Mittwoch, Oktober 9
Nachgewürzt

Wolfgang Fassbender


Genuss-Tipps

Weingläser der schweren, voluminösen Art sind beliebt. Doch es kann lohnend sein, ausgetretene Pfade zu verlassen und sich auf Leichtgewichte mit ungewöhnlichen Formen einzulassen.

Bei den Gravners macht man aus Prinzip vieles anders als in anderen Weingütern. Seit vielen Jahren werden die Moste nicht in Fässern oder Tanks vergoren, wie an anderen Orten, sondern in Amphoren, die in die Erde des norditalienischen Friauls gegraben wurden. Nach Fermentation und mehrjähriger Reifung besitzen die abgefüllten Weine aus hellen Trauben eine tiefdunkle Farbe und überdurchschnittliche Würze.

Nicht zu kalt sollten sie getrunken werden, sagt die Winzerin Mateja Gravner. Und am besten aus dem richtigen Glas. Aus einer Schale mit eingearbeiteten Ausbuchtungen, in die man die Finger legen soll, gefertigt nach einer Idee ihres Vaters Joško. Nicht nur das Aussehen lässt stutzen, auch das Gewicht. «Es handelt sich nicht um Kristall», sagt Mateja, «sondern um Borosilikat.»

Angesichts all der massiven Riesengläser, die in der gehobenen Gastronomie ebenso zu finden sind wie in den Schränken der Weinsammler, ein echter Paradigmenwechsel. Noch haben es die Abweichler bisweilen schwer, denn in einer Superlative gewohnten Welt assoziieren viele Geniesser mit leichten, kleinen Gläsern automatisch Billigware.

Doch Wertigkeit lässt sich auch anders ausdrücken als durch Gewicht und Grösse. Durch eine ausgeklügelte Form etwa, wie bei der Ultralight-Serie des französischen Glasherstellers Lehmann; Dessen 45 Zentiliter fassendes Glas – in diesem Falle Kristall – wurde speziell für Champagner entwickelt.

Eine Begegnung an der Rhône mit weitreichenden Folgen

Auch jenes Gefäss, das der aus dem Saarland stammende und seit langem in der Schweiz verwurzelte Weinhändler Hagen Britz entworfen hat, sprengt die Norm. Mit dem, was auf dem Markt verfügbar war, konnte er sich kaum anfreunden. Dazu kam, dass die von seinem Shop namens Maison du Vin Libre angebotenen Weine von kleinen Erzeugern und aus individueller, naturnaher Produktion stammen.

«In meiner Weinwelt passiert viel im Kleinen, und ich stehe auch für leichte Weine», sagt Britz und erinnert sich an einen Besuch an der französischen Rhône. Zum Mittagessen holte der Winzer einen 2008er Hermitage ans Tageslicht, schenkte in überraschend kleine Gläser ein. Dass da nicht sogleich Mengen an Sauerstoff hinzutraten, schadete dem reifen Roten nicht; offenbar ist ein riesiges Gefäss nicht zwingend notwendig, um Wein Raum zu verschaffen. Die Sache liess Britz nicht los.

In Zusammenarbeit mit einer kleinen (!) deutschen Manufaktur wurde ein neues Glas entwickelt. Weil es frei, also nicht mithilfe der sonst üblichen Form geblasen wurde, ist jedes Exemplar ein Unikat. «D&R» (die Bedeutung der Abkürzung wird einstweilen nicht verraten) nennt sich die gerade einmal 60 Gramm wiegende Erfindung, «Verre Vivant Volé (VVV)» das gerade einmal zehn Prozent grössere Pendant. Nicht nur für Naturweine geeignet!

Überhaupt die Regeln. Ob wirklich immer Weisswein aus dem kleinen und Rotwein aus dem voluminöseren Glas getrunken werden muss, ist zweifelhaft; die althergebrachten Vorschriften der Sommelierbranche erweisen sich oft als allzu grob. So kommen aus dem mundgeblasenen Lehmann-Glas zwar tatsächlich viele Champagner ausgezeichnet zur Geltung, aber auch Rieslinge mit Restsüsse, gereifte Chasselas aus der Waadt und manche junge rote Burgunder profitieren.

An Form und Leichtigkeit gewöhnt man sich im Nu

Und was das Gravner-Glas angeht: Obwohl es für Amphorenweine entwickelt wurde, die ein ganz spezielles Aromenspektrum aufweisen und oft deutlich wärmer ausgeschenkt werden als im Stahl oder im Holz fermentierte Weisse, lassen sich in ihm auch reife Burgunder guten Gewissens geniessen.

An Form und Leichtigkeit gewöhnt man sich im Nu. Besser noch: Die Angst vieler Weintrinker, dass beim Polieren des handgespülten Glases der Stiel abbrechen oder die teure Neuerwerbung auf dem Tisch umkippen könnte, verschwindet im Nichts.

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