Samstag, März 15

Handelsdaten zeigen: Beide Staaten koppeln sich nur langsam voneinander ab. Aber die wirtschaftliche Strategie Chinas verändert sich. Das hat Auswirkungen auf die Weltwirtschaft – und eint den globalen Süden.

100 Prozent Zölle auf Elektroautos, 50 Prozent auf Halbleiter und Solarzellen, 25 Prozent auf Batterien und Hafenkräne. Mit den neusten Ankündigungen der Administration von US-Präsident Joe Biden verschärft sich der Handelskrieg zwischen den USA und China nochmals.

Zuvor hatte der Wahlkämpfer Trump bereits verlauten lassen, er werde, falls gewählt, Zolltarife von mindestens 60 Prozent auf alle chinesischen Einfuhren verhängen. Der Handel zwischen den beiden Mächten wird also weiter gebremst, die Waren verteuern sich. Erst recht die technologischen Komponenten, die China preisgünstig herstellt und die der Westen für eine bezahlbare Abkehr von fossilen Energien eigentlich braucht.

Opfer des eigenen Erfolgs

Was geschieht da bloss? Und was bedeutet dies für China und seine Rolle im internationalen Handel?

Eigentlich war das exportorientierte Wachstum Chinas lange Zeit ein Erfolgsmodell: China verkaufte dem Westen günstig Waren, die es diesem ermöglichten, die Kaufkraft seiner Bevölkerung substanziell zu steigern und sich selber auf die Produktion von wertschöpfungsintensiveren Gütern und Dienstleistungen zu spezialisieren.

China exportiert mehr Hightech und weniger Kleidung

Die wichtigsten chinesischen Exportprodukte im Jahr 2022, Anteile am Gesamtexportwert in Prozent (zum Vergleich 1995)

Doch unter kräftigem Staatseinfluss hat das Reich der Mitte seine Exporterfolge dazu genutzt, sich rasant zu entwickeln. Gewinne wurden in die Automatisierung und Weiterentwicklung der hergestellten Erzeugnisse gesteckt. Das Lohnniveau ist gestiegen. China ist kein Billiglohnland mehr. Statt billige Kleider und Schuhe exportiert es heute vermehrt Elektronik, Autos, Schiffe, Hochgeschwindigkeitszüge, Solarzellen und Windräder. Und prompt hat die amerikanische Politik Angst vor einem wachsenden Konkurrenten. Ganz wie einst Washington den Aufstieg Japans fürchtete. Bloss dass China mit seinem autokratischen System als der gefährlichere Wettbewerber wahrgenommen wird, den man weniger gut einbinden kann.

Indirekt statt direkt in die USA

Die Veränderungen sind nicht von einem Tag auf den anderen geschehen, aber sie haben Folgen. Zwischen 1995 und 2022 hat der Anteil der USA an den chinesischen Ausfuhren um 4,4 Prozentpunkte auf 14,8 Prozent abgenommen. Der Anteil Japans, für das China ebenfalls zunehmend vom günstigen Lieferanten zum Konkurrenten geworden ist, brach gar um 11,9 Prozentpunkte ein. Schwellen- und Entwicklungsländer in Afrika und Lateinamerika hingegen ziehen nun vermehrt die höherwertigen chinesischen Produkten den teureren westlichen vor.

Daneben kommt es zu Handelsumlenkung. Billige Waren werden inzwischen oft in Vietnam, Thailand, Malaysia oder Indonesien hergestellt und von dort aus in die USA und den Westen exportiert. Den grössten Teil der Vorprodukte importieren die südostasiatischen Länder aber aus China. Das ist der Hauptgrund, wieso die chinesischen Ausfuhren dorthin deutlich an Bedeutung gewonnen haben.

Die USA und Japan haben als Handelspartner an Bedeutung eingebüsst

Die wichtigsten Destinationen für Chinas Exporte im Jahr 2022, Anteile am Gesamtexportwert in Prozent (zum Vergleich 1995)

Seit Donald Trump den Handelskrieg 2018 anstiess und erst recht seit Russland mit dem Überfall auf die Ukraine auf einen aggressiv antiwestlichen Kurs eingeschwenkt ist, haben sich die strukturellen Veränderungen akzentuiert, wie ein Vergleich der Handelsdaten der ersten vier Monate 2018 mit denjenigen im laufenden Jahr zeigt.

Statt in die USA und in die EU verkaufte China seine Waren in den vergangenen sechs Jahren vermehrt nach Russland und Afrika.

Inzwischen werden Waren, die vermutlich für amerikanische Endabnehmer bestimmt sind, vermehrt auch in Mexiko hergestellt und Vorprodukte dazu aus China exportiert.

Chinas Ausfuhren finden veränderte Abnehmer

Die wichtigsten Destinationen für Chinas Exporte von Januar bis April 2024, Anteile am Gesamtexportwert in Prozent (Veränderung gegenüber Januar bis April 2018 in Prozentpunkten)

Bei den Ausfuhren hat der Anteil an Kleidern, Schuhen, Lederwaren und Möbeln nochmals signifikant abgenommen. Dafür exportiert China nun mehr (Elektro-)Autos, Chemikalien, Stahl und Metallerzeugnisse in alle Welt.

Mehr Autos und Metalle, weniger Kleider und Möbel

Veränderung des Anteils an Chinas Gesamtexporten von Januar bis April 2024 im Vergleich zu Januar bis April 2018, in Prozentpunkten

China ist inzwischen weniger auf Importe von Maschinen, Chemikalien und Autos angewiesen – die produziert es vermehrt selbst. Stattdessen hat die Abhängigkeit von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und Energieimporten aus aller Welt zugenommen.

China braucht mehr Nahrungsmittel und Energie, weniger Maschinen, Autos und Chemikalien

Veränderung des Anteils an Chinas Gesamtimporten von Januar bis April 2024 im Vergleich zu Januar bis April 2018, in Prozentpunkten

Die Furcht der USA vor dem als unfair empfundenen Wettbewerb aus China hat nicht nur zur Verhängung von Strafzöllen gegen chinesische Importe geführt. Washington scheint sich zunehmend auf einen technologischen Wettlauf mit Peking einzuschiessen.

Unterdrücken geht nur bedingt

Dabei gehen die Politiker anders vor als die meisten in China tätigen Firmen. Letztere suchen sich ihren Vorsprung auf dem chinesischen Markt durch immer neue Innovationen zu sichern, nicht durch den wenig aussichtsreichen Kampf gegen legale und illegale Nachahmer. Die USA aber führen die nationale Sicherheit ins Feld und glauben ihre Spitzenstellung wahren zu müssen, indem sie das Reich der Mitte am Zugang zu ihrer Technologie hindern.

Gewirkt hat das alles bisher nur bedingt. Die Anteile an den chinesischen Einfuhren haben sich nochmals verschoben. Am stärksten gewachsen sind seit 2018 die Einfuhren aus Russland und aus Lateinamerika, am deutlichsten gesunken diejenigen aus Japan, den USA und Südkorea.

Auch bei den Importen verschieben sich die Gewichte

Die wichtigsten Herkunftsländer von Chinas Einfuhren von Januar bis April 2024, Anteile am Gesamtexportwert in Prozent (zum Vergleich Januar bis April 2018)

Was also wird die nächste Runde im Handelsstreit bewirken?

Die USA importieren schon heute zumindest direkt keine Elektroautos aus China. Amerika wird sich auch kaum bald zu einem wettbewerbsfähigen Massenhersteller von Solarpanels mausern. Und sollte die enorm subventionierte Fabrikation von Batterien in Europa und Nordamerika tatsächlich zum Laufen kommen, so wird sie teuer.

Drei Effekte des Streits

Zumindest drei Effekte werden sich aber wohl noch verstärken: Erstens werden die protektionistischen Massnahmen den Handel noch mehr umlenken und diesen sich verschlungene Wege über Drittländer suchen lassen. Zweitens findet eine partielle Entkoppelung statt, in deren Rahmen nicht nur der Westen ein «De-Risking» betreibt, sondern sich auch China vom Westen technologisch emanzipiert. Und drittens findet China neue Handelspartner und wird dabei für immer mehr Drittländer wichtiger als die USA.

Besonders eindrücklich zeigt sich der dritte Effekt, wenn man die Welt unterteilt in Länder, für die die USA das wichtigere Exportland sind als China (blau) und in diejenigen, für die China primäre Destination ist (rot). Während noch 1995 die USA fast überall dominierten, ist die Welt inzwischen rot geworden und China zumindest flächenmässig stärker als bedeutendste Exportdestination vertreten als die USA.

China statt die USA

USA oder China – in welchen Ländern wohin mehr Waren exportiert wurden

Wie wird das weitergehen? Klar ist, dass die politisch-protektionistisch erzwungene partielle Entkoppelung Wohlstand kostet, Konflikte wahrscheinlicher macht und die Bekämpfung globaler Probleme wie den Klimawandel erschwert. Weiter könnte Folgendes geschehen:

Drei Szenarien der weiteren Entwicklung

  1. Deal: Ähnlich wie einst Japan und die USA einigen sich China und die USA auf einen Kompromiss, der ihren Handelsstreit eindämmt, indem Peking freiwillig weniger stark auf exportgestütztes Wachstum setzt und die USA im Gegenzug auf unfreundliche Massnahmen verzichten, mit denen sie derzeit Peking zurückbinden. 
  2. Primat der Politik: Populistische nationale Interessen dominieren eine zunehmend konfliktreiche Auseinandersetzung, bei der die beiden Grossmächte USA und China sich voneinander entkoppeln und dazwischen verschiedene sekundäre Blöcke entstehen. Die getrennten Welten sind gross genug, um isoliert voneinander zu existieren, aber der antagonistische Wettbewerb macht alle Blöcke spürbar ärmer und erhöht die Gefahr verheerender Auseinandersetzungen.
  3. Primat der Ökonomie: Protektionismus und Subventionswettlauf bestimmen zwar noch einige Zeit die Agenda, bevor es zu einer neuen, dienstleistungsgetriebenen Globalisierungswelle kommt. Aber die wirtschaftlichen Vorteile und Anreize sind so stark, dass es den Unternehmen gelingt, die Hürden zu umgehen und dem Wettbewerb um das beste Produkt und die beste Lösung weiterhin zum Durchbruch zu verhelfen. 

Für einen Deal braucht es auf beiden Seiten genügend Vertrauen, dass dieser auch eingehalten wird. Vieles mag wahlkampftaktisch bedingt sein, doch nach all den konfrontativen Auseinandersetzungen dürfte es zwischen Peking und Washington noch eine Weile lang am Vertrauen fehlen, dass Entgegenkommen auch entgegenkommend beantwortet wird.

Das wahrscheinlichste Szenario ist deshalb die schleichende Rückkehr zum Primat der unternehmerisch-ökonomischen Vernunft. Jedenfalls ist zu hoffen, dass wir nicht länger anhaltend mit einem konfliktreichen Primat populistisch-protektionistischer Politik werden leben müssen. Ausgeschlossen werden kann es leider nicht mehr.

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