Mittwoch, Oktober 23

Modisch werden diesen Herbst wieder einmal alle Regeln auf den Kopf gestellt, zumindest bei den Frauen. Doch auch Männer sollen Mut zum Schrägen beweisen, findet unsere Autorin.

Vermeintlich völlig Unpassendes, ganz Disharmonisches gekonnt zusammenzustellen, Dinge aus ihrem vertrauten Zusammenhang zu lösen und in einen anderen, überraschenden Kontext zu bringen, nicht den Konventionen zu entsprechen, sondern sich schräg anzuziehen, das ist für die Frauenmode längst passiert.

In der Literatur nennt man das Durchbrechen des Erwartungshorizonts. Das ist nicht nur das Geheimnis der Literatur, sondern seit geraumer Zeit auch der Mode. Die Kurzformel dafür ist Parka zum Tutu: Kriegerisches, Praktisches, jedem Dreck Standhaltendes trifft auf zart Zerbrechliches, das die Trägerin in eine leichte, schwebende Wolke hüllt. Tüll assoziiert man mit dem sublimen Balletttanz, nicht mit Schützengräben und Tarnkleidung wie den Parka, sondern mit ins Auge fallender Abendgarderobe. Ursprünglich männlich Assoziiertes trifft da auf Weibliches, Kriegerisches auf Tänzerisches.

Weniger ist nicht mehr

In diesem überraschenden Umbesetzen, in diesen raffinierten Neuinterpretationen sind der Mode keine Grenzen gesetzt. Auf jeden Fall gilt es, sich nicht konventionell anzuziehen, die Regeln auf den Kopf zu stellen, lustvoll mit den «Dos and Don’ts» zu spielen, die «Must-haves» einen guten Mann sein zu lassen und dadurch zwangsläufig aufzufallen, ins Auge zu stechen. «Less is more» ist nicht genug, klappt nicht, und minimalistisch kann man dieses verunsichernde Verfahren auch nicht nennen. Wie Iris Apfel, die passend während der Pariser Fashion Week verstorben ist, witzig zuspitzte: «Less is bore.»

Natürlich wird jedes Umbesetzen wieder zur Konvention, muss, kann, darf also immer neu ausgehebelt, neu zusammengestellt werden. Die Normen des Schönen, des Angebrachten, des Passenden verschieben sich ständig, darin besteht das ironisch-heitere Spiel der Mode. Das ist wie gesagt in der weiblichen Mode ein Dauerbrenner. Ein Blick in die Geschichte der Mode reicht: Aus Stoff, der an Vorhänge erinnert, werden Kostüme geschneidert, aus Sesselbezügen werden Mäntel, aus Gobelinstoff Anzüge, Westen werden mit Porzellanscherben besetzt – alles überraschend und oft sogar dysfunktional, nur zum Spiel.

Mut zum Frivolen

Frauen durften oder mussten sich schön, interessant, ansprechend, stilvoll anziehen, Männer dagegen korrekt, und das heisst, als Untergrund des Korrekten funktional zweckmässig. Man sollte ihnen nicht ansehen, dass sie auf Kleider Gedanken verschwenden – obwohl jeder weiss, dass ein Besuch beim Herrenschneider oder in auf Funktionskleidung getrimmten Outdoor-Geschäften wesentlich zeitintensiver und nervenaufreibender sein kann, als Jagd im Vintageladen zu machen. Im Kopf, das muss durch die Kleider ausgedrückt werden, haben richtige Männer Wichtigeres als oberflächlich Frivoles – kein leichtes, ein eher angestrengtes Bemühen, das man ihnen oft genug ansieht: Ernst mit Zweck. Natürlich tut man sich als Mann schwerer, an Konventionen zu rühren, wenn es um Korrektheit und Unauffälligkeit geht.

Aber, meine Herren, gerade die Herrenmode hat in letzter Zeit die Konventionen, die Genderkorsette gesprengt und hin und wieder sogar dieses weiblichste und verpönteste aller Kleidungstücke den Herren angelegt. Denn wie Katy Perry singt «It’s a woman’s world», und «du kannst dich glücklich schätzen, in dieser Welt zu leben». Also, in diesem Sinne nur Mut zum Durchbrechen der männlichen/weiblichen Erwartungshorizonte. Schräg macht Spass und ist ganz von dieser Welt.

Barbara Vinken ist Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der LMU in München. Ein breites Publikum erreichte sie mit ihren Überlegungen zur deutschen Familienpolitik und zur Mode.

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