrage sprechen sich 89 Prozent der Amerikaner für Verhütung aus. Selbst 86 Prozent der Republikaner und 82 Prozent der Katholiken finden sie «moralisch akzeptabel». Kurz gesagt: Die Republikaner politisieren in diesen Fragen am Volk vorbei.

Republikanischer Erfolg in der Abtreibungsfrage wird Problem

Im Juni 2022 entschied der Supreme Court, das nationale Recht auf Abtreibung zu kippen. Das war ein Erfolg für Trump, der die konservative Mehrheit im Obersten Gericht ermöglichte. Aber inzwischen hat sich der Wind gedreht. Denn nachdem ein republikanisch regierter Gliedstaat nach dem andern restriktive und oft unbeliebte Abtreibungsgesetze verabschiedet hatte – inzwischen herrscht in zwölf Gliedstaaten ein totales Verbot – positionierten sich die Demokraten als Partei der Frauen und der Selbstbestimmung; die Republikaner geraten dabei in die Defensive.

Die Demokraten nützen dies im Wahlkampf aus: In einem Drittel von Bidens Werbespots wird die Abtreibungsfrage angeschnitten, während Trump einen Bogen um das Thema macht. Ausgerechnet im Wahlmonat November kommt es in umkämpften Gliedstaaten wie Arizona, Montana und Florida zu Abstimmungen in der Abtreibungsfrage. Das ist eine perfekte Gelegenheit für die Demokraten, Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren.

Auch das Verbot der Abtreibungspille Mifepristone in Texas wird zur Hypothek. Zwar hat es der Supreme Court vor einem Monat aufgehoben – allerdings nicht aus inhaltlichen, sondern aus formaljuristischen Gründen. Der Kampf um die Zulassung geht wohl weiter.

Mifepristone ist die verbreitetste Abtreibungsmethode in den USA. Laut einer Gallup-Umfrage vom letzten Jahr sind rund zwei Drittel der Amerikaner für einen freien Zugang, ein Drittel ist dagegen. Sogar 41 Prozent der republikanisch Wählenden sind gegen ein Verbot – Tendenz steigend. Auch diese Auseinandersetzung spielt also den Demokraten in die Hände.

Einige Abtreibungsgegner sind für IVF, andere dagegen

Innerhalb der Republikanischen Partei zeigen sich widersprüchliche Positionen zu «Körperpolitik» und Reproduktion. Wer gegen Abtreibungen eingestellt ist und sich als «pro life» versteht, könnte aus den gleichen Gründen für künstliche Befruchtung eintreten. Es ginge dann darum, Familien in ihrem Kinderwunsch beizustehen. Diese Position ist durchaus verbreitet. Militante Abtreibungsgegner hingegen gehen davon aus, dass das menschliche Leben mit der Empfängnis beginnt. In ihrer Logik ist In-vitro-Fertilisation Mord, weil überzählige Embryonen zerstört werden.

Ebenfalls könnte man annehmen, dass Abtreibungsgegner sich für Empfängnisverhütung starkmachten, damit es gar nicht erst zu einer unerwünschten Schwangerschaft kommt. Das ist nicht unbedingt so. Sogenannte «Pro life»-Aktivisten stellen sich vor allem gegen die «Pille danach», die sie nicht als Verhütungsmittel, sondern als Abtreibung in einem sehr frühen Stadium betrachten. Aber auch die Pille selbst sowie die Spirale lehnen sie ab, weil sie die Einnistung einer befruchteten Eizelle verhindern könne. Einige lehnen alle Verhütungsmethoden ausser Abstinenz ab.

Republikanische Grundwerte zwischen Moral und Freiheit

Republikaner ringen noch mit einem weiteren grundsätzlichen Widerspruch. Traditionellerweise stehen sie ja für eine liberale Grundhaltung im Sinne von «weniger Staat» und «mehr Selbstverantwortung». Aus dieser Sicht sollte sich die Regierung so wenig wie möglich in das Privatleben einmischen und vor allem nicht in den privatesten Lebensbereich, die Sexualität, sofern sie in gegenseitigem Einvernehmen stattfindet. In den letzten Jahren ist die Sexualität jedoch immer mehr zu einem Teil des Kulturkampfes geworden.

Ein Beispiel ist der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis. Im April 2023 unterzeichnete er ein restriktives Abtreibungsverbot, das den Schwangerschaftsabbruch nur noch bis zur sechsten Woche erlaubt. Auch sonst vertritt er, wenn es um LGBT, Sexualkundeunterricht oder Bücherverbote geht, eine äusserst konservative, normative Linie. Laut der Nachrichten-Website «Axios» gilt Florida inzwischen als schwulenfeindlichster Gliedstaat der USA. Zugleich sieht sich DeSantis jedoch als Verteidiger der Freiheit; ebenfalls 2023 publizierte er sein Buch «Der Mut, frei zu sein». Die Forderung nach Freiheit und die Bevormundung der Bürger bis ins Schlafzimmer passen schlecht zusammen.

Viele Wähler spüren vermutlich, dass es bei den Grundwerten der Republikaner einen Widerspruch gibt. In Florida auf jeden Fall ist Trump zwar immer noch in Führung, aber laut der jüngsten Erhebung der Florida Atlantic University schwindet sein Vorsprung – ausgerechnet in seiner Wahlheimat, wo er 2016 und 2020 gewann. Das könnte auch mit DeSantis zu tun haben, dessen kulturkämpferische Politik in der Frage der reproduktiven Rechte polarisiert und Wechselwähler möglicherweise ins Biden-Lager treibt.

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