Sonntag, Oktober 6

Workwear von Firmen wie Carhartt oder Dickies hat ihre Wurzeln in der amerikanischen Arbeiterkultur. Während sich die High Fashion diesen Look aneignet, sorgt auch ein Kandidat im US-Wahlkampf für Auftrieb.

Wer auf einer Baustelle arbeitet, einen Kran steuert, mit schwerem Werkzeug hantiert oder an Maschinen schraubt, hat mit den typischen Mode-Menschen in den meisten Fällen nichts zu tun. Eine Gemeinsamkeit könnte es jedoch geben: Beide Gruppen tragen gerne Workwear, also Arbeitskleidung, die aus besonders robusten und langlebigen Materialien besteht, die harter körperlicher Arbeit, schwerem Gerät und schwierigen Wetterbedingungen standhalten.

Die Workwear könnte zum Beispiel von Firmen wie Carhartt stammen, von Dickies, Timberland oder Ben Davis. Viele von diesen Unternehmen existieren seit mehreren Jahrzehnten, sie haben sich einen Namen gemacht mit ihren weiten Overalls, dicken Stiefeln, Hosen mit Seitentaschen und strapazierfähigen Jacken. Aber auch in der Welt der Luxus- und Designermarken wird seit einiger Zeit immer öfter aus dieser optischen Welt zitiert.

So erscheint in diesem Herbst eine Kooperation zwischen Louis Vuitton und der Firma Timberland, die für ihre derben Stiefel bekannt ist. Die Entwürfe wurden im vergangenen Januar auf der Männer-Show des Hauses vorgestellt – eingebettet in einer Wildwest-Szenerie, die sich der Kreativdirektor der Männerlinie Pharrell Williams ausgedacht hatte.

Als grosser Erfolg hat sich bereits die gemeinsame Kollektion von Carhartt WIP und dem japanischen Label Sacaï erwiesen, die diesen Sommer in der zweiten Saison erschienen ist. Dickies kooperierte bereits 2022 mit Gucci, und Klassiker wie das karierte Flanellhemd werden immer wieder von Luxusmarken neu interpretiert, zum Beispiel von Bottega Veneta, das eine Version aus Leder im Programm hatte. Und wenn man sich auf der Strasse in Städten wie New York umschaut, fällt auf, wie selbstverständlich Brands wie Dickies oder Caterpillar mit Designerlabels kombiniert werden.

Workwear-Brands haben ihren Ursprung grösstenteils in den USA, wo sie im späten 19. Jahrhundert als Antwort auf die wachsende Zahl von Industriearbeitern entstanden, die Kleidung für ihre Jobs an Eisenbahnschienen, auf Baustellen und in Fabriken brauchten. Von Carhartt in Michigan kam die Kleidung aus festem Canvas, von Levi’s in Kalifornien die Denimhosen für die Cowboys, von Dickies in Texas die Overalls. In dieser Kleidung konnte man schwitzen und schmutzig werden, sie hielt etwas aus und war zudem noch bezahlbar. Dieses Image hat sie sich bis heute erhalten, und viele Firmen statten weiterhin Unternehmen und ihre Mitarbeiter aus.

Arbeitskleidung für ein modeaffines Publikum

Verändert hat sich jedoch die Art und Weise, wie Menschen jenseits der Baustellen auf diesen Look blicken. Schon in den 1980er und 1990er Jahren entwickelte sich eine neue Fan-Gemeinde, die diese Marken für ihren Look, aber auch für ihre Funktion schätzte. Skater konnten in Carhartt-Teilen unbeschwert ihre Tricks und Sprünge üben, ohne dass jedes Teil sofort riss. Rapper und Hip-Hopper gefielen sich in den tiefsitzenden Baggy Pants und weiten Jacken.

Die Tatsache, dass Subkulturen die Workwear für sich entdeckten, führte vor allem im Fall von Carhartt zu einer neuen Karriere als Modelabel. Der Schweizer Edwin Fäht stellte 1994 fest, dass die Firma aus Detroit in Europa vor allem in Skatershops zu finden war. Er bekam die Lizenz aus den USA und entwickelte eine eigene Linie namens Carhartt WIP (Work in Progress), die die Workwear-Klassiker für ein europäisches modeaffines Publikum adaptierte. Carhartt WIP ist teurer als das Vorbild aus den USA, doch die Verbindung und die ästhetischen Wurzeln sind weiterhin sichtbar.

Mode, die weiterhin bezahlbar ist

Natürlich wäre ohne den allgemeinen ästhetischen Wandel in der Mode sowie den Streetwear-Boom der heutige Erfolg jedoch kaum denkbar. In den vergangenen Jahren haben Designer und Luxusmarken viele Elemente aus Kategorien jenseits des Prêt-à-porter übernommen, aus Outdoor-Kleidung, Sportswear, Streetwear und eben Workwear. Dahinter steckt die Auflösung der Grenzen zwischen «High » und «Low», zwischen Hochkultur und Subkultur, Luxus und Antiestablishment. Workwear wurde von dieser Entwicklung ebenso mitgerissen, und den Kunden gefällt sicherlich auch, dass sie weiterhin bezahlbar ist.

Währenddessen können sich die Träger, die den Look wirklich zum Arbeiten brauchen, darauf verlassen, dass er performt. Muss er auch: Zum Erfolg einer Marke gehören immer auch ihre Geschichte und ihre Ursprünge und dass sie die Versprechen aus den Anfangszeiten weiterhin erfüllt. Das ist bei amerikanischer Workwear nicht anders als bei französischem Prêt-à-porter. Bis heute wird man gerade im Mittleren Westen der USA weiterhin Menschen finden, die in ausgebeulter Workwear leben und arbeiten, weil sie das nun mal immer schon getan haben.

Einer von ihnen ist übrigens auch Tim Walz, Gouverneur von Minnesota und frisch ernannter Vize-Kandidat von Kamala Harris. Als 60-jähriger weisser Mann, begeisterter Jäger und Gewerkschaftsmitglied gilt er als jemand, der Arbeitern nahesteht und eine konservativere Klientel für die Demokraten gewinnen könnte. Sein Look: Baseball-Kappe, Carhartt-Jacke, ausgeblichene Jeans. Das könnte man als Anbiederung durch Mode werten, aber man nimmt Walz das Workwear-Styling ab, weil er schon immer so ausgesehen hat. Mit Trendbewusstsein hat das nichts zu tun, aber er wird den Trend antreiben.

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