Freitag, November 15

Der französische Staat braucht dringend Geld, doch über die Quelle streitet sich das Parlament seit Wochen leidenschaftlich. Der Premierminister hätte das Gezerre im Parlament längst beenden können – doch schliesslich geht es auch um sein Schicksal.

Die grosse Kammer des französischen Parlaments hat am Dienstagabend den Gesetzesvorschlag für das Budget 2025 abgelehnt. Allein das hat historische Qualität – während der 5. Republik gab es das nie. Geradezu bizarr aber schien, dass die Minister, die das Gesetz ausgearbeitet hatten, das negative Ergebnis mit Applaus quittierten.

Der Gesetzestext, über den die Abgeordneten vier Wochen lang gestritten haben, wird nun in seiner ursprünglichen Form in den Senat weitergereicht. Die Regierung kann, wenn sie möchte, einige der Änderungsanträge aus der Assemblée nationale übernehmen.

Die Linke sieht sich als Musterschüler

Für Michel Barnier und seine von den Konservativen und der Mitte getragene Minderheitsregierung könnte es kaum besser laufen. Zum einen aus inhaltlicher Sicht: Der Budgetvorschlag war in der Assemblée nationale vor allem von den linken Parteien massgeblich verändert worden. Diese hatten von der Abwesenheit vieler Abgeordneter der Mitte und im rechten Block profitiert und zahlreiche Massnahmen eingefügt, die Barniers Basis missfielen.

Statt, wie von der Regierung vorgeschlagen, vor allem bei verschiedenen Budgetposten zu kürzen, setzten die Linken auf massive Steuererhöhungen, um Frankreichs Staatsschulden zu reduzieren. Nicht ohne Stolz verkündeten die Vertreter des Linksbündnisses Nouveau Front populaire, dass der Staat dank ihren Ergänzungen auf Mehreinnahmen von 75 Milliarden Euro hoffen könne – und damit auf deutlich mehr als in der Version der Regierung.

Doch für Barniers Konservative und vor allem für Macrons Mitte kommen derartige Steuererhöhungen nicht infrage, auch nicht zur Rettung der Staatsfinanzen. Auch vielen Nationalisten gingen die exzessiven Abgaben zu weit. Sie stimmten ebenfalls gegen die Endfassung des Gesetzes, nun ist die «Steuerhölle» vorerst abgewendet.

Zum anderen bedeutet die Ablehnung des Budgetentwurfs in der Assemblée, dass der politische Prozess weiterhin seinen geregelten Gang geht. Das ist angesichts der herrschenden Verhältnisse keine Selbstverständlichkeit. Über Barniers Minderheitsregierung schwebt seit ihrer Einsetzung das Damoklesschwert des erfolgreichen Misstrauensvotums.

Stürzt die Regierung in diesen Wochen, wären auch die Budgetberatungen für nichts gewesen, und das Land hätte ein Problem. Frankreich muss aber vor Ende Jahr ein Budget verabschieden, damit das Land handlungsfähig bleibt. Und wollen die Franzosen in Brüssel weiterhin ernst genommen werden, so müssen sie dringend ihre Fähigkeit zum Sparen zeigen. Seit Sommer führt die EU ein Defizitverfahren gegen Frankreich. Barnier hat in Aussicht gestellt, 2029 die EU-Richtlinien wieder zu erfüllen.

Nur eine kurze Verschnaufpause

Angesichts dieser Dringlichkeit und der teilweise tumultartigen Sitzungen waren in den letzten Wochen bei den Konservativen Stimmen lautgeworden, Barnier möge dem «Chaos» in der Assemblée ein Ende setzen. Artikel 49.3 der Verfassung gibt dem Premierminister die Möglichkeit, ein Gesetz ohne Abstimmung in der Nationalversammlung zu verabschieden. Doch der Regierungschef liess die Streitereien mit gelassener Miene weiterlaufen: Er wolle die Parlamentarier ihre Arbeit machen lassen, hiess es aus seinem Umfeld. Er schützt sich damit nicht nur gegen den Vorwurf, seine Position auszunützen. Er zögert damit auch einen Misstrauensantrag hinaus, der jeweils quasi automatisch auf die Anwendung von Artikel 49.3 folgt.

Mit der für ihn vorteilhaften Abstimmung vom Dienstag konnte Barnier diese Gefahr abwenden – und kann nun ein wenig durchatmen. Im Senat haben Konservative und die Mitte eine deutliche Mehrheit. Und auch wenn sie sich über einige Massnahmen streiten werden: Aus Sicht der Regierung werden sie den Text nicht verunstalten. Zudem beginnt die Debatte erst in zwei Wochen.

Mehr als eine Verschnaufpause ist sie aber nicht. Der Budgetvorschlag kommt nämlich – nach der Verhandlung in einer gemischten Kommission und einer erneuten Lesung im Senat – in die grosse Kammer zurück. Dort darf er nicht noch einmal zurückgewiesen werden. Es gilt daher fast als sicher, dass Michel Barnier dann auf die «atomare Lösung», also die Anwendung des Artikels 49.3, zurückgreifen wird, um die Abstimmung zu umgehen. Die Chance, dass Frankreichs Regierung trotz fehlenden Mehrheiten und politischem Dauerstreit noch vor Jahresende ein Budget für 2025 zustande bringt, sind folglich reell. Also Ende gut, alles gut?

Nur vielleicht. Sollte die Opposition beschliessen, ihren Misstrauensantrag gleich anschliessend an die Anwendung von 49.3 zu stellen, müsste bei dessen Erfolg nicht nur die Regierung zurücktreten. Auch das Gesetz, das den Finanzrahmen für das kommende Jahr vorgibt, wäre hinfällig. Frankreich – und allen voran Michel Barnier – stünde vor einem Scherbenhaufen. Die Zitterpartie ist also noch nicht ausgestanden.

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