Donnerstag, Oktober 3

Unternehmen können ihre Dominanz, die auf einem dauerhaften Wettbewerbsvorteil und einer erstklassigen betrieblichen Effizienz beruht, nutzen, um laufend Marktanteile zu gewinnen. Das Ergebnis? Ein Schwungrad-Effekt, der zu immerwährenden Wachstumsmaschinen führt.

English version

«Die Börse ist voll von Menschen, die den Preis von allem, aber den Wert von nichts kennen.»
Phil Fisher, amerik. Investor (1907–2004)

Das Leben ist unfair. Das ist eine Tatsache.

Aber inmitten der Ungerechtigkeiten des Lebens gibt es eine Lektion, die ich in schwierigen Zeiten gelernt habe und die mir geblieben ist, um alle Herausforderungen zu bewältigen: Wenn Sie die für Sie richtige Tätigkeit und die richtigen Menschen zur Zusammenarbeit gefunden haben, investieren Sie nachhaltig.

Über Jahrzehnte dabeizubleiben, ist die richtige Art und Weise, um in Ihren Beziehungen und mit Ihrem Kapital grosse Renditen zu erzielen. Alle Renditen im Leben, ob bei Vermögen, Beziehungen oder Wissen, entstehen durch den Zinseszinseffekt.

Indem ich die Tatsache akzeptiere, dass das Leben ungerecht ist, und indem ich die Macht des langfristigen Zinseszinses verstehe, nutze ich diese Erkenntnisse zu meinem Vorteil, wenn ich Anlageentscheidungen treffe. Als leidenschaftlicher «Bottom-up»-Aktieninvestor suche ich mit Vorliebe nach Unternehmen, die diese langfristigen Spiele spielen und sich dabei einen unfairen Kampf liefern.

Unfair nicht gegenüber dem Unternehmen, das ich besitzen möchte, sondern gegenüber seinen Konkurrenten.

Suche nach unfairen Vorteilen

Was mich immer wieder verblüfft, ist die Tatsache, dass sich die meisten Anleger täglich auf Bewertungen, Katalysatoren und Prognosen konzentrieren und dabei oft die grundlegende Frage vernachlässigen, ob sie überhaupt ein gutes Unternehmen kaufen und besitzen wollen.

Es stellt sich also die Frage: Was ist ein gutes Unternehmen und wo finde ich es?

Es beginnt mit der Identifizierung von Unternehmen die zwei wichtige Merkmale aufweisen: einen Burggraben resp. einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil und eine geschickte Kapitalallokation durch das Management.

Ein erstklassiges Unternehmen wurzelt in diesen Eigenschaften. Diese «Good Story», wie wir es nennen, bildet das Fundament, auf dem alles andere aufbaut. Und jetzt kommt der entscheidende Teil des heutigen Artikels: Solche Unternehmen gedeihen oft in Monopolen, Duopolen, Oligopolen oder fragmentierten Märkten als klare Marktführer.

Die Unternehmen, die ich besitzen möchte, sind oft in solchen Märkten zu finden. Hier kann ich Akteure identifizieren, die einen unfairen Vorteil haben.

Sie spielen ihre marktbeherrschende Rolle in ihrer Branche aus, was zu Marktanteilsgewinnen führt.

Die zunehmende Marktkonzentration durch Marktführer

Der Schwungradeffekt

Wie können Marktführer ihre Dominanz ausnutzen und mit der Zeit Marktanteile gewinnen? Und warum sind sie so attraktive Unternehmen, die ich besitzen möchte?

Sie bauen ihr Geschäftsmodell in den beschriebenen Märkten wie ein Schwungrad auf. In der Theorie setzt sich ein Schwungrad, sobald es sich aus dem Stillstand bewegt, allmählich in Bewegung. Mit der Zeit dreht sich das Rad von allein und erzeugt in einer sich selbst verstärkenden Schleife noch mehr Schwung. In der Praxis können marktführende Unternehmen ihre Dominanz nutzen, um die folgenden drei Punkte zum Drehen ihres Schwungrads einzusetzen:

  1. Ihr Burggraben: Das bedeutet, dass sie Wettbewerber abwehren können und über eine erstklassige operationelle Effizienz verfügen, die sich in hohen Gewinnspannen, Preissetzungsmacht, starken Cashflows und der Reinvestition ihres Kapitals zu hohen Renditen niederschlägt. Interessanter Fakt: Viele dieser Unternehmen sind in Familienbesitz oder werden noch von den Gründern geführt.
  2. Marktanteilsgewinne: Sie können nicht immer jeden Konkurrenten schlagen, was sie dazu veranlasst, schwächere Konkurrenten ins Visier zu nehmen und stärkere zu meiden. Sie nutzen ihren unfairen Vorteil bewusst, um nur den schwächeren Wettbewerbern Marktanteile abzunehmen. Dieser kontinuierliche Kampf nicht auf Augenhöhe führt zu einer ständigen Stärkung ihrer Marktdominanz in ihrem Duopol, Oligopol oder fragmentierten Markt.
  3. Das «Pièce de Résistance» liegt im dritten und wichtigsten Faktor: dem Zinseszinseffekt. Da diese Unternehmen von so hoher Qualität sind und auf ihrem Weg Marktanteile gewinnen und ihr Kapital zu hohen Renditen reinvestieren, tun sich viele Anleger schwer, die langfristigen Auswirkungen des Zinseszinses zu berücksichtigen. Indem sie sich nur auf die nächsten zwölf Monate konzentriert, vernachlässigt die Börse die Macht und vor allem die Magie des Zinseszinses. Die Marktführer sind im Wesentlichen günstig bewertet, auch wenn es in der Gegenwart nicht so aussieht, weil der Zinseszins eine so starke langfristige Wirkung besitzt. Konventionelle Bewertungsmethoden versagen. In der akademischen Welt wird dies oft mit der «Qualitätsanomalie» erklärt.

Illustration des Schwungradeffekts von Rollins

Kurz gesagt, Unternehmen wie Rollins, ein Schädlingsbekämpfer in den USA, können ihre Dominanz, die auf einem dauerhaften Wettbewerbsvorteil und erstklassiger betrieblicher Effizienz beruht, nutzen, um schwächere Konkurrenten aus dem Markt zu drängen und Marktanteile zu gewinnen.

Die verbesserte Profitabilität aufgrund von Marktanteilsgewinnen führt zu mehr Cashflow, der zu hohen Renditen reinvestiert werden kann, was wiederum ihre Dominanz durch operative Effizienz ausbaut und Marktanteilsgewinne ermöglicht. Und dies wiederholt sich immer wieder. Diese Marktführer können den Schwungradeffekt nutzen, um ein Geschäftsmodell aufzubauen, das sie zu ständigen Wachstumsmaschinen macht.

Beispiele aus der Praxis für Unternehmen, die wir bei arvy als Portfoliobeteiligungen besitzen und die mit dieser Strategie eine Schwungraddynamik aufbauen, sind unter anderen:

  • Copart: Ein Familienunternehmen, das die Branche der Online-Fahrzeugauktionen in den USA mit einem Marktanteil von 40% dominiert, über einen breiten Burggraben verfügt und in den vergangenen fünf Jahren eine durchschnittliche Kapitalrendite (Return on Invested Capital, ROIC) von 20% erzielt hat.
  • AutoZone: Ein Hauptakteur im Autoteile-Einzelhandel, der mit O’Reilly einen US-Marktanteil von 25% hält und die Konsolidierung der Branche spiegelt; vor Jahren war der Markt in den USA noch stark fragmentiert. AutoZone weist eine beeindruckende Kapitalrendite von 30% in den vergangenen fünf Jahren vor.
  • Rollins: Ein Schädlingsbekämpfungsunternehmen in Familienbesitz mit einem Marktanteil in den USA von 13%, das sich durch betriebliche Effizienzverbesserungen aktiv gegen 20’000 kleine Wettbewerber durchsetzt und in den vergangenen fünf Jahren eine durchschnittliche Kapitalrendite von 20% erzielte.
  • Wolters Kluwer und RELX: Sie sind in der Wirtschaftsinformationsbranche tätig und bieten Daten, Analysen und Softwarelösungen an. Beide Unternehmen verfügen dank ihrer beträchtlichen Grösse über einen breiten Burggraben und erzielten in den vergangenen fünf Jahren eine durchschnittliche Kapitalrendite im hohen Zehnprozentbereich. Der nächstgrösste Wettbewerber, Clarivate, arbeitet unter seinen Kapitalkosten und steht in Konkurrenz zu ihrer Überlegenheit.
  • Old Dominion Freight Line: Ein in Familienbesitz befindliches US-Logistikunternehmen, das seinen US-Marktanteil in den vergangenen zwei Jahrzehnten von 2 auf 12% ausgebaut hat, was auf eine erstklassige betriebliche Effizienz zurückzuführen ist, und in den vergangenen fünf Jahren eine durchschnittliche Kapitalrendite von 23% erzielte. Kürzlich meldete der zweitgrösste Wettbewerber, Yellow Corp., Konkurs an.

Old Dominion Freight Line gewinnt Marktanteile durch erstklassige betriebliche Effizienz und schwache Wettbewerber

Diese Unternehmen nutzen ihre marktbeherrschende Stellung, um sich in einem unfairen Kampf gegen ihre Konkurrenten durchzusetzen: David gegen Goliath. Die Marktführer oder Goliaths in diesen Branchen nutzen ihre bedeutende Vormachtstellung, ihre hohe Rentabilität und ihre betriebliche Effizienz in einem ungleichen Kampf gegen ihre Konkurrenten. Und da das Leben kein Hollywood-Film ist, hat David auf lange Sicht kaum eine Chance, zu gewinnen. Die Konkurrenten geben entweder auf oder werden von effizienteren Konkurrenten geschluckt.

Das Sahnehäubchen auf der Torte ist, wenn Unternehmen von strukturellen Wachstumstrends in ihren Sektoren unterstützt werden. Das steigert die Wachstumsraten und letztlich auch den Zinseszinseffekt. Der Telekommunikationssektor, in dem nur wenige grosse Unternehmen in einem reifen Markt tätig sind und dessen au Dienstleistungen zu einem Preiskampf um die niedrigsten Preise führen, ist für mich nicht von Interesse. Vielmehr würde ich nach Branchen wie Old Dominion Freight Line Ausschau halten, die an den langfristigen Wachstumstrends im E-Commerce teilhaben.

Sobald wir die Fundamentaldaten, die Art der Märkte und die Dynamik in jeder Branche kennen, müssen wir uns auf den wichtigsten Faktor konzentrieren, wenn es um Investitionen geht: die Zeit im Markt.

Zeithorizont-Arbitrage

Das Konzept ist einfach. Je weiter man den Zeithorizont verlängern kann, desto weniger wettbewerbsintensiv wird das Spiel, da sich der Grossteil der Welt in einem sehr kurzen Zeitrahmen engagiert. Clickbait-Schlagzeilen, nachrichtengetriebenes Rauschen oder Hoch- und Herabstufungen durch Analysten sind auf lange Sicht bedeutungslos und dienen eher der Unterhaltung.

Der Haken an der Sache ist natürlich, dass die wahre Zeithorizont-Arbitrage jenseits dessen liegt, was die meisten Anleger verkraften können. Sie liegt nicht in der kurzsichtigen vierteljährlichen Performance, auf die sich viele Marktteilnehmer konzentrieren und für die sie Anreize erhalten, sondern in Jahren, wenn nicht Jahrzehnten.

Man muss dorthin gehen, wo es schmerzt, aber dort können wir die Früchte unserer harten Arbeit ernten. Wir erinnern uns daran, dass alle Erträge im Leben, ob in Form von Reichtum, Beziehungen oder Wissen, aus dem Zinseszins resultieren.

Das Geld wird auf lange Sicht gemacht: Reale Gesamtmarktrenditen, 1871 – 2022

Daraus schliesse ich, dass ein grosser Teil des Erfolgs und des Vorteils der grössten Investoren in ihrer Fähigkeit liegt, Zeithorizont-Arbitrage zu betreiben: den Kauf von Vermögenswerten mit langfristigem Wert, die vom Markt unterbewertet sind.

Diese Unternehmen können von der Magie des Zinseszinses in seiner besten Form profitieren.

Da das Konzept so wichtig ist, sollten wir uns die Macht des Zinseszinses durch Charlie Mungers grossartige Aussage in Erinnerung rufen: «Langfristig kann eine Aktie kaum eine bessere Rendite erzielen als das Unternehmen, das ihr zugrunde liegt. Wenn das Unternehmen über vierzig Jahre 6% auf das investierte Kapital erwirtschaftet und Sie die Aktie vierzig Jahre lang halten, werden Sie nicht viel mehr als 6% Rendite pro Jahr erzielen – selbst wenn Sie es ursprünglich mit einem grossen Abschlag gekauft haben. Wenn ein Unternehmen dagegen über zwanzig oder dreissig Jahre 18% Kapitalrendite erwirtschaftet, haben Sie selbst bei einem teuer anmutenden Preis am Ende ein verdammt gutes Ergebnis.»

Die Rechnung am Beispiel von zwei Unternehmen mit 20-jähriger Kapitalrendite (ROIC):

  • Unternehmen A mit 18% ROIC verwandelt 100 Fr. in 2739 Fr.
  • Unternehmen B mit 6% ROIC verwandelt 100 Fr. in 321 Fr.

Ein ziemlich grosser Unterschied, nicht wahr?

Rendite von anfänglich 100 Fr. für Unternehmen A & B über zwanzig Jahre

Sie sehen das Problem mit dem langfristigen Zinseszinseffekt. Aus 100 Fr. wird das 27-Fache bei einer jährlichen Rendite von 18%, aus einer geringeren Rendite aber nur das 3-Fache. Wie kann der Markt mit einem solchen Renditeunterschied auf kurze Sicht umgehen?

Er kann es nicht.

Abschliessende Gedanken

Da ich wie ein Pfadfinder nach Hinweisen in der Geschichte und an den heutigen Märkten suche, möchte ich Ihnen abschliessend die besten Aktien des S&P 500 der vergangenen dreissig Jahre vorstellen. Wir können eine Menge lernen, wenn wir sie studieren.

Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie feststellen, dass mehr als die Hälfte der Unternehmen über einen breiten Burggraben verfügen, die meisten sind Marktführer in Duopolen, Oligopolen oder haben einen hohen Marktanteil in fragmentierten Märkten, sie sind von den Gründern geführt oder in Familienbesitz, und verfügen über eine erstklassige betriebliche Effizienz und sind in der Lage, ihr Kapital mit hohen Renditen zu reinvestieren. Zudem würde ich behaupten, dass viele von ihnen mit einem sehr geringen Einsatz von Fremdkapital (Leverage) arbeiten.

Das Schöne am Investieren ist, dass wir einen unfairen Vorteil aus den besser positionierten Unternehmen der Branche ziehen können, indem wir in sie investieren und die schwächeren Wettbewerber ignorieren.

Da gute Unternehmen selten und schwer zu finden sind und sich nicht so schnell verändern, müssen wir, sobald wir einen geeigneten Kandidaten gefunden haben, immer die Zeithorizont-Arbitrage und das heutige Zitat der Investmentlegende Phil Fisher berücksichtigen: «Die Börse ist voll von Menschen, die den Preis von allem, aber den Wert von nichts kennen.»

Letztlich können wir nur dann von einem unfairen Kampf (dem Wert) profitieren, wenn wir den ganzen Weg gehen und den kurzfristigen Lärm (die Preisjagd der Börse) ignorieren.

Aktien mit der besten Wertentwicklung im S&P 500 in den vergangenen dreissig Jahren (April 1994 – März 2024)

Thierry Borgeat

Thierry Borgeat ist einer der Gründungspartner von arvy, einer Investmentgesellschaft in Zürich, die sich auf globale Qualitätsaktien spezialisiert. Er hat den überwiegenden Teil seiner Karriere damit verbracht, bei Privatbanken und Investmentboutiquen verschiedene Anlagestrategien mit Schwerpunkt auf Aktien und globalen Makrostrategien zu verwalten. Thierry hat einen Bachelor-Abschluss in Finanzen und ist CFA-Charterholder.
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